Ich muss mich erstmal um den jungen Mann kümmern. Er sieht verletzt aus. Hoffentlich wurde er nicht gebissen. Alles andere kann warten.
Martin traf die Erkenntnis wie ein Vorschlaghammer.
Ich kann tatsächlich Gedanken lesen! Ich bin wahrhaftig selbst ein Freak!
Mit einem Ächzen flüchtete er sich in die dunklen, weichen Arme einer Ohnmacht.
Kapitel VIII - Unbequeme Wahrheiten
Frank stand zwischen den Häusern, die die ersten Ausläufer der Ortschaft Königsdorf bildeten. Regungslos beobachtete er das Massaker, dass die paar Menschen unter den Zombies angerichtet hatten. Nicht dass ihm die wandelnden Leichen leid taten. Von Ihnen gab es mehr als genug, auch wenn es Zeit kosten würde, sie zu rufen.
Sie zu rufen. Ja, das war eines der Dinge, über die er nachdenken musste. Das andere waren die Kinder und der schlaksige Mann auf dem Acker, und das, was da mit den Zombies geschehen war. Leise zog Frank sich in eines der leer stehenden Häuser zurück. Zwei weibliche Zombies gingen mit ausgestreckten Armen und aufgerissenen Mündern auf ihn zu. Ein kurzer Blick auf die zwei, ein Gedanke ... und sie vergaßen umgehend ihre Feindseligkeit. Ihre Arme fielen kraftlos herunter, ihre Münder schlossen sich. Der typisch tumbe Ausdruck von Untoten machte sich auf ihren Gesichtern breit. Frank schauderte. Sie hatten auf ihn gehört, ohne dass er ein Wort gesagt hatte. Die anderen Zombies, da hinten auf dem Acker, waren seinen Gedanken ebenso gefolgt, wie die, die ihm aus dem zerstörten Köln hierher gefolgt waren. Sie waren wie ferngesteuerte Spielzeuge gewesen, während er sich einfach nur vorstellte, was sie als nächstes tun sollten. So hatten sie auch die Kinder attackiert, als er sie auf der Autobahn bemerkt hatte. Gefolgt waren sie ihnen freiwillig, gelenkt durch ihrem Instinkt. Aber die Art, wie sie ausgeschwärmt waren und die Flüchtlinge in die Zange genommen hatten ... das waren Franks Vorstellungen gewesen. Hatte der merkwürdige Fremde ihm etwas gegeben, das ihm Macht über die Untoten gab? Wenn ja, dann war es nur logisch, dass die Kinder oder der Schlaksige auch etwas erhalten hatten, das ihnen die Möglichkeit gab, die Zombies ohne Waffen zu bekämpfen. War das auch der Fremde gewesen?
»Nein, das war mein Freund gewesen.«
Die Stimme in Franks Rücken vibrierte vor schlecht unterdrückter Enttäuschung. Eisige Kälte strömte von dort aus, wo Frank den Fremden vermutete. Ohne sich umzudrehen stellte er seine Frage.
»Haben Sie mir die Kontrolle über die Zombies gegeben?«
Ein leises Lachen.
»Natürlich. Sonst wärst du trotz all deiner Vorzüge recht nutzlos für mich.«
»Warum?«
»Warum?« Genervtes Seufzen. »Warum, warum, warum ... ihr Menschen seid so besessen auf Antworten, dass ihr die Fragen gar nicht mehr seht oder euch an Geschenken erfreuen könnt, die man euch macht.«
»Hüte dich vor den Griechen, wenn sie Geschenke machen. Ich bin kein echter Mensch mehr. Schon vergessen?«
Wieder dieses leise Lachen.
»Touché. Selbst in deinem jetzigen Zustand scheinst du mir ein würdiger Gegner für ein verbales Gefecht unter Freunden zu sein.«
Eine Hand legte sich auf Franks Schulter. Sie war so kalt, dass er fröstelte.
»Und das ist der Grund, warum ich dich auserwählt habe.«
»Wer sind Sie? Was sind Sie?«
»Mann nennt mich Gabriel, mein Freund.«
»Gabriel, wie der Erzengel?«
Der Fremde schwieg, was Frank als Zusage deutete. Er wollte sich immer noch nicht umdrehen, dem merkwürdigen Fremden nicht ins Gesicht blicken. Sein Hass war auf dem Weg hierher verraucht. Zurückgeblieben war eine merkwürdige Leere in ihm, eine Gefühlskälte, welche die dunklen Flecken auf der Landkarte seiner Erinnerung nur noch schlimmer machte. Sandra. Wie hatte sie ausgesehen?
