Nach innen lauschen. Richard Stiegler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Stiegler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867813075
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uns also, den inneren Weg zu gehen? Welche innere Sehnsucht treibt uns? Das sind Fragen, die wir uns immer wieder vor jeder Meditation stellen können, um unsere Motivation frisch zu halten. Mit diesen Fragen nehmen wir Kontakt zu unserer Sehnsucht auf und aktualisieren den inneren Antrieb, der uns meditieren lässt.

      Motivation ist eine Kraft. Sie ermöglicht es uns, unsere Aufmerksamkeit in einer gesammelten Weise zu richten. Wenn wir zu einer Sache stark motiviert sind, ist es sehr leicht, wirklich konzentriert und interessiert bei dieser Sache zu verweilen. Wenn wir jedoch etwas aus Pflichtgefühl oder einer Gewohnheit heraus tun, also ohne lebendige, innere Motivation, wird es sehr mühsam sein, diese Sache unabgelenkt und konzentriert zu verfolgen. Das bedeutet, die Qualität unserer Achtsamkeit für den Augenblick erhöht sich entscheidend, wenn unsere Motivation frisch und lebendig ist.

      Die Motivation zur Meditation kann vielfältig sein und sie kann sich im Laufe der Jahre verändern. Es kann sein, dass wir aus einer inneren Not oder Unzufriedenheit heraus die Praxis der Meditation beginnen und uns dabei nach Qualitäten wie innerem Frieden oder innerer Fülle sehnen. Vielleicht haben wir bereits Momente von Frieden, Klarheit und innerer Weite in unserer Meditation erfahren und sehnen uns danach, diese inneren Zustände zu wiederholen und zu vertiefen. Möglicherweise verspüren wir innerlich einen Drang, den menschlichen Geist und das Leben selbst in seiner Natur tiefer und tiefer durchdringen zu wollen. Die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis kann eine kraftvolle Motivation sein, die uns unabhängig von „guten“ oder „schlechten“ Momenten in der Meditation unbeirrt dranbleiben lässt. Schließlich kann es sein, dass wir die allumfassende Verbundenheit auf unserem inneren Weg erfahren haben und sich unsere Motivation nochmals grundlegend ändert. Meditation wird dann zum Dienst am großen Ganzen.

      Welche Motivation auch immer uns bewegt, keine ist besser oder schlechter. Sie ist nur ein Ausdruck davon, wo wir uns auf unserem inneren Weg gerade befinden. Wenn wir unsere aktuelle Motivation ernst nehmen und sie in uns lebendig halten, wird sie uns die Kraft geben, die nächsten Schritte zu gehen.

       Reflektiere zu Beginn der Meditation:

       • Welche grundlegende Motivation bewegt dich? Wonach sehnst du dich im Tiefsten?

       • Erforsche diese Motivation als eine innere Kraft.

      7 Sitzen wie ein Berg

      Nach der Klärung der Motivation beginnt der eigentliche Weg. Wir setzen Schritt für Schritt den Fuß auf den Boden und jeder Schritt bedeutet, sich neu einzulassen. Jeder Schritt, jeder Atemzug, jede gegenwärtige Erfahrung ist eine Begegnung. Das Leben in seiner gegenwärtigen Gestalt tritt uns entgegen.

      Das braucht Entschlossenheit und ein Dranbleiben, ein fortwährendes, aber ständig neues Sicheinlassen. In der buddhistischen Tradition wird dies „Rechtes Bemühen“ genannt. Normalerweise verbinden wir mit „Bemühen“ sofort auch „Anstrengung“. Im Kontext der Meditation ist damit aber etwas anderes gemeint: die Sorgfalt und die innere Disziplin, uns auf den gegenwärtigen Moment ganz einzulassen.

      „Sich einlassen“ ist ein Akt des Empfangens, nicht des Tuns. Wir öffnen uns und nehmen eine Haltung des Empfänglichseins ein. „Sich anstrengen“ dagegen beinhaltet ein Wollen und eine Handlung. „Empfangen“ ist aber eine Nichthandlung. Trotzdem braucht es auch im Empfangen eine stetige Sorgfalt, die immer neue Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Moment.

      Stellen wir uns vor, wir erhalten ein Geschenk. Braucht es eine Anstrengung dafür, ein Geschenk in Empfang zu nehmen? Natürlich nicht. Aber es bedeutet einen großen Unterschied in der Wirkung, ob wir es wirklich mit Sorgfalt und Liebe auspacken und uns davon berühren lassen oder ob wir es achtlos weglegen. Erst durch die Sorgfalt einer wachen Aufmerksamkeit offenbart sich uns das Geschenk des augenblicklichen Lebens.

      Die Entschlossenheit, uns ganz auf den gegenwärtigen Moment einzulassen und dabei gleichzeitig die äußere Form des Sitzens oder Gehens zu wahren, gibt unserer Meditation eine enorme Stabilität. Wir halten die äußere Form ein, ganz gleich, was geschieht, und wir öffnen uns bedingungslos dem gegenwärtigen Moment, egal, ob er sich angenehm oder unangenehm, erwünscht oder unerwünscht anfühlt. Äußerlich wie innerlich ist dabei unsere Haltung bedingungslos und damit unerschütterlich wie ein Fels.

