Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik war etwa um 1870/1880 formuliert worden. Er konzentrierte sich nicht auf die Energie eines Systems, sondern auf die Art, wie die Energie in der Lage ist, Arbeit zu verrichten. Man konnte zeigen, dass nicht alle Energie, die in einem Körper steckt, in Arbeit umgewandelt werden kann. Maschinen zum Beispiel können nur bis zu einem gewissen Grad das tun, was man von ihnen erwartet, also Lasten transportieren oder Bewegungsabläufe vollziehen oder einfach Energie liefern.
Die Frage ist folglich: Was unterscheidet Energie, die man in Arbeit umwandeln kann, von Energie, die man nicht in Arbeit umwandeln kann? Man nannte die Energie, die man umwandeln kann, „freie Energie“. Die Differenz zwischen der Energie und der freien Energie wurde durch eine Größe beschrieben, für die der Physiker Rudolf Clausius ein Kunstwort entwickelte. Clausius suchte ein Wort, das so ähnlich klingt wie „Energie“, das auch griechisch sein sollte und er schlug dafür den Begriff der „Entropie“ vor.
Entropie ist eine der rätselhaftesten Größen, die es gibt. Entropie war damals ganz neu. Sie hat etwas mit der Unordnung eines Systems zu tun, mit dem Vorrat an Unregelmäßigkeiten, der in einem System steckt. Planck hat erkannt, dass da ein großes Problem besteht.
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt nämlich, dass die Entropie eines Systems – also sozusagen seine Unordnung – nur zunehmen kann, wenn nicht besondere Eigenschaften angewendet werden.
Sie kennen das alle von Ihrem Schreibtisch oder von einem Kinderzimmer. Sie können aufräumen, so oft Sie wollen, sobald darin gespielt wird, sobald darin gelebt wird, sobald darin etwas getan wird, wächst die Unordnung. Sie müssen sich ganz gezielt vornehmen, Ordnung zu schaffen, sonst klappt das nicht. Spontan nimmt nur die Unordnung zu.
Planck wollte wissen, wieso das der Fall ist. Was ist das Besondere, das diese Richtung der physikalischen Bewegung angibt? Er versuchte zu unterscheiden zwischen Prozessen, die umkehrbar ablaufen können – das sind sogenannte „reversible“ Prozesse – und Prozessen, die nicht umkehrbar ablaufen können – „irreversible“ Prozesse. Zu diesen Prozessen gehört zum Beispiel das Leben. Wenn Sie jetzt also wissen wollen, was die Physik mit dem Leben zu tun hat, müssen Sie nicht den ersten, sondern den zweiten Hauptsatz der Energie betrachten.
Planck war von diesem Phänomen, in dem Zeitlichkeit enthalten ist, fasziniert. Denn der zweite Hauptsatz besagt, dass Zeit nur in eine Richtung laufen kann. Nämlich so, dass die Entropie eines Systems, was immer das jetzt ist, zunimmt. Das war geheimnisvoll. Und was geheimnisvoll ist, muss faszinieren. Ich denke, Planck war von diesem Ausdruck, von diesem fantastischen Geheimnis, das in dem zweiten Hauptsatz steckt, fasziniert, Und es faszinierte ihn auch, dass es nicht kompliziert auszudrücken war. Auch der Energiesatz, der erste Hauptsatz der Thermodynamik, ist einfach zu beschreiben. Sie sagen einfach:
„Die Energie der Welt ist konstant und die Entropie der Welt nimmt zu, bis sie ein Maximum erreicht hat“.
„Heilige Grundsätze“ der Wissenschaft
Das waren ganz knappe Formulierungen, in denen sozusagen die Details der Welt gar nicht vorkommen. Da kommt kein Ball, kein Haus drin vor. Da kommt keine Wärmeleitung, keine Badewanne vor. Das gilt ganz allgemein. Das war für Planck etwas, was ihn immer gelockt hat. Dass ein grundlegendes Verständnis der Natur durch ein einfaches Prinzip, eine ganzheitliche, übersichtliche Darstellung ausgedrückt werden kann. Er sprach dann von „heiligen Grundsätzen“ der Wissenschaft.
Da taucht bei ihm das Wort „heilig“ auf. Der Energiesatz war ein heiliges Prinzip. Der zweite Hauptsatz war ein heiliger Grundsatz, an dem man operieren musste. Wenn man es so betrachtet, hat Planck Naturwissenschaft eigentlich als Religion betrieben. Nicht im Sinne eines „Ersatzes“, dass er, statt sich um Gott zu kümmern, um seine wissenschaftliche Wahrheit bemüht ist. Da ist gewissermaßen die Sehnsucht nach etwas Höherem, die Sehnsucht nach einem alles regierenden Prinzip, das ich versuchen möchte, zu formulieren. Er hat, glaube ich, Naturwissenschaft als Religion betrieben, so wie die großen Wissenschaftler vor ihm.
