Wie sich herausstellte, sollten die Sitzungen mein Leben verändern. Ich hatte in der Vergangenheit das Privileg gehabt, verschiedene Formen der Gesprächstherapie zu erleben – Jungsche Therapie, kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische Therapie –, hatte aber nie den Eindruck gehabt, dass die Einsichten, zu denen ich dabei gekommen war, eine bleibende Veränderung herbeiführten. Traumaarbeit erwies sich als etwas anderes. Sie half mir, mich auf eine Art zu verändern, wie es vorherige Therapien und Meditationen nicht vermocht hatten. Aber ich bemerkte auch, dass mir meine Achtsamkeitsausbildung während der Sitzungen half, die intensiven Emotionen und physischen Wahrnehmungen, die zum Vorschein kamen, besser wahrzunehmen und mit ihnen präsent zu bleiben. Angetrieben von den Vorteilen der Traumatherapie, schrieb ich mich für ein mehrjähriges Trainingsprogramm, genannt Somatic Experiencing, ein – ein zeitgenössischer therapeutischer Ansatz, der von dem Biophysiker Peter Levine entwickelt wurde.4 In dem Kurs lernte ich sowohl, wie der Körper auf Trauma reagiert, als auch sichere und praktische Wege, wie man mit Traumaüberlebenden arbeiten kann. Es ist eine beeindruckende Methode, die mein Denken geformt hat. Allerdings hatte ich auch das Gefühl, dass in dieser Arbeit etwas fehlte. Fortwährend sprachen Lehrer über die biologischen Wurzeln von Trauma, diskutierten jedoch nie die sozialen Ursprünge – einschließlich der mit Trauma einhergehenden unterdrückenden Systeme. Mir wurde beigebracht, Trauma als eine ausschließlich individuelle, vom Rest der Welt abgekoppelte Erfahrung zu betrachten. Und obwohl mir dieses Rahmenwerk als Studierender westlicher Psychologie vertraut war, fühlte es sich im Zusammenhang mit Trauma besonders problematisch an. Ich war zuvor politischer Aktivist gewesen, und nun war ich auf der Suche nach einem Heilungsansatz, der eine Brücke zwischen persönlicher und sozialer Veränderung schlug.
Ein Jahr später fand ich ihn. Ein Freund stellte mich Staci Haines vor, eine Lehrerin, Klinikerin und soziale Aktivistin, die in ihrer Arbeit ein systemisches Verständnis von Trauma vorschlägt.5 Zusammen mit Spenta Kandawalla, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt und Akupunkteurin ist, gründete Staci Generative Somatics – eine nationale Non-Profit-Organisation mit Sitz in Oakland, Kalifornien, die soziale Analyse mit Traumaheilung kombiniert. Durch das Verweben von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft, politischer Theorie und Prinzipien der transformativen Gerechtigkeit6 bietet die Organisation eine ganzheitliche Herangehensweise für die Heilung von Traumata an. Im Zentrum der Kurse stehen die Erfahrungen von Menschen, die durch Trauma und Unterdrückung am meisten betroffen sind7, und die Vision einer kollektiven Transformation bewegte mich bis ins Mark. Durch diese lebensverändernde Arbeit wurde Trauma zunehmend zu einer Linse, durch die ich die Welt zu sehen und zu verstehen lernte.
TRAUMA UND ACHTSAMKEIT
Auch während dieser Zeit fühlte ich mich weiterhin stark zur Achtsamkeitsmeditation hingezogen. Nach meiner Retreaterfahrung war ich noch immer auf der Hut, freute mich jedoch, Forschungsstudien zu finden, die bestätigten, was ich ebenfalls erfahren hatte: dass Achtsamkeit wirkliche, positive und messbare Veränderungen herbeiführen kann.8 Dennoch fragte ich mich weiterhin: Wie viele Menschen da draußen mochten sich wohl ebenso sehr quälen, wie ich es getan hatte? War meine Erfahrung eine Anomalie oder spiegelte sie einen größeren Trend wider? Ich fing an, Literatur zu studieren, die auf diese Fragen eine Antwort geben konnte, und realisierte, dass sich nur wenige Menschen geradeheraus mit der Beziehung von Achtsamkeit und Trauma beschäftigt hatten. Dadurch ermutigt, schrieb ich mich für ein Postgraduiertenprogramm der Psychologie ein, verfasste eine Dissertation zu dem Thema und fing schließlich an, über die Herausforderungen, die ich erfahren hatte, zu sprechen und zu schreiben.
Mir wurde schnell klar, dass ich nicht allein war. Nachdem ein Video von einer meiner Vorlesungen zu dem Thema anfing, im Internet seine Runden zu machen9, meldeten sich Menschen wie Nicholas bei mir, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten wie ich. Nicht jeder von ihnen war auf einem langen Retreat gewesen oder betrieb eine intensive Meditationspraxis. Oftmals hatten sie Achtsamkeitsmeditation lediglich bei einer der momentan vielfältig angebotenen Gelegenheiten ausprobiert – im örtlichen Gemeindezentrum, bei einem Stressreduktionsprogramm oder mithilfe von Anleitungen, die sie online gefunden hatten.
