Es war wenig verwunderlich, dass zufällig ein EU-Kommissar aus dem Heimatland der größten Wasserkonzerne, Frankreich, den Europäern die Vorteile der Wasserprivatisierung erklären wollte. Nach Protesten, einem Wasservolksbegehren und nicht auch zuletzt aufgrund der Mobilisierung durch die KRONE musste das Vorhaben vorerst aufgegeben werden.
Nur aufgrund dieser Vorkommnisse müsste jeder EU-Abgeordnete ein Gesetz, das ihm von der Kommission vorgelegt wird, mit folgendem Generalverdacht behandeln: „Ein Gesetzesvorschlag der Kommission ist so lange verdächtig, bis das Gegenteil bewiesen ist“.
Doch kommen wir zum zweiten Punkt: Die heutige Gesellschaftspolitik, dem gesellschaftlichen Mainstream, der so genannten „Beleidigtenkultur“.
Im Zentrum der heutigen Politik, insbesondere der heutigen Gesellschaftspolitik steht das „Opfer“.
Irgendjemand wurde gemobbt, beleidigt, diskriminiert, vernachlässigt, schlecht oder ungerecht behandelt, übersehen, gestalkt, nicht genügend respektiert, nicht wahrgenommen, nicht verstanden oder schlicht vergessen. Es gibt heute eine unübersehbare Anzahl an Opfern, ja ganze Opferclans. In unserer Gesellschaft ist „das Opfer“ in allen seinen neuen Varianten ein geachteter Vertreter unserer Zeit geworden. Das verkauft man uns als Fortschritt.
Doch diese Beleidigtenkultur ist das Gegenteil davon; also weder fortschrittlich noch hochsozial. Sie tritt an die Stelle des Staates als übergeordnetes Gemeinwesen und ist die neue Form der „primitiven Stammesgesellschaft, in der die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe alle anderen Loyalitätsverhältnisse überlagert“. Es ist die „Randgruppen-Hierarchie der Stammeswelt“, wie es der Publizist Jan Fleischhauer treffend ausgedrückt hat. Je beleidigter und empörter eine Gruppe in der Öffentlichkeit auftritt, umso sicherer ist ihr die Aufmerksamkeit der Medien und des Gesetzgebers. Die gesetzlichen Anstrengungen steigen immer mehr an, um auch wirklich jede Form der Benachteiligung zu vermeiden: Denken Sie an die verpflichtende Quoten, Gleichstellungsprogramme, Sprachverordnungen, Anti-Diskriminierungsgesetze, Bundesgleichbehandlungsgesetze, Kommissionen und dergleichen mehr. Jeder muss berücksichtigt werden. Ein sehr gutes Beispiel sind die „Andersgeschlechtlichen“. Facebook führte neben männlich, weiblich oder transsexuell 57 weitere, verschiedene Geschlechtsidentitäten ein. Hier einige Beispiele:
androgyner Mensch, androgyn, bigender, weiblich, Frau zu Mann (FzM), gender variabel, genderqueer, intersexuell (auch inter*), männlich, Mann zu Frau (MzF), weder noch, geschlechtslos, nicht-binär, weitere, Pangender, Pangeschlecht, trans, transweiblich, transmännlich, Transmann, Transmensch, Transfrau, trans*, trans* weiblich, trans* männlich, Trans* Mann, Trans* Mensch, Trans* Frau, transfeminin, Transgender, transgender weiblich, transgender männlich, Transgender Mann, Transgender Mensch, Transgender Frau, transmaskulin, transsexuell, weiblich-transsexuell, männlich-transsexuell, transsexueller Mann, transsexuelle Person, transsexuelle Frau, Inter*, Inter* weiblich, Inter* männlich, Inter* Mann, Inter* Frau, Inter* Mensch, intergender, intergeschlechtlich, zweigeschlechtlich, Zwitter, Hermaphrodit, Two Spirit drittes Geschlecht, Viertes Geschlecht, XY-Frau, Butch, Femme, Drag, Transvestit, Cross-Gender.
Wie diese künftig nicht-diskriminierend bei der Besetzung von Aufsichtsräten oder im Text der Bundeshymne berücksichtigt werden sollen, bleibt offen. Doch Vorsicht: Nicht jede Minderheiten-Zugehörigkeit qualifiziert automatisch für den Opferstatus. Millionäre, Jäger, Offiziere oder Adelige schaffen es selten auf die Liste der bedrohten Arten. Aber das ist ein anderes Thema.
