Manche Naturvölker glauben, dass die Welt unseren Blick spürt und uns ihrerseits ansieht, sogar die Bäume und Büsche, sogar die Steine. Und wenn Sie jemals eine Nacht allein im Regenwald (oder in irgendeinem Wald) verbracht haben, dann werden Sie wissen, dass die Qualität Ihres Sehens und Ihres Seins von Abrams „mehr-als-menschlicher Welt“ gesehen und erkannt werden. Sie werden spüren, dass Sie definitiv so gesehen und erkannt werden, wie Sie wirklich sind, auch wenn es vielleicht nicht das ist, was Sie normalerweise zu sein meinen. Und dass Sie, ob Ihnen das angenehm ist oder nicht, ein eng verwobener Bestandteil dieser einen belebten und empfindenden Welt sind.
*
Nur der Garten war immer wunderbar.
Schon seit langer Zeit hatte sich niemand mehr um ihn gekümmert, und er war wieder völlig verwildert.
Seine Schönheit lag in einer Subtilität, die nur genaues Hinsehen wahrzunehmen vermochte.
GIOIA TIMPANELLI,
Sometimes the Soul
Da waren sie, würdevoll, unsichtbar,
In einer Bewegung ohne Drängen, über den toten Blättern,
In der Herbstwärme, durch die flimmernde Luft,
Und der Vogel rief antwortend auf
Die ungehörte Musik verborgen im Unterholz,
Und der ungesehene Augenstrahl kreuzte sich, denn die Rosen
Boten den Anblick von Blumen, die angeschaut werden.
T. S. ELIOT,
Burnt Norton (FOUR QUARTETS)
Hören
Der alte Weiher.
Ein Frosch springt rein –
Platsch.
BASHO
(1644-1694)
Ich experimentiere: Kann ich das Geräusch einfach kommen und auf das „Ohr-Bewusstsein“ treffen lassen, das in der bloßen Erfahrung des Hörens entsteht, wie es in jedem Moment ja bereits geschieht? Ist es möglich, dass ich mir nicht selbst im Weg stehe, sondern einfach nur das Hören da sein lasse, dass ich die Geräusche an mein Ohr dringen lasse, sie im Ohr, in der Luft, im Augenblick sein lasse, ohne irgendetwas hinzuzufügen, ohne überhaupt etwas zu versuchen?
Einfach nur hören, was es zu hören gibt: wo die Geräusche ja sowieso schon ans Tor meiner Ohren pochen. In der Stille offener Aufmerksamkeit beim Hören sein. Tropf, tropf, tropf, glucker, glucker, glucker, plätscher, plätscher, plätscher … die Luft ist voller Geräusche. Der Körper gebadet in Klang. In der tiefen Stille ist da nur der Regen auf dem Dach, der manchmal, vom Wind gepeitscht, in Sturzbächen gegen das Fenster prasselt, reiner Klang in den Ohren, der den Raum erfüllt.
In diesem Augenblick ist da irgendwo, weit im Hintergrund, das Wissen, dass ich hier sitze, dass Regen fällt; doch die Erfahrung „vor dem Denken“, hinter allen Gedanken, die sich absondern, ist die von reinem Klang, von schlichtem Hören, in dem der Hörende vom Gehörten nicht mehr getrennt ist. Da ist nur Hören, Hören, Hören … und im Hören das Wissen um Klang jenseits von Begriffen wie „Regen“, jenseits von Konzepten wie „Ich“ oder „Hören“. Das Wissen verweilt im Hören. Für diesen Moment sind sie eins.
Heute Morgen ist der Regen so mächtig, so unwiderstehlich, so fesselnd, dass die Aufmerksamkeit sich mühelos aufrechterhält. Diese Geräusche zu erleben, hat für den Moment den denkenden Geist übertrumpft. Das ist nicht immer so und ist nicht einmal die Regel. Es ist so leicht, ins Denken zu verfallen. Ich lasse mich so leicht ablenken, mich so weit wegtragen von den Ohren, dass ich den Regen gar nicht mehr höre, ganz gleich, wie heftig er ist und obwohl der Körper und die Ohren immer noch genauso in seinem Geräusch gebadet sind wie zuvor, als es „nur dies“ gab …
Das also ist eine elementare Herausforderung der Achtsamkeit: Im bewussten Hören zu verweilen, nur das zu hören, was da ist, von Moment zu Moment zu Moment. Klänge tauchen auf und verschwinden, Stille in und hinter den Klängen, jenseits einer Interpretation des augenblicklichen Erlebens als angenehm oder unangenehm oder neutral, jenseits aller Merkmale und Urteile, jenseits aller Gedanken über irgendetwas, nur einfach hingegeben an das Sitzen, Hören, Atmen, Wissen …
Im Hören gibt es eine momentane Freiheit von jedem hörenden „Ich“ und vom Gehörten, von einem Wissenden und dem, was gewusst wird. Nichts fehlt. Ein Augenblick ursprünglichen Geistes, leer, wissend, unendlich. Für einen kurzen Augenblick vielleicht sind wir bei unseren Sinnen angekommen, sind wir zur „Be-sinn-ung“ gekommen. Können wir hier für eine Weile bleiben? Können wir hier leben? Was würden wir verlieren? Was gäbe es zu gewinnen? Wiederzufinden? Wann sind uns Klänge und der Raum zwischen den Klängen nicht präsent? Wann ist etwas, was wir sehen, nicht präsent? Sind wir für sie da? Können wir bei ihnen sein? Können wir das Wissen sein, in dem Wissen verweilen, aus dem Wissen heraus handeln, gänzlich präsent sein für das, was bereits da ist? Wie ist die Gefühlstönung eines solchen Augenblicks?
Es zu „versuchen“ ist nicht die Antwort. Wir müssen nicht „versuchen“ zu hören. Aber der Geist macht gern Umwege. Können wir es wissen? Können wir es wissen?
Selbst in Kyoto
– Hör ich den Kuckuck rufen –
Sehn’ ich mich nach Kyoto.
BASHO
*
Sei ein Mensch, hier. Steh am Fluss, beschwöre
die Eulen. Beschwöre Winter, dann Frühling.
Lass jede Jahreszeit, die da sein möchte,
rufen. Ist der Laut verschwunden, warte.
Eine Blase quillt langsam in der Erde hoch
und schließt allmählich Himmel, Sterne, Weltraum ein,
sogar die rasend ausgreifenden Gedanken.
Komm zurück und hör den leisen Ruf wieder.
Plötzlich passt, was du erträumt,
zu jedem Traum, und es entsteht die Welt.
Käme ein anderer Ruf so gäbe es nicht
die Welt, nicht dich, nicht Fluss, nicht Eulenruf
Wie du da stehst, ist wichtig. Wie du