Sich einbilden, man solle in den vollzeitlichen Dienst gehen
Als Christ ist man verpflichtet, mindestens alle drei Jahre darüber nachzudenken, in den vollzeitlichen Dienst zu gehen.
Zum ersten Mal kommt einem dieser Gedanke auf der zweiten Gemeindefreizeit, die man besucht. Manche Leute meinen, es passiere schon während der ersten Freizeit, aber diese Leute irren sich. Besonders wenn die Freizeit in einem Camp stattfindet, wo sich auch andere Gemeinden treffen. Wenn man ein Junge ist, treibt einen während dieser Freizeit vor allem der Gedanke um: »Werde ich es schaffen, so wie der Typ aus meiner Jugendgruppe zu werden, der dauernd mit den Mädels aus anderen Jugendgruppen herummacht?« Jedenfalls war das mein Gedanke. Und wenn du ein Mädchen bist, denkst du: »Wenn der Sohn des Pastors doch bloß nicht so ein Blödmann wäre.« Oder zumindest dachten die Mädchen in meiner Jugendgruppe das. Vor allem deshalb, weil ich ein Blödmann war.
Aber auf deiner zweiten Freizeit wirst du einen kleinen Stupser bekommen, einen geistlichen Anstoß, und du wirst sehr in Versuchung sein, das als einen Ruf in den vollzeitlichen Dienst zu interpretieren. In Wirklichkeit hast du den allerdings wahrscheinlich nicht bekommen; was du bekommen hast, ist lediglich ein Ruf, über den Ruf in den vollzeitlichen Dienst nachzudenken. Diesen Ruf kriegen wir alle. Dann schlägst du dich während der ganzen Oberstufenzeit damit herum, erzählst allen deinen Freunden, du könntest nie Pastor werden, vermeidest es, als Missionar in Afrika zu leben, und erreichst schließlich deine Mittzwanziger.
Und da geht es wieder los. Du fängst an, darüber nachzudenken, wie toll es doch wäre, in den vollzeitlichen Dienst zu gehen. Da kann man den ganzen Tag in der Bibel lesen und bei der Arbeit Gott anbeten. Man wäre nie frustriert oder gelangweilt, weil man ja ständig genau das täte, wozu einen Gott in der Höhe eigenhändig zubereitet hat. Dann triffst du einen Pastor, der ungefähr in deinem Alter ist. Und der ist völlig gestresst und hat Mühe, in seinem Leben Raum für Gott zu finden. Und du denkst: »Was? Du bist ein professioneller Christ. Du darfst doch eigentlich gar nicht mit den Schwierigkeiten kämpfen, mit denen ich zu kämpfen habe.« Tut er aber. Also legst du den Gedanken, in den vollzeitlichen Dienst zu gehen, erst mal wieder zu den Akten.
Für ein paar Jahre lässt der Drang dich in Ruhe, bis du irgendeinen Blödmann als Chef kriegst. Dann denkst du: »Ich wünschte, Gott wäre mein Chef. Das wäre super. Der würde nicht dauernd nach meiner Verkaufsbilanz fragen. Ihm ginge es um meine Seelenbilanz.« Dann bist du ein bisschen peinlich berührt, weil das eben so ein lahmer Witz war. Und du wirst ein bisschen unzufrieden. Zu deinen Freunden sagst du: »Ich glaube, Gott ruft mich in den vollzeitlichen Dienst. Dieser Job kann nicht das sein, worum sich mein ganzes Leben dreht. Das Leben muss noch mehr zu bieten haben als das. Ich spüre den Drang, Gott mit meinen Gaben vollzeitlich zu dienen.«
Was sich ziemlich gut anhört, nur dass unter deinen Freunden garantiert einer ist, der dir entgegnet: »Wir sind alle im vollzeitlichen Dienst. Wir alle sollten Gott vollzeitlich dienen. Egal, wo du bist, du solltest Gott anbeten und Menschen für ihn erreichen.« Recht hat er, aber so etwas hörst du nicht gern, schon gar nicht, wenn er einen guten Job hat, den er gerne macht. Es kann einem ganz schön stinken, wenn Leute, die ihren Job lieben, einem sagen, wie sehr man seinen eigenen lieben sollte. Und wenn sie dann auch noch Gott herbeizitieren, um noch deutlicher zu machen, wie gründlich man es vergeigt hat.
Das weckt nicht gerade den Wunsch, in den vollzeitlichen Dienst zu gehen. Man kommt ja nicht einmal in dem Job, den man bereits hat, mit dem Dienen in die Puschen. Wenn du den Leuten, mit denen du im Moment zusammenarbeitest, nicht von Jesus erzählen kannst, was sollst du dann im vollzeitlichen Dienst? Und so lässt der Drang wieder einmal nach.
