Es klopfte. Marei, die Bedienung vom Schleibingerbräu trat ein und blickte die Elsbeth prüfend an. „Schlecht schaust aus.“
„Was Gscheits zum Essen bräucht ich. So komm ich nie auf die Füß.“
Marei strich Elsbeth übers Haar. „Komm doch runter zu uns. Ich hab was aus der Wirtschaft mitgebracht.“
Elsbeth schlurfte hinter der Marei die ausgetretene Stiege hinunter. Kam kaum hinein in die Kammer, in der die Marei mit noch drei Bedienungen hauste. Die Kleider hingen an rostigen Haken, für einen Tisch oder Stuhl war kein Platz. Die Bedienungen saßen auf den Betten, hielten die Teller fest auf den Knien.
Elsbeth setzte sich zu ihnen, verschlang gierig das Wammerl, das sie ihr hinschoben. „Grad war der Kramer bei mir.“
Zornig stieß die Marei hervor: „Bei uns war er auch, der Sauhund. Will nächste Woche noch drei Bedienungen bei uns einquartieren. Sagt, es könnten leicht zwei in einem Bett schlafen.“
Elsbeth schleckte das Messer ab. „Wissts, von was ich träum? Von einem Klo im Stiegenhaus. Damit ich mich nicht immer so fürcht, wenn ich nachts raus muss in den stinkigen Verschlag.“
„Schauts die Elsbeth an“, kicherte die Marei. „Willst vielleicht auch noch ein fließendes Wasser wie in den feinen Häusern?“
„Mir tät’s schon reichen, wenn der Brunnen nicht so weit weg wär.“
Marei zog die Plane vom Fenster und ließ frische Luft herein. „Wissts was? Der Baurat Gruber ist Stammgast bei uns. Den frag ich. Vielleicht weiß der eine Wohnung für uns.“
Zinsen
Adele saß mit dem Braumeister Kreitner im „Café Tambosi“ und griff nach dem Schmuckstück, das er ihr über den Tisch zuschob. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „So eine schöne Brosche!“ Sie drehte den scheußlichen Klunker in der Hand. Eine grob gefertigte Gemme mit dem Konterfei König Ludwigs, verziert mit billigem Strass. Lohnte kaum den Pfandleiher. Lustlos aß sie ein Stück von dem Apfelkuchen auf ihrem Teller, führte mit abgespreiztem Finger die Tasse zum Mund. Blickte ihrem Verehrer tief in die Augen. „Was tät ich nur ohne Sie?“
„Ein schöner Schmuck für eine schöne Frau.“ Mit aufgeschwemmten Fingern fummelte Kreitner die Brosche an ihre Bluse. Grob zerstach die Nadel den feinen Stoff.
Adele lehnte sich zurück, steckte eine Zigarette in die Elfenbeinspitze und blies den Rauch in die Luft. Worüber sollte sie mit dem Kreitner reden? Über das Wetter? Über das Essen?
Am Nebentisch knallten die Champagnerkorken. Die Offiziere grölten, feierten den neuen Sieg über Frankreich. So ein schneidiger Offizier hätte ihr besser gefallen, doch der Braumeister war der Erste, der angebissen hatte.
Der Ober kam an den Tisch, lächelte süffisant. „Darf es noch was sein?“ Diese Sorte Frau kannte er. Kamen genug her zum Anbandeln mit einem vom Militär.
„Noch einen Schampus.“ In einem Zug leerte Adele das Glas, das ihr der Ober hingestellt hatte. Damit sie ihn besser ertrug, den Kreitner.
„Nennens mich doch Gustl.“ Er rückte näher, pratschte nach ihrem Schenkel: „Ich wüsst schon, was wir zwei jetzt machen könnten. Kommens doch auf ein Stünderl mit zu mir. Ich wohn nicht weit weg. Nur zehn Minuten zu Fuß.“
Adele, eisern entschlossen durchzuhalten, ging mit.
Am Odeonsplatz legte er ihr den Arm um die Schulter und säuselte ihr ins Ohr: „Schöne Sachen werden wir machen.“ Er hakte sich bei ihr unter und tänzelte in freudiger Erwartung neben ihr her bis zu seiner Wohnung in der Filserbräugasse.
„Tretens nur ein.“ Schon schob er sie in den Salon.
Adele blickte sich um. Wenigstens das mit dem Geld stimmte. Dicke Samtvorhänge hingen an den Fenstern, Teppiche bedeckten den Boden. Zögernd legte sie den Mantel ab. Noch konnte sie umkehren. Aber so schlimm würde es schon nicht werden.
