Warum uns der Klimawandel an innere Grenzen bringt …. Richard Stiegler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Stiegler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867813099
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welche Verhaltensmuster im eigenen Leben und welche globalen Systeme (Energiegewinnung, Verkehr, Landwirtschaft, Fleischwirtschaft …) umgestellt werden müssen und wie das geschehen kann. Auch die Wirkung einer globalen Aufforstung ist inzwischen erforscht. Sie könnte sofort im großen Stil betrieben werden. In Kapitel 8 werde ich konkret auf beide Möglichkeiten eingehen.

      Für den Moment ist es mir aber wichtiger, ganz allgemein darauf hinzuweisen, dass wir dem Erdfieber nicht willenlos ausgeliefert sind. Wir kennen bereits entscheidende Heilmittel, und ich bin sicher, dass die kollektive Erschütterung, die die Diagnose einer Erkrankung der Erde bewirkt, einen ungeheuren kreativen Prozess in Gang setzen wird. Dieser kann heilsame Ideen, kreative Lösungsansätze und vielleicht noch ganz andere Kräfte hervorbringen, die jetzt noch gar nicht voraussehbar sind. Hölderlin sagt: »Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«

       Fragen zur eigenen Reflexion

      • Wie bewusst ist mir die Dynamik des Klimawandels?

      • Welche Rolle spielt er in meiner Innenwelt? Welchen Raum nimmt er in meinem äußeren Leben ein?

      • Kann ich zwischen Diagnose (aktueller Stand der Klimaerwärmung) und Prognose (Zukunftsszenario einer fortschreitenden Erhitzung) unterscheiden? Kann ich das auch dann noch unterscheiden, wenn ich mit anderen Menschen darüber spreche?

      • Welche Gefühle löst die Zukunftsprognose aus?

      KAPITEL 2

      Die tieferen Ursachen des Klimawandels

       Ich dachte immer, dass die Hauptprobleme unserer Umwelt der Verlust der Artenvielfalt, der Kollaps unseres Ökosystems und der Klimawandel seien. Ich dachte, dass wir diese Probleme bewältigen könnten, wenn wir innerhalb von 30 Jahren wissenschaftlich nur weit genug vorankämen. Aber ich habe mich getäuscht.

      Unsere größten Umweltprobleme liegen im Egoismus, in der Gier und in unserer Gleichgültigkeitund um damit umzugehen, brauchen wir einen spirituellen und kulturellen Wandel – und wie wir diesen Wandel anstoßen und vollziehen können, das wissen wir Wissenschaftler nicht.

      GUS SPETH3

      Wie ist es möglich, dass wir als Menschen trotz unserer hohen Intelligenz unsere Lebensgrundlage, also die Ökosysteme, in die wir eingebettet sind, systematisch schädigen, ja vielleicht sogar vernichten? Ist das nicht alles andere als intelligent?

      Offensichtlich scheint uns unser Verstand mit all seiner Intelligenz nicht davor zu bewahren, für kurzfristige Vorteile die Schädigung unserer Lebensgrundlage in Kauf zu nehmen. Im Gegenteil. Man hat fast den Eindruck, dass der Verstand alles, was denkbar ist, erreichen will. Ob Atombombe, genetische Manipulationen oder Expeditionen zum Mars, der Verstand kennt keine Schranke, sondern nur die Logik, dass das, was denkbar ist, auch machbar ist. Und das, was machbar ist, gemacht werden muss.

      Wenn wir diese Dynamik betrachten, sehen wir, dass in ihrem Zentrum die »Machbarkeit« und damit eine Zunahme an Macht steht. Das Sanskritwort für Mensch ist »purusha« und bedeutet, »etwas, das Macht hat«. Nicht anders lässt sich die Entwicklung des Menschen bis zum heutigen Tag begreifen. Seine Intelligenz hat ihm eine ungeheure Zunahme an Möglichkeiten auf diesem Planeten beschert. Seine Werkzeuge wurden dabei so mächtig, dass er bereits jetzt das Antlitz dieser Erde unwiederbringlich verändert hat.

      Natürlich ist die Dynamik des Verstandes nicht nur schlecht oder gefährlich. Sie hat dem Menschen auch sein Überleben gesichert, unzählige Annehmlichkeiten hervorgebracht und zeitlose Kulturgüter geschaffen. Ohne das Streben des Verstandes gäbe es kein Wasserklosett, kein Radio und keine Sinfonie von Beethoven. Es wäre also völlig falsch zu sagen, der Verstand sei die Wurzel des Problems und gefährde mit seiner expansiven Kraft unser Überleben und das Leben anderer Wesen auf diesem Planeten.

      Unsere Intelligenz ist nicht das Problem. Sie ist vielmehr ein ungeheuer machtvolles Werkzeug, das uns Menschen zur Verfügung steht. Sie kann gleichermaßen für konstruktive, also dem Leben dienende Prozesse, als auch für destruktive, also dem Leben schadende Prozesse eingesetzt werden. Wie jedes andere Werkzeug auch, kennt die Kreativität des Verstandes keine Ethik.