Hinzu kommen noch dutzende – unsinnige und überbordende – Sprachverordnungen, die den Regeln der deutschen Sprache und der Verständlichkeit zuwiderlaufen. Hier ein Beispiel aus der gegenderten Bundesverfassung:
„Dauert die Verhinderung der Bundespräsidentin/des Bundespräsidenten, deren/dessen Funktion zunächst auf die Bundeskanzlerin/den Bundeskanzler übergegangen ist, länger als 20 Tage, so üben die Präsidentin/der Präsident, die zweite Präsidentin/der zweite Präsident und die dritte Präsidentin/der dritte Präsident des Nationalrates als Kollegium die Funktionen der Bundespräsidentin/des Bundespräsidenten aus“.
Zudem existiert ein falscher Gleichheitsgedanke: Der Begriff der Gerechtigkeit wird einfach mit dem Begriff Gleichheit vertauscht. Gleichheit = Gerechtigkeit. Um diese Gleichheit zu erzwingen, braucht es Normen und Gesetze und Personen, die die Umsetzung der Gleichheit überwachen. Doch diese Gleichheit, die unter dem Titel Chancengleichheit daherkommt, ist in Wahrheit nur eine leere politische Phrase und Selbstbetrug: Denn wenn alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Status, die gleiche Chance haben, dann tritt die Ungleichheit noch stärker hervor. Wenn beispielsweise David Alaba und ich je einen Fußball bekommen und wir gleich oft damit trainieren, dann kann ich Ihnen garantieren, dass David Alaba der weit bessere Spieler sein wird. Also: Die Ungleichheit zwischen uns beiden tritt noch stärker hervor. Da man aber Gleichheit nicht als Chancengerechtigkeit, sondern als Gleichheit in den Ergebnissen misst, wird (insbesondere in den Schulen) alles unternommen, damit David Alaba nicht besser Fußball spielt als ich, weil man ja das gleiche Ergebnis erzielen will. Man versucht die Schwachen zu stärken, indem man die Starken schwächt. Und um diese veritable Dummheit durchzusetzen, muss man Gesetze einführen und Leute anstellen, die dafür sorgen, dass der Alaba nicht zu gut wird, weil es sonst für den Wallentin ungerecht ist.
Und wer in der Gleichheit auf materiellem Niveau sein politisches Ziel sieht (Stichwort Kommunismus), für den ist das individuelle Erwerbsstreben, der Fleiß und die Tüchtigkeit des anderen eine ständige Bedrohung. Hierfür gibt es sogar aktuelle Beispiele aus der EU-Wirtschaftspolitik. Noch vor etwa einem Jahr wollte die EU Deutschland für seinen Exporterfolg so lange bestrafen, bis sich die deutsche Volkswirtschaft auf dem Niveau der Schuldenstaaten befindet. Salopp gesagt, hätte Deutschland jedes Mal Strafe zahlen müssen, wenn ein Grieche einen VW-Golf kauft.
Gerade in der Schulpolitik sehen wir die zahlreichen Verordnungen, Schulversuche und Sonderregelungen, weil auch hier das Motto gilt: „Lieber alle gleich schlecht, als unterschiedlich gut“. Der Erfolg sind eine Million Analphabeten. Werte, die durchaus mit dem Mittelalter konkurrieren können.
Zum dritten Punkt: Die Veränderung und Aufweichung, ja der Wegfall der Werte, insbesondere der Wegfall der christlich fundierten Werte, also jenem Erbe, von dem Europa sich nicht gänzlich lösen kann, ohne zu zerfallen. Das zerstört den Grundkonsens in den Staaten Europas, der durch immer neue Gesetze ersetzt werden muss. Dahinter steht das politisch-utopische Programm der befreiten Gesellschaft, die den Staat nicht pluralistischer, sondern bodenlos macht.
Die politische Dimension der Utopie von der befreiten Gesellschaft liegt in dem (auf Rousseau zurückgehenden) Irrglauben, dass der Mensch das großartigste Wesen auf der Welt ist, aber nur durch die Gesellschaft verdorben wird. Man müsse nur die Gesellschaft ändern und den Menschen befreien und schon schaffen wir das Paradies auf Erden. Diese grobe Verkennung des Menschen und von alledem, was ihn treibt, hat schon in der Vergangenheit zu großem Unglück geführt – man denke an die Auswüchse des Kommunismus. Zudem steht dieses scheinbar fortschrittliche Denken weit hinter demjenigen der angeblich rückschrittlichen Kirche, die von der Erbsünde spricht und damit ausdrückt, dass wir Menschen nicht so großartig sind, wie wir oft meinen.
Begleitet wird diese ideologische Forderung auch von einer sehr eigentümlichen Geschichtsauffassung: Die gesamte bisherige Geschichte wird als Geschichte der Unfreiheit verstanden. So ziemlich alles war falsch, despotisch, rückständig und hatte archaische Strukturen. Erst heute könne die gerechte Gesellschaft gebaut werden.