Zenshos Zeichnungen, die den wahren Geist des Zen atmen, sind sichtbar gewordene Reflektionen aus seinem Allerinnersten. Seine künstlerische Ausdrucksweise entspricht jener der chinesischen und japanischen Zen-Maler, die mit wenigen Strichen und oft geradezu ungestümem Pinseleinsatz das Wesentliche auszusagen wussten.
Zenshos spontane Malweise wie auch die abstrakten Formen seiner Zeichnungen bringen den Geist des Zen auf eine Weise zum Ausdruck, wie es Worte nicht vermögen. Einen Eindruck davon gewinnt man auch in seinem 2011 im Schirner Verlag erschienenen Bildband »Im Farbenrausch des Göttlichen«.
So fühlen wir, dass uns in den subtilen Spannungsverhältnissen seiner Zeichnungen – zwischen Linie und der weißen Fläche des Hintergrundes, zwischen Form und Formlosem – etwas Unfassbares berührt.
Die Formen scheinen entmaterialisiert zu entschweben, um im leeren Grund der transzendenten jenseitigen Sphäre aufgehoben zu sein. So ist der leere Bildgrund in Zenshos Gemälden weitaus mehr als nur der unbemalte Teil des Bildes.
Der leere Grund wird in der Zen-Malerei mit dem leeren Grund des Seins identifiziert und steht für die form- und eigenschaftslose Leere, Shunyata. Dieser leere Grund ist jene absolute Wirklichkeit, die durch die Transparenz aller Formen und Farben und somit durch alle Erscheinungen hindurchleuchtet.
Hier zeigt sich auch die tiefe Bedeutung des Aussparens und Leerlassens in Zenshos Bildern. Die Reduktion der Erscheinungen auf ihre Wesenheit ist der Kern seines künstlerischen Schaffens. Es befasst sich nicht mit den sinnlich wahrgenommenen Erscheinungen, sondern mit jener absoluten Wirklichkeit, die hinter allem liegt. Diese allerhöchste Wirklichkeit wird in der Zen-Malerei durch das Kreissymbol »Enso« zum Ausdruck gebracht. Es ist eines der bekanntesten Symbole des Zen, das wir in Zenshos Zeichnungen immer wieder finden.
In seinen von atmosphärischer Klarheit geprägten Zeichnungen drückt sich so die Schau eines spirituellen Meisters aus, der in seinem Erwachen zur Wirklichkeit des Seins die allem zugrundeliegende Harmonie und Ganzheit des Universums erfahren hat.
Versunken in die stille Betrachtung dieser Bilder, eröffnet sich uns ein neuer, ungeahnter Zugang zur Wirklichkeit unseres wahren Seins. Denn was der Künstler und Mystiker in seine Bilder hineingab, strömt aus ihnen hervor und fließt mit unwiderstehlicher Macht in unseren Geist über.
Zen-Meister Zenshos Zeichnungen in diesem Buch sind wahre Meisterwerke künstlerischen Schaffens.
Und wer sich auf diese in den Bereich des Sichtbaren getretenen Offenbarungen des Unsichtbaren einlässt, der lässt sich damit zugleich auf jene Wirklichkeit ein, aus der sie hervorgetreten sind.
Mai, 2015
Edward Duvernoy
Einführung in das Wesen und die Praxis des Zen
Das augenblickliche Erfassen der Wirklichkeit
Das wesentliche Anliegen des Zen ist das Erwachen zur Wirklichkeit unseres wahren Seins. Es verweist stets mit äußerstem Nachdruck auf den Einen Geist als unser ursprüngliches, wahres Wesen und ist zugleich eine vollkommen praktische, ganz auf die Wirklichkeit des Hier und Jetzt ausgerichtete Lehre. Die Methode seiner geistigen Vermittlung ist verblüffend einfach und unmittelbar direkt. Deshalb lässt Zen alles überflüssige Drum und Dran beiseite und verweist nur auf die absolute Wirklichkeit, die sich jetzt-hier offenbart.
Zen ist die Essenz und der Höhepunkt des gesamten Buddhismus. Obwohl es ursprünglich aus dem Buddhismus hervorgegangen ist, hat es sich sehr schnell vom traditionellen Buddhismus abgewandt.
Denn Zen interessiert sich nicht im Geringsten für die hohen philosophischen Spekulationen buddhistischer Gelehrsamkeit. Ganz im Gegenteil – es ist vielmehr darum bemüht, konsequent mit dem diskursiven Verstandesdenken zu brechen, das stets bestrebt ist, alles, was in den Bereich des Unergründlichen gehört, zu definieren und somit zu begrenzen.