»Erinnerung und Gefühle werden allenthalben weit überschätzt. Sie hindern einen nur daran, das zu tun, was getan werden muss.«
»Lesen Sie meine Gedanken?«
Die Hand verschwand mit einem leisen Rascheln von feinstem Stoff. Zurück blieb nur eine Stelle an Franks Schulter, die sich wie gefroren anfühlte.
»Für mich eines der einfachsten Dinge des Universums, mein Freund.«
»Warum lassen Sie mich nicht einfach sterben.«
»Weil du eine Aufgabe hast. Erst wenn die erfüllt ist, kann ich dir diese Gnade gewähren.«
»Und bis dahin?«
Seufzen im Dunkeln.
»Schon wieder eine Frage.«
»Ich bin keine Schachfigur.«
»Ach, glaubst du?«
»Ich habe einen freien Willen.«
»Na gut. Wenn du das so siehst ...«
»Welche Aufgabe?«, fuhr Frank dem Fremden dazwischen.
»Du sollst mir Seelen bringen.«
»Und wenn ich mich weigere?«
Heißer Schmerz brandete unvermittelt in Frank auf. Stöhnend brach er in die Knie, als die verletzten Teile seines Körpers ihre Hilferufe durch seine Nervenbahnen an sein Gehirn sandten.
»Eine Ewigkeit, mein Freund, eine Ewigkeit. Das, was ihr Menschen als Fegefeuer bezeichnet, wird sich durch deinen Körper fressen, immer und immer wieder, auf alle Ewigkeit. Und du wirst nichts dagegen tun können.«
»Das ... hält kein ... Mensch aus!«
»Richtig. Ein Mensch wäre bei diesen Schmerzen schon ohnmächtig zusammengebrochen. Du bist aber kein Mensch mehr, wie du selber noch vor wenigen Augenblicken so eloquent dargelegt hast.«
»Hilfe«, röchelte Frank. »Helfen Sie mir ... bitte!«
Die Schmerzen verschwanden so abrupt, wie sie gekommen waren. Frank lag zitternd auf dem Boden.
»Nimmst du meine Geschenke an? Und somit auch deine Aufgabe?«
Frank konnte nur nicken.
»Dann gehe hin, und tue wie dir geheißen. Gehe hin, mein Sohn, und vollende ... Gottes Werk.«
Frank stellte sich auf unsicheren Beinen wieder auf. Täuschte er sich, oder hatte der Fremde für einen Moment gezögert, als er den Namen des Herrn in den Mund nahm? Unsicher sah Frank sich um. Der Fremde war weg.
»Und dennoch beobachte ich dich.«
»Das habe ich befürchtet.«
»Und? Wirst du folgen?«
Eine bittere Erkenntnis machte sich in Frank breit, ohne dass er sie richtig fühlen konnte. Sie war wieder da. Die große Leere in ihm. Aber hinter dieser Leere lauerte auch die Angst. Die Angst vor dem Schmerz.
»Ja. Ich werde folgen.«
*
Martin öffnete die Augen. Sein Kopf summte, ihm war schlecht.
»Langsam, mein Freund.«
Eine weibliche Stimme. Martin spürte, dass er nackt auf einem Bett lag. Verwirrt sah er sich um, ohne sich aufzusetzen. Das gelbe Licht einer Propangaslampe erhellte einen Raum, der wie ein altmodisches Schlafzimmer eingerichtet war. Vor den Fenstern waren alle Rollos heruntergelassen. Eine Rothaarige stand links neben ihm. Weit genug weg, dass er sie nicht greifen konnte. Aber nah genug, um ihm einen sicheren Fangschuss in den Schädel setzen zu können. Aus den Händen der Frau starrte ihn mit unheimlicher Ruhe das dunkle Auge einer Pistole an.
»Ich bin nackt«, stellte Martin mit einem fragenden Unterton fest.
»Und ich bin Sandra.«
Martin versuchte ein Lächeln.
»Normalerweise