Wir wollen also, um nicht voreingenommen zu verfahren, uns an keine gefährlichen Voraussetzungen binden und müssen daher zunächst nach einem auf die Dauer zuverlässigen Ausgangspunkt für die Einführung des Begriffes der Kausalität suchen. Wenn von einem Kausalzusammenhang zwischen zwei aufeinanderfolgenden Ereignissen die Rede ist, so meint man damit ohne Zweifel eine gewisse gesetzmäßige Verkettung der beiden Ereignisse, wobei das frühere Ereignis als Ursache, das spätere als Wirkung bezeichnet wird. Aber die Frage ist, worin besteht diese besondere Art der Verkettung? Gibt es ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein gewisses, in der Natur stattfindendes Ereignis, kausal durch ein anderes bedingt ist?“
Hilfe aus der Verhaltensforschung
Das ist ein ganz spannendes Thema, das über Jahrtausende diskutiert worden ist. Ist also zum Beispiel der Tag die Ursache der Nacht, oder folgt der Tag nur nach der Nacht? Und ist beispielsweise der Blitz die Ursache des Donners oder der Donner die Ursache des Blitzes? Oder wie hängen die Sachen zusammen? Darüber hat man immer viel nachgedacht. Merkwürdigerweise gibt es heute dazu eine wunderbar einfache Lösung. Die aber ist nicht aus der Physik und auch nicht aus der Philosophie gekommen, sondern aus der Verhaltensforschung, der Biologie. Entdeckt hat sie Konrad Lorenz.
Konrad Lorenz hat gesagt, der Unterschied zwischen Ereignissen, die nur zeitlich nacheinander stattfinden oder solchen, die kausal bedingt nacheinander ablaufen ist die Frage, ob zwischen ihnen Energie übertragen worden ist. Das ist der „Energieübertrag“. Bei Tag und Nacht wird keine Energie übertragen, aber bei Blitz und Donner wird Energie von der elektrischen Entladung übertragen. Die elektrische Entladung überträgt die Energie, die sich akustisch als Donner und visuell als Blitz zeigt. Da ist Kausalität gegeben, aber nicht bei Tag und Nacht. Man muss immer nach dem „Energieübertrag“ suchen.
Ich wünschte, Planck hätte das gewusst und sich jetzt noch dazu äußern können. Er hat es nicht gewusst. Er ist nicht auf die Idee gekommen. Er hatte auch andere Probleme mit der Kausalität, denn früher war Kausalität etwas einfach. „Früher“ heißt, in der traditionellen klassischen Physik.
Jetzt ist sie zu einem statistischen Problem geworden. Damit muss er umgehen und das versucht er jetzt zu untersuchen. Durch die neue Atomphysik und durch die Thermodynamik, die Wärmelehre, die mit vielen Teilchen agiert, ist die Kausalität nicht mehr ganz so einfach zu machen.
Was ihn natürlich interessiert, ist die Frage, wo das Ende der Kausalität bei dem Versuch, das Verhalten von Menschen zu erläutern liegt. Das, was wir „freien Willen“ nennen, was wir unsere Handlungsentscheidungen nennen. Wir erinnern uns auch, er hat beim Vergleich zwischen Religion und Naturwissenschaft immer von Erkennen und Handeln gesprochen. Handeln muss ja ein Motiv, einen Grund oder auch Kausalität haben. Wo kommt die eigentlich her? Er versucht, das jetzt genauer zu analysieren und möchte sich dazu, wie jeder gute Physiker, eine Ausgangsposition schaffen.
Als er das tut, erlebt er allerdings eine Überraschung:
„Ich will als Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen den folgenden, einfachen und allgemeinen Satz benutzen: „Ein Ereignis ist dann kausal bedingt, wenn es mit Sicherheit vorausgesagt werden kann“. Damit soll selbstverständlich nur gesagt sein, dass die Möglichkeit, eine zutreffende Voraussage für die Zukunft zu machen, ein untrügliches Kriterium für das Walten eines Kausalzusammenhanges bildet, nicht etwa, dass sie mit diesem gleichbedeutend sei.
Denken wir nur an die Wetterprognose. Die Unzuverlässigkeit der Wetterpropheten ist sprichwörtlich geworden. Und doch gibt es wohl keinen gebildeten Meteorologen, der nicht die Vorgänge in der Atmosphäre als kausal determiniert betrachtet. Wir sehen, der gewählte Ausgangssatz besitzt nur einen provisorischen Charakter. Um dem Wesen des Kausalbegriffs auf die rechte Spur zu kommen, müssen wir noch wesentlich tiefer schürfen.