Deshalb sagt der chinesische Zen-Meister Ying-an (12. Jh.):
Die Wahrheit des Zen kann man nicht durch Vorträge, Debatten und Erörterungen erlangen.
Wenn du irgendwann plötzlich das Licht deines Geistes umwendest und alle Täuschungen durchschaust, wirst du das wahre Selbst erblicken.
Dies ist das ursprüngliche, lebendige Zen des augenblicklichen Erfassens der Wirklichkeit, wie es von den großen chinesischen Meistern in der Zeit der Hochblüte des Zen praktiziert wurde. Es hebt sich ab durch seine radikale Unabhängigkeit und lehrt auf erfrischend lebendige Weise einen direkten Weg zur Befreiung, der an keine bestimmte Form gebunden ist. Eines der wesentlichen Merkmale des Zen ist die besondere Art der Übertragung außerhalb aller buddhistischen heiligen Schriften und Worte.
Denn alles unterscheidende Verstandesdenken ist für die Anhänger des Zen-Buddhismus ein grundsätzliches Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung.
Deshalb bietet Zen auch keine bestimmte Lehre und keine fertigen Antworten. Es entzieht sich unserer Vernunft und widersetzt sich jeder begrifflichen Bestimmung.
Daher erklärte Boddhidharma, der legendäre erste Patriarch des Zen aus dem 6. Jahrhundert:
Meine Lehre dringt unmittelbar direkt in des Menschen Herz. Daher ist sie einzigartig und nicht verstrickt in Worte und kanonische Vorschriften; sie ist die unmittelbare Weitergabe des echten Siegels.
Zen kann man nicht lernen, nicht studieren. Denn es lässt sich nicht durch die begrenzte Einseitigkeit des ich-zentrierten Verstandes begreifen. Diejenigen, die Zen erlernen wollen, sind schon von Anfang an auf dem falschen Weg. Man kann den Zen-Buddhismus noch so ausgiebig studiert haben und alles darüber wissen. Doch was nützen all die leeren Worte, wenn man sein eigenes, wahres Wesen nicht erkennt?
Zen führt uns über die Welt des Intellekts hinaus zu einer Wirklichkeit, die schon immer da war, lebendig, allgegenwärtig und frei von Abstraktionen.
Der Gebrauch der Logik des unterscheidenden, begrifflichen Denkens zur Ergründung der letzten Wahrheit ist in den Augen des Zen Unwissenheit.
Denn sich auf das verstandesmäßige Begreifen zu verlassen bedeutet, das innere Licht unseres wahren Selbst daran zu hindern, sich zu entfalten.
Der wahre Selbst-Geist, neben dem nichts anderes existiert, ist die »leere«, strahlende Natur des Seins. Dieser Geist ist seinem Wesen nach ohne Substanz und allgegenwärtig. Er ist unsere absolute Wirklichkeit, die sich »jetzt-hier« offenbart. Alles, was als die vielfältigen Formen vor unseren Augen erscheint, ist die Widerspiegelung dieses Einen Geistes.
Es gibt keine Existenz und keine Nicht-Existenz der Phänomene. Erscheinung und Wirklichkeit durchdringen einander vollständig. Dies ist die zentrale Botschaft des Zen.
Deshalb heißt es auch im Mahaprajnaparamita-Hridaya-Sutra, kurz »Herz-Sutra« genannt, das täglich in den Zen-Klöstern rezitiert wird: »Form ist Leere und Leere ist Form«. Ein intuitives Verständnis dieser »Nur-Geist-Lehre«, mit einem unerschütterlichen Glauben an die ursprüngliche Reinheit des Geistes, gilt im Zen als unerlässliche Voraussetzung zur Erleuchtung.
Alles ist ein allumfassendes Ganzes, das alles in sich beschlossen hält. Deshalb gibt es im Zen auch keine Trennung zwischen heilig und gewöhnlich, denn es unterscheidet nicht zwischen spirituellem Leben und aktivem Leben. Die ganze Welt, das ganze Universum, alles ist heilig, nichts, was nicht heilig wäre, und dies heißt letztlich: »Nichts ist heilig.« Mit den Worten von Bodhidharma, als Antwort auf die Frage, was das Heiligste in der Welt sei: »Offene Weite – nichts von heilig!«
Zen ist eine reine Angelegenheit der persönlichen Erfahrung. Deshalb will und muss es gelebt werden, überall und zu jeder Zeit, in jedem einzelnen Augenblick des Tages, denn der gegenwärtige Augenblick umfasst alles, die ganze Fülle des Seins. Wenn wir den gegenwärtigen Augenblick versäumen, versäumen wir das wirkliche Leben, denn wir versäumen die allgegenwärtige göttliche Wirklichkeit.
Das