Keppler hat im 17. Jahrhundert ganz klar seine Astronomie als Gottesdienst empfunden. Sie müssen das wörtlich nehmen: Es ist ein Dienst an Gott, indem ich die Werke Gottes in seinen präzisen Planetenbahnen oder in den Gesetzen, die es gibt, zu erkennen versuche. Jetzt war Planck an einer ähnlichen Stelle. Er wollte die Naturwissenschaft als Erlebnis haben. „Erlebnis“ heißt, dass ich dabei ein Bewusstsein für eine höhere Macht bekomme. Nicht nur einfach eine Formel, die mir irgendein Experiment erklärt, sondern dass ich auch das Gefühl habe, ich gehöre durch diese Erkenntnis zu der Welt, die ich gerade erkannt habe.
Es gibt bei Planck ein merkwürdiges, wunderbares, übereinstimmendes Wechselspiel zwischen einem religiösen Gefühl und dem wissenschaftlichen Streben. Er hat sich viele Gedanken darüber gemacht. Die schönste Passage findet man bei ihm in einem Vortrag, den er 1937, also im hohen Alter schon, im Baltikum gehalten hat. Der Titel: „Religionen und Naturwissenschaften“. Da stellt sich die Frage, wie die beiden etwas über die Existenz von Dingen sagen können, die außerhalb von uns sind, zu denen wir Zugang haben möchten, durch Denken, durch Erfahrung und durch Erleben. Seine große Idee ist, dass die traditionelle Annahme, Religion und Naturwissenschaften verhielten sich gegenläufig, widersprächen sich, unsinnig ist. Sie ergänzen sich. Sie machen eigentlich dasselbe.
Und er hat das wunderbar beschrieben:
„Religionen und Naturwissenschaften“
„Nachdem wir nun die Forderungen kennen gelernt haben, welche einerseits die Religion, andererseits die Naturwissenschaft an unsere Einstellung zu den höchsten Fragen weltanschaulicher Betrachtung knüpft, wollen wir jetzt prüfen, ob und wie weit diese beiden Arten von Forderungen miteinander in Einklang zu bringen sind.
Zunächst ist selbstverständlich, dass diese Prüfung sich nur auf solche Gebiete beziehen kann, in denen Religion und Naturwissenschaft zusammenstoßen. Denn es gibt weite Bereiche, in denen sie gar nichts miteinander zu tun haben. So sind alle Fragen der Ethik der Naturwissenschaft fremd, ebenso wie andererseits die Größe der universellen Naturkonstanten für die Religion ohne jede Bedeutung ist. Dagegen begegnen sich Religion und Naturwissenschaft in der Frage nach der Existenz und nach dem Wesen einer höchsten, über die Welt regierenden Macht. Und hier werden die Antworten, die sie beide darauf geben, wenigstens bis zu einem gewissen Grade miteinander vergleichbar. Sie sind keineswegs im Widerspruch miteinander, sondern sie lauten übereinstimmend dahin, dass erstens eine von den Menschen unabhängige vernünftige Weltordnung existiert, und dass zweitens das Wesen dieser Weltordnung niemals direkt erkennbar ist, sondern nur indirekt erfasst bzw. geahnt werden kann.
Die Religion benutzt hierfür ihre eigentümlichen Symbole. Die exakte Naturwissenschaft ihre auf Sinnesempfindungen begründeten Messungen. Nichts hindert uns also – und unser nach einer einheitlichen Weltanschauung verlangender Erkenntnistrieb fordert es – die beiden überall wirksamen und doch geheimnisvollen Mächte, die Weltordnung der Naturwissenschaft und den Gott der Religion, miteinander zu identifizieren. Danach ist die Gottheit, die der religiö- se Mensch mit seinen anschaulichen Symbolen sich nahe zu bringen sucht, wesensgleich mit der naturgesetzlichen Macht, von der dem forschenden Menschen die Sinnesempfindungen bis zu einem gewissen Grade Kunde geben.
Bei dieser Übereinstimmung ist aber doch auch ein grundsätzlicher Unterschied zu beachten. Für den religiösen Menschen ist Gott unmittelbar und primär gegeben. Aus ihm, aus seinem allmächtigen Willen, quellen alles Leben und alles Geschehen in der körperlichen wie in der geistigen Welt. Wenn er auch nicht mit dem Verstand erkennbar ist, so wird er doch durch die religiösen Symbole in der Anschauung unmittelbar erfasst und legt seine heilige Botschaft in die Seelen derer, die sich