Ich zähle damit auf den Teil unserer Jugend, der tief genug ist, um hinter dem gemeinen Tun, dem platten Reden, dem wertlosen Plänemachen das Starke und Unbesiegte zu fühlen, das seinen Weg vorwärts geht, trotz allem; die Jugend, in welcher der Geist der Väter sich zu lebendigen Formen gesammelt hat, die sie fähig machen, auch in Armut und Entsagung, römisch im Stolz des Dienens, in der Demut des Befehlens, nicht Rechte von anderen, sondern Pflichten von sich selbst fordernd, alle ohne Ausnahme, ohne Unterschied, ein Schicksal zu erfüllen, das sie in sich fühlen, das sie sind. Ein wortloses Bewusstsein, das den einzelnen in ein Ganzes fügt, unser Heiligstes und Tiefstes, ein Erbe harter Jahrhunderte, das uns vor allen anderen Völkern auszeichnet, uns, das jüngste und letzte unsrer Kultur.
An diese Jugend wende ich mich. Möge sie verstehen, was damit ihrer Zukunft auferlegt wird; möge sie stolz darauf sein, dass man es darf.
1 »Untergang des Abendlandes«, bei Null Papier erschienen. <<<
1.
Die Geschichte kennt kein Volk, dessen Weg tragischer gestaltet wäre. In den großen Krisen kämpften alle anderen um Sieg oder Verlust; wir haben immer um Sieg oder Vernichtung gekämpft: von Kolin und Hochkirch über Jena und die Freiheitskriege, wo noch auf französischem Boden versucht wurde, durch eine Aufteilung Preußens die Verständigung zwischen dessen Verbündeten und Napoleon zu erreichen, über jene verzweifelte Stunde von Nikolsburg, in der Bismarck an Selbstmord dachte, und Sedan, das die Kriegserklärung Italiens und damit eine allgemeine Offensive der Grenzmächte eben noch abwandte, bis zu dem Gewitter furchtbarer Kriege über den ganzen Planeten hin, dessen erste Schläge eben verhallt sind. Nur der Staat Friedrichs des Großen und Bismarcks durfte es wagen, an Widerstand überhaupt zu denken.
In all diesen Katastrophen haben Deutsche gegen Deutsche gestanden. Es gehört nur der Oberfläche der Geschichte an, dass es oft Stamm gegen Stamm oder Fürst gegen Fürst war; in der Tiefe ruhte jener Zwiespalt, den jede deutsche Seele birgt und der schon in gotischer Zeit, in den Gestalten Barbarossas und Heinrichs des Löwen zurzeit von Legnano groß und düster hervortrat. Wer hat das verstanden? Und wer durchschaut jene Wiederkehr des Herzogs Widukind in Luther? Welcher dunkle Drang ließ all jene Deutschen für Napoleon kämpfen und fühlen, als er mit französischem Blute die englische Idee über den Kontinent trug? Was verbindet in der tiefsten Tiefe das Rätsel von Legnano mit dem von Leipzig? Weshalb empfand Napoleon die Vernichtung der kleinen fridericianischen Welt als seine ernsteste Aufgabe – und im Grunde seines Geistes als eine unlösbare?
Der Weltkrieg ist, am Abend der westlichen Kultur, die große Auseinandersetzung zwischen den beiden germanischen Ideen, Ideen, die wie alle echten nicht gesprochen, sondern gelebt wurden. Er trug seit seinem wirklichen Ausbruch, dem Vorpostengefecht auf dem Balkan 1912, zunächst die äußere Form des Kampfes zweier Großmächte, von denen die eine beinahe niemand, die andere alle auf ihrer Seite hatte. Er endete zunächst im Stadium der Schützengräben und verrottenden Millionenheere. Aber schon in diesem wurde eine neue Formel des ungemilderten Gegensatzes gefunden, die augenblicklich mit den Schlagworten Sozialismus und Kapitalismus in einem sehr flachen Sinne und mit der vom vorigen Jahrhundert ererbten Überschätzung rein wirtschaftlicher Einzelheiten bezeichnet wird. Hinter ihnen tritt die letzte große Seelenfrage des faustischen Menschen zutage. In diesem Augenblick tauchte, den Deutschen selbst nicht bewusst, das napoleonische Rätsel wieder auf. Gegen dieses Meisterstück von Staat, unsre echteste und eigenste Schöpfung, so eigen, dass kein anderes Volk es zu verstehen und nachzuahmen vermochte, dass man es hasste wie alles Dämonisch-Unergründliche, rannte das englische Heer Deutschlands an.
2.
Denn das gibt es. Was hier zum tödlichen Streich ausholte, war nicht notwendig ein Verrat aus weltbürgerlichem Hange oder schlimmeren Gründen; es war ein beinahe metaphysisches Wollen, zäh und selbstlos, oft einfältig genug, oft begeistert und ehrlich patriotisch, aber in seinem bloßen Dasein eine stets bereite Waffe für jeden äußeren Feind von der praktischen Tiefe des Engländers; ein verhängnisvoller Inbegriff von politischen Wünschen, Gedanken, Formen, die in Wirklichkeit nur ein Engländer ausfüllen, meistern, nutzen kann, für Deutsche trotz aller schweren Leidenschaft und ernsten Opferwilligkeit nur ein Anlass dilettantischer Betätigung, in seiner staatsfeindlichen Wirkung vernichtend, vergiftend, selbstmörderisch. Es war die unsichtbare englische Armee, die Napoleon seit Jena auf deutschem Boden zurückgelassen hatte.
Das, der bis zur Wucht eines Schicksals herausgebildete Mangel an Tatsachensinn ist es, was von der Höhe der Stauferzeit an, wo diese prachtvollen Menschen sich über die Forderung des Tages erhaben fühlten, bis herab zur provinzialen Biedermännerei des 19. Jahrhunderts, die man auf den Namen des deutschen Michel getauft hat, jenem anderen Instinkt entgegenarbeitete und ihm eine Entfaltung aufzwang, die seine äußere Geschichte zu einer dichten Folge verzweifelter Katastrophen gestaltet hat. Das Micheltum ist die Summe unsrer Unfähigkeiten, das grundsätzliche Missvergnügen an überlegnen Wirklichkeiten, die Dienst und Achtung fordern, Kritik zur unrechten Zeit, Ruhebedürfnis zur unrechten Zeit, Jagd nach Idealen statt rascher Taten, rasche Taten statt vorsichtigen Abwägens, das »Volk« als Haufe von Nörglern, die Volksvertretung als Biertisch höherer Ordnung. Alles das ist englisches Wesen, aber in deutscher Karikatur. Und vor allem das Stückchen privater Freiheit und verbriefter Unabhängigkeit, das man genau dann aus der Tasche zieht, wenn John Bull es mit sicherm Instinkt beiseite legen würde.
Der 19. Juli 1917 ist der erste Akt der deutschen Revolution. Das war kein bloßer Wechsel der Führung, sondern wie die brutale Form namentlich dem Gegner verriet, der Staatsstreich des englischen Elements, das seine Gelegenheit wahrnahm. Es war die Auflehnung nicht gegen die Macht eines Unfähigen, sondern gegen die Macht überhaupt. Unfähigkeit der Staatsleitung? Hatten diese Gruppen, in denen nicht ein Staatsmann saß, nur den Splitter im Auge der Verantwortlichen gesehen? Hatten sie statt der Fähigkeiten, die sie nicht bieten konnten, in dieser Stunde etwas andres einzusetzen