Aber dann hörst du einen wirklich überzeugenden Pastor predigen oder liest ein Buch mit dem Wort »Traum« im Titel, und du denkst, vielleicht, wer weiß, vielleicht. Und dann …
Versuchen, sich in Gegenwart von Missionaren nicht zu beklagen
Über Missionare solltest du zwei Dinge wissen:
1 Du solltest sie immer unterstützen.
2 Du solltest dich in ihrer Gegenwart nie beklagen.
Der erste Punkt ist ganz klar: Sie brauchen unser Geld und unsere Gebete, um dort, wohin Gott sie berufen hat, ihren Dienst zu tun. Der zweite Punkt ist nicht ganz so offensichtlich, aber ebenso zutreffend.
Denn selbst dann, wenn dein Freund, der Missionar ist, ein stiller und nachsichtiger Mensch ist, vermute ich stark, dass er, wenn du sagst: »Mein Boiler ist kaputt! Ich musste heute Morgen mit eiskaltem Wasser duschen«, insgeheim denkt: »Wasser? Richtig, ich erinnere mich. Das ist dieses nasse Zeug, das manchmal aus Rohren kommt, stimmt’s? Davon habe ich ein Bild gesehen in dem Buch, das wir in dem Schulhaus in der Wüste haben, wo ich unterrichte. Das hat mich daran erinnert, dass ich diesen Monat noch nicht geduscht habe. Aber vielleicht gehe ich ja nächste Woche mal zu Fuß in die Stadt und frage mal bei einer unserer Unterstützerfamilien nach, ob sie mir eine Plastikflasche mit grauem Wasser über dem Kopf ausschütten. Das wäre schön, glaube ich. Was sagtest du gerade über deinen Boiler? Du musstest einen Klempner anrufen, nachdem du seine Nummer im Internet nachgeschlagen hattest, während du in deinem Haus, in dem nicht regelmäßig Schlangen durch die Löcher in der Wand hereinkommen, ein belegtes Brötchen verzehrtest? Nein, bitte, sprich ruhig weiter. Ich bin ganz gepackt von diesem Garn voller Überlebenskampf und Strapazen, das du da spinnst, ganz so wie die Schwarzen Witwen, die ich jeden Tag von meinem Lehmfußboden oder ›Bett‹, wenn du es so nennen willst, herunterfege. Bitte, erzähl weiter!«
Unauffällige Signale entwickeln, um sich als Christ zu erkennen zu geben
Ich habe einmal mit einem Mann namens Matt zusammengearbeitet, der einen ganz langen Spitzbart und einen kahlrasierten Kopf hatte. Aus irgendeinem Grund nahm ich an, das müsse bedeuten, dass er von Jesus nichts hielt. Wäre sein Spitzbart ein wenig kürzer gewesen, hätte ich vielleicht angenommen, Jesus sei ihm nur egal, aber bei einem acht oder zehn Zentimeter langen Ziegenbart war ich mir ziemlich sicher, dass er ein erbitterter Gegner des christlichen Glaubens sein musste.
Eines Tages jedoch hatte ich das Gefühl, als gäbe Gott mir einen Schubs, um mit ihm über meinen Glauben zu reden. In solchen Situationen versuche ich meistens, Gott flüsternd im Gebet zu antworten: »Was? Ach komm. Ich bin bei der Arbeit. Ich weiß, du bist allwissend und so, aber kannst du von da oben denn nicht sehen, wie lang sein Bart ist? Der will doch von dir nichts hören.« Aber Gott ließ nicht locker, bis ich Matt schließlich fragte, was für Bücher er in letzter Zeit gelesen habe. Er ratterte ein paar Titel herunter und gab die Frage dann an mich zurück.
Im Bruchteil einer Sekunde googelte ich in meinem Gehirn nach einem christlichen Buchtitel, der sich nicht zu fromm anhörte. Sofort fiel mir Donald Millers Blue Like Jazz ein. Ein perfekter Titel. Hört sich an wie ein Buch über Jazz oder Lyrik oder vielleicht auch über Jazzlyrik. Und ich dachte mir, so etwas würde jemand mit einem so langen Spitzbart vielleicht mögen. Also antwortete ich: »Mir gefällt das Buch Blue Like Jazz sehr gut.«
Er drehte sich auf seinem Stuhl herum und lächelte mich an. »Das Buch liebe ich! Meine Frau ist eine christliche Autorin. Wir beide lieben Donald Millers Stil.« Im Lauf der folgenden Monate wurden wir gute Freunde und redeten offen miteinander über unseren Glauben.
Was dachte ich eigentlich, was passieren würde? Dass Matt, kaum dass er das Wort Christ gehört hätte, an jedes schlechte Bild vom Christentum denken würde, das er im Kopf hatte, und mich mit alledem beschmeißen würde?
Als meine Cousine Martha nach Brooklyn zog, trug sie in der U-Bahn bewusst ihr »Young-Life«-T-Shirt, in der Hoffnung, irgendein anderer Christ würde den Namen der Organisation erkennen und sie ansprechen. Auf diese Weise zeichnete sie sozusagen das halbe Jesus-Fischsymbol in den Sand, so wie es die verfolgten Christen in der Antike taten, um andere Gläubige zu finden, ohne in Schwierigkeiten