      Ein Hammer zum Beispiel ist ein wunderbares Werkzeug, um Nägel einzuschlagen, und dafür äußerst nützlich. Wir können ihn jedoch auch dazu verwenden, etwas zu zerstören. Dann wird er zu einem destruktiven Instrument. Dem Hammer ist es einerlei, wofür er gebraucht wird, und niemand würde auf die Idee kommen, einen Hammer dafür verantwortlich zu machen, wenn er eine destruktive Wirkung entfaltet. Denn das Problem liegt nicht im Hammer, sondern in der Intention, mit der er eingesetzt wird.

      Wenn wir also erkennen, dass die Intelligenz des Verstandes ein Werkzeug ist, das uns dabei helfen kann, zutiefst humane Dinge zu tun, das aber auch dazu eingesetzt werden kann, Wirtschaftssysteme zu betreiben, die unsere Lebensgrundlage gefährden, oder Kriege zu führen, unter denen ganze Völker leiden, dann müssen wir uns fragen: »Was ist die Intention, die unsere Intelligenz leitet? Wofür setzen wir unseren Verstand ein?«

      Wenn wir uns diese Frage stellen, dann erkennen wir an, dass es etwas Grundlegenderes als den Verstand gibt – eine zugrunde liegende Intention, die dem Werkzeug unserer Intelligenz eine Richtung gibt. Im Zentrum steht dann nicht mehr die Machbarkeit und die expansive Kraft des Verstandes, sondern eine Motivation, die darüber entscheidet, wie das Instrument des Verstandes eingesetzt wird.

      Doch wo ist diese Grundintention angesiedelt? Gibt es etwas Grundlegenderes, das uns zum Menschen macht, als unseren Verstand? Ja, das gibt es. Menschen sind nämlich nicht nur denkende Wesen, sondern vor allen Dingen auch fühlende Wesen. Menschen haben eine Seele. Das unterscheidet uns ganz grundlegend von Maschinen oder Computern, die zwar höchst effektiv arbeiten und in gewissem Sinne auch denken können, aber nicht fühlen.

      Die Fähigkeit zu fühlen gibt uns die Möglichkeit einer hohen Empathie für andere Menschen, aber auch für Tiere und Pflanzen. Sie gibt uns die Möglichkeit, nicht nur zu wissen, dass wir Teil dieses Ökosystems Erde sind, sondern diese Einheit des Lebens unmittelbar zu erfahren. Wie oft wird mir berichtet, dass Menschen eine tiefe Verbundenheit erfahren, wenn sie in der Natur unterwegs sind. Wie viel Zeugnisse gibt es davon, dass Menschen immer wieder von der Schönheit und Erhabenheit des Lebens tief berührt sind und in diesen Momenten dem Geheimnis des Lebens ganz nahekommen.

      Die Seele ist das Organ, das lieben kann. Eltern versorgen ihre Kinder nicht, weil es vernünftig ist, dies zu tun, sondern weil sie sie lieben. Diese Liebe ist der Ausdruck einer tiefen Verbundenheit mit den eigenen Kindern. Wenn Eltern diese Verbundenheit motiviert, werden sie dann ihre Kinder schädigen oder sie verletzen? Wohl kaum. Sie werden im Gegenteil alles dafür tun und auch ihre Intelligenz dafür einsetzen, ihre Kinder zu schützen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen, selbst wenn sie als Eltern dabei auf manches verzichten müssen.

      Die fühlende Seele lebt in einer tiefen Verbundenheit mit sich und allen Wesen. Wenn wir diese Verbundenheit in der Tiefe nicht spüren können, leiden wir als Mensch. Dieses Leiden zeigt sich als Einsamkeit, als Unzufriedenheit, als Sinnlosigkeit oder als Sehnsucht. Es ist der Ruf der Seele nach sich selbst. Erst wenn wir diese Verbundenheit in der Tiefe fühlen, kommt etwas in uns zur Ruhe, und wir fühlen die Sinnhaftigkeit unseres Daseins.

      Das Gefühl von Sinn entfaltet sich daher nicht durch »sinnvolle« Handlungen oder durch Aufgaben, die wir übernehmen, sondern immer dann, wenn wir uns innerlich verbunden fühlen.

      Erst dann spüren wir in der Tiefe den Platz, den wir im Verbund des Lebens einnehmen, und wir spüren die Würde, die in uns und in allen fühlenden Wesen wirkt.

      Auch Würde ist ein zentraler Aspekt der Seele, genauso wie die Liebe, die aus tiefer Verbundenheit erwächst. Wir können über Würde diskutieren, wir können sie im Grundgesetz verankern, aber wir müssen sie fühlen, um sie wirklich zu begreifen. Nur dann kann sie ihre Wirkung entfalten und wird für uns zu einer lebensbejahenden Basis, die in allem Lebendigen spürbar