Die drei letztgenannten bildgebenden Verfahren gehen weit über die Qualität von Schnappschüssen hinaus, auf denen – wie bei den typischen CT-Aufnahmen – eher ein Still-Leben zu sehen ist. Funktionale Gehirn-Scans liefern uns bewegte Bilder der gesamten neurologischen Aktivitäten des Gehirns – bezogen auf einen gewissen Zeitraum. Das ist sehr vorteilhaft, denn ein arbeitendes Gehirn verrät uns mehr über die normalen und unnormalen Aktivitäten des menschlichen Geistes. Die funktionale Gehirn-Scan-Technologie ermöglicht uns, den menschlichen Geist neurowissenschaftlich gründlicher zu untersuchen als je zuvor. Forscher entdeckten bei Menschen mit ähnlichen Beschwerden oder Verletzungen ähnliche Muster im Gehirn. Das kann einen Beitrag zu einer besseren Diagnose und Behandlung liefern.
***
Eine Meditation über den menschlichen Geist
Betrachten wir eine relativ neue Untersuchung über die Beziehung zwischen Gehirn und Geist: Die Berichte der National Academy of Sciences vom November 2004 enthalten einen Artikel, der bestätigt, dass mentales Training durch Meditation und geradlinig ausgerichteten Fokus die inneren Funktionen den Gehirns beeinflussen kann.18 Einfach ausgedrückt: Wie der Artikel zeigt, ist es durchaus möglich, die Arbeitsweise des Gehirns und damit den Geist zu verändern.
In der betreffenden Studie wurden buddhistische Mönche mit umfassender Meditationserfahrung gebeten, sich auf bestimmte Geisteszustände wie Mitgefühl und bedingungslose Liebe zu konzentrieren. Um seine Gehirnaktivität möglichst umfassend messen zu können, wurden jedem Teilnehmer 256 Sensoren angehängt. Dabei stellte sich heraus, dass die Mönche Hirnwellen erzeugten, die weit über alles hinausgingen, was die ungeübte Kontrollgruppe zuwege brachte. Manche Mönche hatten bis zu 50000 Stunden Meditationspraxis hinter sich – ihre Gehirne, insbesondere der Frontallappen, bezeugten Aktivitäten, wie sie nur mit höherer mentaler Funktion und höherem Bewusstsein einhergehen können. Tatsächlich konnten sie ihre Gehirnfunktionen sogar auf Kommando verändern.
Bei den Mönchen mit der umfassendsten Meditationspraxis zeigten bestimmte elektrische Gehirnimpulse, die sogenannten Gammawellen, ein Niveau, das höher lag als alles, was die Forscher je bei einem gesunden Menschen gemessen hatten. Werden im Gehirn neue neuronale Verknüpfungen hergestellt, treten diese Gammawellen typischerweise in Erscheinung.
Im linken Frontallappen gibt es einen Bereich, der mit Freude verbunden ist. Bei einem der Mönche war die Aktivität in diesem Bereich so stark, dass die untersuchenden Wissenschaftler meinten, er müsse der glücklichste Mensch auf Erden sein.
»Wir haben festgestellt, dass eine lange Meditationspraxis zu Gehirnaktivitäten eines Ausmaßes führt, wie wir es noch nie zuvor beobachten konnten«, fasst der Leiter des Experiments, Richard Davidson, Ph.D., von der University of Wisconsin, zusammen. »Die mentale Praxis dieser Menschen wirkt sich auf das Gehirn genauso aus, wie eine langjährige Golf- oder Tennis-Karriere die entsprechende Leistung steigert.« In einem späteren Interview sagte Dr. Davidson: »Wie wir festgestellt haben, unterscheidet der trainierte menschliche Geist oder das trainierte menschliche Gehirn sich physisch von einem untrainierten.«19
Aus diesem Experiment wird deutlich, dass wir durch eine Verbesserung der Gehirnleistung tatsächlich den Geist verändern. Lassen Sie uns ein wenig dabei bleiben, was diese Studie bedeutet:
Wenn das Gehirn das Instrument der bewussten und unterbewussten Gedankenimpulse ist und der menschliche Geist das Endprodukt dieses Gehirns – wer oder was bewirkt dann eine Veränderung in Gehirn und Geist? Der Geist kann den Geist nicht verändern, weil er ein Ergebnis des Gehirns ist. Der Geist kann das Gehirn nicht verändern, weil er ein Produkt desselben ist. Und das Gehirn kann die Arbeit des Geistes nicht verändern, weil es nur die Hardware ist, wodurch der Geist wirkt. Und zu guter Letzt kann das Gehirn auch das Gehirn nicht verändern, weil es ohne eine den Geist bewegende Kraft nur ein lebloses Objekt ist.
