Eine »Wunderheilung«: Mal sind die Tumore da, mal sind sie verschwunden
1957 publizierte der Psychologe Bruno Klopfer von der UCLA in einem Artikel in einer von Experten gegengeprüften Zeitschrift die Geschichte eines Mannes, den er als »Mr. Wright« bezeichnete und der unter einem fortgeschrittenen Lymphom, einer Krebserkrankung der Lymphdrüsen, litt.4 Er hatte riesige, teilweise orangengroße Tumore am Nacken, in der Leistengegend und in den Achseln. Der Krebs sprach auf konventionelle Behandlungen überhaupt nicht an. Mr. Wright lag wochenlang im Bett, »fiebrig, nach Luft schnappend, völlig bettlägerig«.
Sein Arzt, Philip West, hatte die Hoffnung aufgegeben – Wright allerdings nicht. Als er erfuhr, dass sein Krankenhaus (in Long Beach, Kalifornien) zufällig eines der zehn Hospitäler und Forschungszentren im Land war, welches mit einem aus Pferdeblut hergestellten Medikament namens Krebiozen experimentierte, erfasste ihn die Aufregung. Tagelang redete er auf Dr. West ein, bis der Arzt ihm schließlich das neue Heilmittel verabreichte (obwohl Wright nicht offiziell an der Studie teilnehmen konnte, weil die Voraussetzung für die Teilnahme eine mindestens dreimonatige Lebenserwartung war).
An einem Freitag wurde Wright das Krebiozen injiziert; am darauffolgenden Montag lief er herum, lachte und scherzte mit dem Pflegepersonal und verhielt sich wie ein ganz neuer Mensch. Laut Berichten von Dr. West waren die Tumore »wie Schneebälle auf einem heißen Herd weggeschmolzen«. Innerhalb von drei Tagen waren sie nur noch halb so groß wie am Anfang. Nach weiteren zehn Tagen wurde Wright als geheilt nach Hause geschickt. Es war wie ein Wunder.
Doch zwei Monate darauf berichteten die Medien, Krebiozen habe sich bei den zehn Versuchspersonen als Fehlschlag erwiesen. Als Wright dies las, sich die Ergebnisse klarmachte und den Gedanken akzeptierte, dass das Medikament wirkungslos war, erlitt er auf der Stelle einen Rückfall, und schon bald tauchten die Tumore wieder auf. Wie Dr. West vermutete, war Wrights anfängliche positive Reaktion auf den Placebo-Effekt zurückzuführen. Der Arzt wusste um die tödliche Erkrankung seines Patienten und hatte, wie er meinte, nichts zu verlieren, Wright dagegen alles zu gewinnen – wenn er seine Theorie auf den Prüfstand stellte. Also sagte er Wright, er solle nicht glauben, was in den Zeitungen stand, und er habe einen Rückfall erlitten, weil das Krebiozen, welches ihm injiziert worden war, zu einer Fehlcharge gehörte. Eine »neue, superwirksame, doppelt so starke« Version des Medikaments sei auf dem Weg ins Krankenhaus, und Wright könne damit behandelt werden, sobald sie da sei.
In Erwartung seiner bevorstehenden Heilung fasste Wright wieder Mut, und ein paar Tage darauf erhielt er die Injektion. Doch dieses Mal enthielt die Spritze keinerlei wirksame Arzneistoffe, sondern lediglich destilliertes Wasser.
Und erneut verschwanden Wrights Tumore wie durch ein Wunder. Er kehrte glücklich nach Hause zurück, zwei Monate lang ging es ihm gut, er hatte keine Tumore im Körper. Doch dann meldete die American Medical Association, also die amerikanische Ärztekammer, dass Krebiozen tatsächlich wirkungslos war. Die Ärzteschaft war übertölpelt worden. Die »Wunderdroge« war ein Schwindel, nur Mineralöl mit einer einfachen Aminosäure. Als Wright das hörte, erlitt er einen letzten Rückfall – er glaubte nicht mehr an eine mögliche Gesundung, kehrte ohne Hoffnung ins Krankenhaus zurück und war zwei Tage später tot.
Hat Wright womöglich seinen Seinszustand nicht nur ein-, sondern zweimal dahingehend verändert, dass er zu einem Mann wurde, der einfach keinen Krebs hatte – und zwar innerhalb von wenigen Tagen? Und hat sein Körper damit automatisch auf einen neuen Geist reagiert? Konnte er sich wirklich wieder in einen krebskranken Mann zurückverwandeln, nachdem er von der Wirkungslosigkeit des Medikaments gehört hatte, indem sein Körper genau diese chemischen Verbindungen produzierte und in die vertraute Befindlichkeit des Krankseins zurückkehrte? Ist es wirklich möglich, anders als durch Einnahme einer Pille, durch eine Spritze oder gar durch einen invasiven operativen Eingriff in einen solchen neuen biochemischen Zustand zu gelangen?