„Kommens weiter.“ Kreitner drängte sie ins Schlafgemach und drückte sie aufs Bett.
Adele schloss die Augen.
Aufgeregt fummelte er seine Hose herunter, schob ihren Rock hoch. Lag schwer auf ihr. Sie drehte den Kopf zur Seite, ihr graute vor den klebrigen Borsten in seiner Nase.
Mit den Beinen schabte er über ihre Schenkel, fuhr mit schwitzigen Händen über ihre Brüste.
Adele sah den Speichel, der ihm im Mundwinkel hing. „Runter! Sofort gehst runter!“ Sie stemmte ihn zur Seite und sprang auf.
„Was hast denn?“
„Ich kann nicht.“ Sie rannte zurück in den Salon, nahm ihren Mantel, schlug die Tür hinter sich zu und verließ das Haus.
Auf der Straße lehnte sie sich an eine Hauswand, strich die Strümpfe glatt, steckte die Bluse ordentlich in den Rock. Damit man nicht sah, dass die drei unteren Knöpfe fehlten. Die hatte der Kreitner auf dem Gewissen. Zu geil zum Aufknöpfen, hatte er die Bluse zerrissen. Sie ordnete ihr Haar und atmete tief durch. Jetzt brauchte sie einen Schnaps.
Am Frauenplatz stieß sie die Tür zum „Goldenen Licht“ auf und setzte sich an einen Tisch. „Alois, einen Enzian. Einen doppelten.“
Alois warf den Lappen hin, mit dem er den Zapfhahn polierte. „Willst wieder anschreiben lassen?“
„Heut zahl ich gleich.“ Sie kippte den Schnaps hinunter. Wie Feuer brannte er ihr in der Kehle. Brannte sie weg, die Schmach mit dem Kreitner.
„Bring mir noch einen.“
„Heut bist aber durstig.“ Alois stellte ihr noch einen Doppelten hin und schlurfte zurück hinter den Tresen.
„Zum Wohl, du armes Luder!“ Adele prostete dem ausgestopften Hirschkopf zu, der mit glasigen Augen von der getäfelten Wand stierte. Sonst war niemand da zum Anstoßen. Ein paar Männer grölten beim Schafkopf, klatschten die Karten auf den Tisch. Für sie interessierte sich keiner.
Wie sollte es nur weitergehen? Nur noch vierzig Gulden hatte sie und einen ganzen Monat Mietrückstand beim Bögner. Alles hatte sie dem verranzten Wucherer schon hingetragen: die silbernen Löffel, ihren letzten Schmuck. Und was am schlimmsten war: die goldene Kette, ein Erbstück ihres Vaters. Ganze dreißig Prozent Zins schlug der Blutsauger auf die Auslösesumme. Sie zog die zerknitterten Pfandscheine aus der Tasche, wendete sie hin und her, strich sie mit dem Fingernagel glatt.
Die Zinsen! Warum war sie da nicht früher draufgekommen? „Alois, setz dich her zu mir. Ich hab eine Idee.“
Der Wirt ließ sich nieder, zog einen Tabakbeutel aus der Hosentasche, stopfte die Pfeife mit billigem Verschnitt. „Willst doch wieder anschreiben lassen?“
„Nix da. Pass auf: Wenn du mir zehn Gulden leihst, zahl ich sie dir nach einem Monat zurück und obendrauf noch zwanzig Prozent Zinsen. Ich zahl dir also insgesamt zwölf Gulden zurück. Dann hast zwei Gulden verdient fürs Nixtun.“
„Eine dümmere Idee hast nicht? Weißt es genau: Ohne Arbeit kein Geld.“
„Mit Arbeit wirst nicht reich. Spekulieren musst. Probier’s aus. Zwei Gulden kriegst für umsonst. Und wennst mir fünfzig Gulden leihst, kriegst nach vier Wochen sechzig zurück. Nur fürs Hinwarten, dass dein Geld mehr wird.“
Jetzt brauchte auch der Alois einen Enzian. Seit der neuen Gewerbeordnung kam er auf keinen grünen Zweig mehr. Der amtlich festgesetzte Brot- und Fleischpreis war abgeschafft, die Preise schnellten in die Höhe, Brot und Fleisch waren kaum noch zu bezahlen. Auch die Brauereien verlangten mehr fürs Bier, das sie ihm lieferten. Einen halben Kreuzer musste er aufschlagen auf die Halbe. Die Gäste wichen aus aufs billige Dünnbier. Viel verdient war nicht daran.
„Geh, Adele, bist doch selber immer abgebrannt. Woher soll ich wissen,