Wenn es denn möglich ist, die Funktionen von Gehirn und Geist durch gezieltes Training zu verbessern – wer oder was bewirkt dann die Veränderung in Gehirn und Geist? Die Antwort liegt in einem schwer definierbaren Wort: »Bewusstsein«. Dieser Begriff bringt die Wissenschaftler schon seit vielen Jahren in Verlegenheit. Doch lassen sie den Begriff des Bewusstseins seit rund 10 Jahren allmählich als einen Faktor in ihre vielen Theorien über ein Verständnis der Wirklichkeit einfließen.
Ohne zu sehr ins Mystische oder Philosophische abgleiten zu wollen: Bewusstsein ist das, was dem Gehirn Leben schenkt. Es ist jene unsichtbare Essenz, die das Gehirn belebt. Es ist der unsichtbare Aspekt des Selbst, gleichzeitig bewusst und unbewusst, der das Gehirn verwendet, um Gedanken aufzufangen, und sie dann zusammenführt, um den Geist zu erschaffen.20
Geist, Materie und mehr
Als ich mich im Rahmen meiner Promotion in Chiropraktik auch mit Neuroanatomie befassen musste, habe ich unzählige Gehirne seziert und dabei etwas schnell begriffen: Ein Gehirn ohne Leben ist einfach ein Stück Materie, ein Organ, das weder denken noch fühlen, handeln, erzeugen oder sich verändern kann. Zwar mag das Gehirn unser wichtigstes Organ sein, aber es muss belebt werden. Es ist das Organ der Intelligenz, aber es ist eben nur ein Organ. Anders gesagt: Das Gehirn kann sich nicht aus sich selbst heraus verändern, es muss gesteuert werden.
Das Gehirn ist jenes Organ im zentralen Nervensystem, das über die größte Anzahl von Nervenzellen oder neuronalen Gruppen verfügt. Eine hohe Anzahl von Neuronen dient als Hinweis auf Intelligenz. Neuronen sind extrem winzig; auf einer Stecknadelspitze hätten ungefähr 30000-50000 davon Platz. In dem »Neocortex« genannten Bereich unseres Gehirns, dem Sitz unserer bewussten Wahrnehmung, kann jede Nervenzelle sich mit 40000-50000 anderen Nervenzellen verbinden. In einem anderen Bereich, dem Cerebellum, sind jedem Neuron sogar potenziell bis zu einer Million Verbindungen verfügbar. Auf Abbildung 2.1. sind diese beiden Neuronenarten dargestellt.
Abbildung 2.1.
Der Unterschied zwischen der möglichen Anzahl von Dendriten-Verbindungen bei den Neuronen des Neocortex und des Cerebellum.
Das Gehirn besteht aus rund 100 Milliarden Neuronen, die in Myriaden dreidimensionaler Muster miteinander verknüpft sind. Wie bereits erwähnt, nennen die Wissenschaftler die diversen Kombinationen, in denen die Milliarden von Neuronen miteinander verbunden sind und miteinander feuern, »neuronale Netzwerke«.
Wenn wir etwas Neues lernen oder eine neue Erfahrung machen, tun sich Nervenzellen zusammen und erzeugen neue Verbindungen, und das verändert uns tatsächlich. Weil im menschlichen Gehirn so viele Möglichkeiten neuronaler Verbindungen existieren und weil Neuronen sich direkt miteinander austauschen können, kann das Gehirn Gedanken verarbeiten, Neues lernen, Erinnerungen abrufen, Handlungen ausführen, Verhalten aufweisen und Möglichkeiten erwägen – um nur einige seiner Fähigkeiten zu nennen. Es ist die zentrale Informationsverarbeitungseinheit des Körpers. Es ist das Instrument, das wir physisch verwenden, um in unserem Leben unser Verständnis bewusst weiterzuentwickeln und unterbewusst unser Leben aufrechtzuerhalten.
Man kann sich das Bewusstsein als etwas vorstellen, das diesen Biocomputer namens Gehirn bewohnt. Es ist wie der elektrische Strom, der einen Computer mit seinen diversen Programmen erst funktionsfähig macht. Das Gehirn enthält die Hardware- sowie die Softwaresysteme, und das Bewusstsein kann diese verwenden und nach Bedarf »upgraden«.
Das Bewusstsein ermöglicht es uns, zu denken und unseren Denkprozess gleichzeitig zu beobachten. Unter Bewusstsein verstehen wir gewöhnlich unsere Wahrnehmung unserer selbst und unserer Umgebung. Doch gibt es in uns auch eine andere Art der Intelligenz, die uns in jedem Augenblick Leben schenkt, ohne dafür unsere Hilfe zu benötigen: Wir Chiropraktiker nennen es »die allem innewohnende« oder »die innere Intelligenz«. Sie