Die Knieoperation, die gar keine war
1996 publizierte der Orthopäde Bruce Moseley vom Baylor College of Medicine, einer von Houstons führenden Spezialisten für orthopädische Sportmedizin, eine klinische Fallstudie über seine Erfahrungen mit zehn freiwilligen Probanden – lauter Männer, die beim Militär waren und an einer Knie-Arthrose litten.5 Manche der Männer hinkten aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung, gingen am Stock oder brauchten zum Laufen eine Gehhilfe.
Die Studie befasste sich mit den häufig durchgeführten arthroskopischen Eingriffen. Dem narkotisierten Patienten wird dabei über einen kleinen Schnitt ein faseroptisches Instrument, ein sogenanntes Arthroskop, für eine Gelenkspiegelung eingeführt. Damit schaut sich der Chirurg das Knie des Patienten genauer an. Während der OP kratzt und spült der Chirurg das Gelenk aus, um eventuell vorhandene Fragmente von degeneriertem Knorpelgewebe zu entfernen, die als Ursache für die Entzündung und die Schmerzen gelten. Zum Zeitpunkt der Studie unterzogen sich jährlich etwa eine Dreiviertelmillion Patienten einer solchen Operation.
Im Rahmen von Dr. Moseleys Studie sollte an zweien der zehn Männer eine Standardoperation ausgeführt werden, die sogenannte Wundausschneidung (dabei kratzt der Chirurg Knorpelstränge vom Kniegelenk). Drei der Versuchspersonen sollten eine Spülung erhalten (d.h. es wird Wasser unter Hochdruck in das Kniegelenk injiziert und verschlissenes arthritisches Gewebe ausgespült). An fünf Männern wurde eine Scheinoperation durchgeführt; dabei wurde die Haut mit einem Skalpell geschickt aufgeschnitten und dann einfach wieder zusammengenäht, ohne einen medizinischen Eingriff durchzuführen. Diese fünf Männer wurden weder mit dem Arthroskop untersucht, noch wurde ihr Gelenk ausgekratzt. Es wurden auch keine Knochenfragmente entfernt oder ausgewaschen – es wurde nur ein Schnitt getätigt und dann wieder zugenäht.
Bei allen zehn Probanden wurde anfangs gleich vorgegangen: Der Patient wurde im Rollstuhl in den Operationssaal gefahren und erhielt ein Narkosemittel, während Dr. Moseley sich die Hände schrubbte. Wenn der Chirurg dann den OP-Saal betrat, wartete dort ein versiegelter Umschlag auf ihn mit Informationen darüber, welcher der drei Gruppen der jeweilige Patient auf dem OP-Tisch randomisiert zugewiesen worden war. Erst wenn Dr. Moseley den Umschlag aufriss, wusste er, was darin stand. Vorher hatte er keine Ahnung.
Nach der Operation waren alle zehn Patienten laut eigenen Aussagen mobiler und hatten weniger Schmerzen. Den Männern, die »scheinoperiert« worden waren, ging es genauso gut wie den Patienten, die eine Wundausschneidung bzw. eine Spülung erhalten hatten. Selbst sechs Monate nach der OP unterschieden sich die Ergebnisse nicht. Und sechs Jahre später sagten zwei der Männer, an denen die Placebo-Operation ausgeführt worden war, sie könnten nach wie vor ganz normal und ohne Schmerzen laufen, seien mobiler und könnten all die alltäglichen Dinge tun, die sie vor der Operation sechs Jahre zuvor nicht mehr tun konnten.6 Sie hatten das Gefühl, sie hätten ihr Leben wiedergewonnen.
Dr. Moseley war von diesen Ergebnissen fasziniert und veröffentlichte 2002 eine weitere Studie mit 180 Patienten, die man zwei Jahre lang nach ihrer Operation begleitete.7 Und wieder zeigten sich bei allen drei Gruppen Besserungen; die Patienten konnten direkt nach der Operation schmerzfrei gehen und hinkten nicht mehr. Und wieder konnten bei den beiden Gruppen, die tatsächlich operiert worden waren, keine stärkeren Verbesserungen festgestellt werden als bei den Patienten, die scheinoperiert worden waren – selbst nach zwei Jahren war das noch der Fall.
Ging es diesen Patienten womöglich einfach deshalb besser, weil sie dem Können des Chirurgen, dem Krankenhaus und auch dem glänzenden, modernen Operationssaal vertrauten und fest daran glaubten? Stellten sie sich vielleicht ein Leben mit einem vollkommen gesunden Knie vor, ließen sich auf dieses potenzielle Resultat ein und liefen dann buchstäblich genau in dieses Potenzial hinein? War Dr. Moseley eigentlich nichts weiter als ein moderner Medizinmann in einem weißen Laborkittel? Und ist es möglich, solche Heilerfolge