      „Sitzen wie ein Berg“ wird das im Zen genannt. Wobei uns hier die Assoziation eines Berges oder Felsens auch in die falsche Richtung führen kann. Ein Berg oder ein Felsen scheint etwas Starres oder Schweres zu sein, etwas Unbewegliches. In der Meditation ist unsere innere Haltung jedoch alles andere als starr. Im Gegenteil, sie ist geprägt von totaler Offenheit, von Empfänglichkeit, von einem völligen Sicheinlassen auf den Moment. Ganz anders als ein Berg verkörpern wir in der Meditation vollkommene Durchlässigkeit. Wir sitzen also eher wie Wasser oder wie der weite, offene Himmel. Wasser ist vollkommene Hingabe und der Himmel ist empfangend und bedingungslos offen, weil er alles aufnehmen und beherbergen kann.

       • Sprich zu Beginn der Meditation die Worte in dich hinein: „den Augenblick empfangen“ und beobachte, wie diese Haltung deine Meditation verändert.

       • Stell dir den weiten offenen Himmel vor, nimm eine Gebärde dazu ein und erforsche dein Erleben dazu.

       • Wie wäre es, in der Grundhaltung des „Himmels“ zu meditieren?

       • Wie erfährst du „Bedingungslosigkeit“?

      8 Absichtslos sein

      Achtsames Gewahrsein ist eine sensitive, bewusste Form der Aufmerksamkeit. Wir sind uns des augenblicklichen Geschehens bewusst und gehen in einen unmittelbaren Kontakt. Das ist nur möglich, wenn wir absichtslos sind.

      Alltägliche Wahrnehmung ist in der Regel zielgerichtet, absichtsvoll und automatisiert. Hier entsteht kaum eine sinnliche Erfahrung mit den Dingen. Im Alltag benutzen wir die Dinge. Daher genügt es, wenn unser Geist die Dinge anhand oberflächlicher Merkmale erkennt, um sie entsprechend zweckgebunden gebrauchen zu können.

      Wenn wir eine Tasse Tee anfassen, um daraus zu trinken, widmen wir uns nicht bewusst den Empfindungen, die die Tasse in unserer Hand auslöst. Unser Körper greift wie nebenbei zur Tasse und führt sie zum Mund, ohne bewussten Kontakt zu der sinnlichen Erfahrung bei diesem Vorgang.

      Ganz anders verhält es sich, wenn wir absichtslos eine Tasse Tee ergreifen und sie mit unseren Fingern erkunden. Erst jetzt spüren wir beim Ergreifen der Tasse ihre Form, die Beschaffenheit der Oberfläche und die angenehme Wärme, die in unsere Finger hinein ausstrahlt. Finger und Tasse werden zu einer lebendigen Erfahrung des intensiven Spürens.

      Je mehr es uns gelingt, nicht nur unserer Absicht und dem Gelingen einer Handlung Aufmerksamkeit zu widmen, sondern alle Facetten des Tuns mit unseren Sinnen zu erfahren, desto leichter wird es, uns von den Dingen berühren zu lassen. Unsere Aufmerksamkeit verschiebt sich dabei immer mehr von einer funktionalen Wahrnehmung zu einer sensitiven, lauschenden Achtsamkeit. Erst jetzt offenbaren sich uns die Dinge tiefer. Uns erschließt sich die wertfreie Natürlichkeit allen Seins. Begegnen wir den Dingen offen und sensitiv, tauchen wir in eine Unmittelbarkeit ein, die sinnlich und erfüllend zugleich ist.

      Die Haltung der Absichtslosigkeit ist ein zentraler Schlüssel zu unmittelbarem Gegenwärtigsein. Sie ist gleichzeitig im Einklang mit unserer Grundrealität von Gewahrsein. Das Gewahrsein ist ungerichtet, vollkommen absichtslos. Alles darf im Gewahrsein in der ureigenen Weise erscheinen und wieder vergehen. Wollen wir das Gewahrsein immer mehr verwirklichen und daraus leben, ist die Haltung der Absichtslosigkeit eine Grundvoraussetzung.

      Auch die äußere Form der Praxis verkörpert aus diesem Grund die Absichtslosigkeit. Wir gehen meditativ, um zu gehen, und nicht, um irgendwo anzukommen. Wir sitzen, um zu sitzen, und nicht, um am Schreibtisch etwas zu erledigen. Gehen, um zu gehen, sitzen, um zu sitzen, atmen, um zu atmen, spüren, um zu spüren … Können wir den Geschmack von Freiheit darin erkennen, der in dieser unbedingten Natürlichkeit liegt?

      In der Absichtslosigkeit kann alles sein. Es darf alles geschehen, so wie es natürlicherweise geschehen will. Unsere Wahrnehmung ist frei, die Dinge