Im Falle der Wettervorhersage liegt der Gedanke nahe, dass ihre Unzuverlässigkeit nur durch die Größe und Kompliziertheit des vorliegenden Objekts, der Atmosphäre, bedingt ist. Greifen wir einen kleinen Teil derselben heraus, etwa einen Liter Luft, so sind wir schon weit eher imstande, zutreffende Voraussagen zu machen über ihr Verhalten gegenüber äußeren Einflüssen wie Kompression, Erwärmung, Anfeuchtung usw. Wir kennen bestimmte physikalische Gesetze, welche uns in den Stand setzen, die Resultate der entsprechend vorgenommenen Messungen, die Druckerhöhung, Temperatursteigerung, Kondensation usw. mehr oder weniger sicher im Voraus anzugeben.
Sieht man aber nun etwas näher zu, so gelangt man bald zu einer sehr bemerkenswerten Feststellung. Selbst wenn wir die Verhältnisse noch so einfach wählen und wenn wir noch so feine Messungsinstrumente benutzen, so wird es doch niemals gelingen, das Messungsergebnis mit absoluter Genauigkeit, d.h. in allen Dezimalstellen übereinstimmend mit der gemessenen Zahl vorauszuberechnen. Es bleibt immer ein gewisser Rest von Unsicherheit zurück. Im Gegensatz zu den Berechnungen rein mathematischer Art wie der Quadratwurzel von zwei, welche auf beliebig viele Dezimalstellen genau angegeben werden kann.
Und was von den mechanischen und thermischen Vorgängen gilt, trifft auf allen Gebieten der Physik zu, auch für elektrische und optische Vorgänge. Daher sind wir nach allen vorliegenden Erfahrungen gezwungen, den folgenden Satz als eine gegebene, festliegende Tatsache anzuerkennen: „In keinem einzigen Fall ist es möglich, ein physikalisches Ereignis genau vorauszusagen.“
Eine merkwürdige Entscheidung, die Planck da trifft. Er macht es sich nicht leicht, denn offenbar ist entweder der Ausgangssatz falsch, dass ein Ereignis dann kausal bedingt ist, wenn es mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, oder es gibt in der Natur keine kausalen Zusammenhänge. Er ringt jetzt darum, er bemüht sich darum und kommt dann zu folgenden weiteren Ansichten:
„Tatsächlich hat sich die physikalische Wissenschaft bis jetzt auf der entgegengesetzten Grundlage entwickelt. Sie hat die zweite der beiden genannten Alternativen gewählt. D.h. sie hat, um das Kausalgesetz in aller Strenge aufrecht erhalten zu können, den Ausgangspunkt, dass ein Ereignis dann kausal bedingt ist, wenn es mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, etwas modifiziert. Das geschieht in der Weise, dass das Wort „Ereignis“ in einem etwas geänderten Sinne gebraucht wird. Als „Ereignis“ betrachtet nämlich die theoretische Physik nicht einen einzelnen Messungsvorgang, der immer auch zufällige und unwesentliche Elemente enthält, sondern einen gewissen nur gedachten Vorgang, indem sie an die Stelle der Sinnenwelt, wie sie uns durch unsere Sinnesorgane bzw. durch wie verschärfte Sinnesorgane wirkende Messinstrumente unmittelbar gegeben wird, eine andere Welt setzt. Das sogenannte physikalische Weltbild, welches eine bis zu einem gewissen Grade willkürliche Gedankenkonstruktion darstellt. Eine Modellmäßige Idealisie-rung, geschaffen zu dem Zweck, um von der Unsicherheit, die an jeder einzelnen Messung haftet, loszukommen und scharfe Begriffbestimmung zu ermöglichen.“
Das klingt alles ganz einfach, enthält aber einen wunderbaren Hinweis darauf, was theoretische Physik in dem Sinne wie Planck und seine Kollegen sie betreiben, eigentlich ist, nämlich eine Konstruktion, eine Erfindung. Mit anderen Worten, man gibt der Natur eine Form und durch diese Form versteht man die Natur. Das ist zwar alles mathematisch, das ist zwar alles physikalisch, aber das ist vor allen Dingen auch romantisch. Weil romantisch der Gedanke ist, dass ich sowieso nur verstehen kann, was ich selbst hervorgebracht habe und das in der Form, in der ich das tue. Natur wird verstanden durch die Form, die ich ihr gebe.
Und er hat noch auf etwas anderes Wichtiges hingewiesen: Ich muss unterscheiden zwischen der Welt des Alltags, die ich sinnlich erfahren kann und der Welt der Wissenschaft, in der ich streng operiere und in der alles kausal verläuft.
Nun besteht das Problem, dass er als jemand, der zu einem Publikum spricht, das nicht in der Wissenschaft zu Hause ist, zwischen diesen beiden Welten hin und her gehen muss. Das ist für Planck auch das eigentliche Problem bei der Vermittlung von Wissenschaft. Deswegen kann sie nicht auto-matisch populär sein, sondern die Popularität muss durch einen besonderen Gedankenschritt erreicht werden.
Den versucht er jetzt vorzuführen:
„Während in der Sinnenwelt die Voraussage