Dies war alarmierend. Ich nahm an, dass die meisten Achtsamkeitslehrer zwar wussten, was Trauma war, allerdings war ich weniger davon überzeugt, dass sie ausreichend ausgerüstet waren, um angemessen damit arbeiten zu können. Waren sie in der Lage, Trauma zu erkennen, geschweige denn zu sehen, wann ein Traumaüberlebender Hilfe brauchte? Wussten sie, wann ein Kursteilnehmer an einen Traumaspezialisten überwiesen werden musste? Und konnten sie Verbindungen zwischen Trauma und der systemischen Unterdrückung herstellen, der viele Menschen täglich ausgesetzt sind?
So entwickelte ich meine Leitfrage: Wie könnten Achtsamkeitslehrende, in Anbetracht der Allgegenwärtigkeit von Trauma, sicherstellen, dass sie Achtsamkeit in effektiver, kundiger und traumasensitiver Form lehrten?
TRAUMASENSITIVE ACHTSAMKEIT
Aus dieser Fragestellung heraus habe ich ein Rahmenwerk aus Prinzipien und Modifikationen entwickelt, die dazu dienen, traumasensitive Achtsamkeit zu unterstützen. Als eine Art „Best-Practices“-Ansatz zu dem Thema ist traumasensitive Achtsamkeit eine Stimme in einem eben beginnenden Diskurs darüber, wie eine trauma-bewusste Herangehensweise an Achtsamkeit und Meditation aussehen könnte.10 Traumasensitive Achtsamkeit bietet praktische Vorschläge im Kontext der Achtsamkeitslehre und richtet sich besonders an Achtsamkeitslehrer, Traumaexperten und an jeden, der daran interessiert ist, mehr zu diesem Thema zu erfahren.
Meine Definition von traumasensitiver Praxis stammt vom U.S. National Center for Trauma-Informed Care (2016):
Ein Programm, Organisation oder System, das trauma-kundig ist, nimmt die weitreichenden Auswirkungen von Trauma wahr und kennt potenzielle Wege, um sich von einem Trauma zu erholen; es erkennt Zeichen und Symptome von Trauma bei Klienten, Familien, Personal und anderen im System Involvierten; es reagiert, indem es Wissen über Trauma vollständig in seine Grundsätze, Prozeduren und Praktiken integriert; und es strebt aktiv danach, Retraumatisierung zu vermeiden.
Diese Definition ist eine praktische, auf gesundem Menschenverstand basierende Herangehensweise an traumasensitive Praxis und dient diesem Buch als Wegweiser. Durch die Einsicht, wie weitverbreitet Trauma ist, möchte ich Sie in die Lage versetzen, traumatische Symptome zu erkennen und eine Retraumtisierung Ihrer Klienten während Ihrer Achtsamkeitsarbeit zu vermeiden. Jedes Kapitel und jede Modifikation bezieht sich auf einen Teil dieser Definition: das Wahrnehmen von Trauma, das Erkennen der Symptome, das Reagieren darauf oder das Vermeiden einer Retraumatisierung.
Das Rahmenwerk, das ich Ihnen präsentieren werde, beinhaltet fünf Kernprinzipien, die zur Unterstützung von traumasensitiver Praxis konzipiert wurden. Diese fünf Prinzipien sind nicht als vorgeschriebener Ansatz zur Traumheilung gedacht – dafür ist Trauma viel zu komplex. Vielmehr biete ich Anregungen anstelle von Arbeitsschritten, die Sie dazu befähigen sollen, die für Ihre achtsamkeitsbasierte Arbeit relevanten Informationen einzubauen. Ich glaube fest daran, dass es in unserer Verantwortung liegt, Achtsamkeit dahingehend zu adaptieren, dass sie sich den spezifischen Bedürfnissen des Traumaüberlebenden anpasst und wir nicht davon ausgehen sollten, dass diese Menschen sich uns anzupassen haben.
Wie bin ich zu diesen Prinzipien gekommen? Ich begann mit der Suche nach Trauma-Schlüsselkonzepten, die mit Achtsamkeit in Verbindung standen. Dann habe ich jedes Konzept dazu genutzt, um mir Achtsamkeit wie durch eine Linse anzusehen– ein Prozess, der sowohl die Risiken als auch den Nutzen von Achtsamkeit in Bezug auf Trauma offenbarte. Beispielsweise glauben viele Traumaspezialisten, dass Körperarbeit entscheidend für die Heilung ist. Aus diesem Blickwinkel heraus kann Achtsamkeitsmeditation unterstützend wirken, weil sie das eigene Bewusstsein für den Körper erhöht, indem sie sich physischen Sinneswahrnehmungen widmet. Allerdings kann Achtsamkeit, ohne die richtige Anleitung, eine rein geistige und dissoziative Praktik sein, die Menschen dazu bringt, Empfindungen zu umgehen, die um Aufmerksamkeit wetteifern. Daher stellt sich die Frage: Was sind unter diesen Umständen die besten Wege für Menschen, die Trauma erleben, körperorientierte Achtsamkeit zu praktizieren? Bei meiner Arbeit bin ich daher durch drei