Speck Schnaps Mord. Ernest Zederbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernest Zederbauer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783990403648
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halb Indien versorgen könnte!“

      Abermals pfiff Kalteis durch die Lücke seiner Vorderzähne. „Sieh mal einer an, unser Herr Hieminger war korrupt und hat sich durch solch milde Gaben bestechen lassen! Erwin, notier die Namen auf den Etiketten und mach eine Bestandsaufnahme des Inhaltes der Kühltruhe! Ich durchkämme einstweilen mit Frau Panagl die Wohnung nach weiteren Beweisstücken.“

      Die Putzfrau motzte: „Das wird wohl nicht nötig sein, ich kann Ihnen versichern, dass Sie nichts Aufregendes finden werden!“

      Da Kalteis nicht lockerließ, gingen sie wieder hinauf in den zweiten Stock. Er hatte Lunte gerochen und war neugierig geworden. Langsam, aber sicher entwickelte sich in seinem Gehirn ein gänzlich neues Charakterbild des Ermordeten.

      Gemeinsam mit der Putzfrau durchsuchte er Schrank für Schrank, Regal für Regal, Lade für Lade. Wie nicht anders zu erwarten, strotzte alles vor Sauberkeit und Ordnung. Die Anzüge hingen fein säuberlich auf Kleiderbügeln, die Hemden lagen ordentlich gefaltet und zu Stößen aufgeschichtet in den Schrankfächern, Unterwäsche und Socken ebenso. Auf der Garderobe im Vorzimmer hingen ein blauer Anorak und ein Regenmantel, im Schuhkasten standen zehn blank polierte Schuhpaare, exakt ausgerichtet wie Gardesoldaten bei einer Parade. Auch das Badezimmer wirkte steril wie ein Operationssaal. Dusche, Waschbecken, Gastherme und ein alter Spiegelschrank waren zu sehen. Alles in allem normaler Standard einer städtischen Wohnhausanlage. Das WC war wie üblich mit Klomuschel, Spülkasten, Handwaschbecken und einem kleinen Hängeschrank mit Putzmitteln ausgestattet. Routinemäßig hob Kalteis den Deckel des Spülkastens ab, blickte hinein, konnte jedoch nichts Außergewöhnliches darin entdecken. Die Durchsuchung des Schlafzimmers blieb ebenso ergebnislos. Das Wohnzimmer nahm mehr Zeit in Anspruch. Ein riesiges Bücherregal bedeckte die Wand neben der Tür zum Schlafzimmer. Hunderte von prächtigen Bildbänden über Kunst und ferne Länder, ledergebundene Klassiker der Weltliteratur und bemerkenswerterweise eine ansehnliche Sammlung erotischer Bildbände von Helmut Newton und anderen großen Fotografen. Fachbücher über Steuerrecht und Betriebswirtschaftslehre ergänzten das Sortiment. Ein moderner Flachbildschirm und eine teure Stereoanlage waren ebenfalls zu sehen.

      Die Wohnung strotzte vor Sauberkeit. Nichts lag herum oder am falschen Platz. Noch nie hatte Kalteis so einen bis in den höchsten Grad unpersönlichen Raum untersucht. Kein einziges Foto war zu sehen. Weder an den Wänden noch auf irgendeiner der Kommoden. Es schien, als ob Hieminger all seine Erinnerungen an ihn selbst eigenhändig gelöscht hätte. Einzig und allein zwei Belobigungsschreiben hingen an der Wand zum Vorzimmer.

      Kalteis wusste nicht, was er von all dem halten sollte. Wohnung und Keller widersprachen sich auf erstaunliche Art und Weise, wiesen auf eine gespaltene Persönlichkeit hin. Die Wohnung in all ihrer Sterilität zeugte von Hiemingers Korrektheit und seinem verbissenen Kampf gegen jegliche Art von Missständen. Sein Kellerabteil jedoch spiegelte die dunkle Seite seiner Seele wider, die nicht anders konnte, als Macht bis zum Exzess auszuüben. Die Macht des Kontrolleurs über den Kontrollierten. Die Gier und Frechheit von denen zu fordern, die ihm ausgeliefert waren. Die Unersättlichkeit, Dinge in dem Bewusstsein anzuhäufen, dass man sie nie gebrauchen würde, aber dann doch nahm, da sie leicht zu bekommen waren.

      Tags darauf fuhren Kalteis und Schönkirchner zu drei Schnapsbrennern, deren Namen auf den Etiketten standen. Keiner ließ ein gutes Haar an dem Toten. Sie bezeichneten ihn als unkorrekten Beamten, der ständig nur herumgenörgelt, dem dies und das nicht gepasst hatte und der erst abgezogen war, wenn man seine Taschen gefüllt hatte. Der sich hin und wieder erdreistet hatte, Frau und Tochter unsittliche Anträge zu machen. Rudolf Grubeck, ein Großbauer aus dem Nachbarort, bekannt für seine unverblümte Direktheit, traf mit seiner Aussage den Nagel auf den Kopf.

      „Der Hieminger war der größte Falott in Gottes freier Wildbahn, der hat uns Bauern behandelt, als wären wir seine Leibeigenen. Man sollte dem Mörder direkt dankbar sein, dass er uns von dieser Last befreit hat!“

      Kommissar Kalteis stand vor einem Rätsel. Selbst ihm, dem alten Hasen der Kripo, war so ein Fall noch nie untergekommen. Wohin er auch kam, mit wem er auch sprach, fand niemand ein gutes Wort über das Mordopfer. Auf dem Finanzamt blies man in dasselbe Horn. Seine Kollegen beschrieben Hieminger als mürrischen Einzelgänger, der jeglichen Umgang mit ihnen vermieden, weder an Betriebsausflügen noch an Jubiläumsfeiern oder Ähnlichem teilgenommen hatte. Er galt als Radfahrer, der nach unten trat und nach oben buckelte. Doch auch seine Vorgesetzten waren aus ihm nie schlau geworden. Der Leiter des Finanzamtes bezeichnete ihn als erfolgreichsten Fahnder des Landes, der dem Amt Jahr für Jahr eine stolze Summe an Finanzstrafen eingebracht hatte. Seine Trefferquote war österreichweit seit Jahren unerreicht, sodass er in den Statistiken seit Langem an erster Stelle rangierte. Dessen ungeachtet hatte man nicht viel Freude mit ihm gehabt. Er hatte als unnahbar, abweisend und extrem verschlossen gegolten. Seine Aufzeichnungen waren ohne Fehl und Tadel, roboterhaft, von seelenloser Korrektheit, auf das i-Tüpfelchen genau. Keiner der fünfzig Beamten und Vertragsbediensteten war jemals in seiner Wohnung gewesen, hatte jemals mit ihm ein Bier getrunken, war jemals länger als unbedingt notwendig mit ihm in ein Gespräch verwickelt gewesen. Freundschaft oder gar Vertrautheit innerhalb seiner Dienststelle war ihm fremd gewesen, nie hatte er irgendjemandem gestattet, auch nur den kleinsten Blick hinter seine Fassade zu werfen. Selbst jetzt, wo er tot war, ja sogar ein außerordentlich schändliches und unrühmliches Ende gefunden hatte, kam keinem der Kollegen ein Wort des Bedauerns über die Lippen. Man sprach von Hieminger wie von einem Schatten, der zwar allgegenwärtig, aber nicht greifbar war.

      Keiner hatte ihn gemocht, keiner hatte mit ihm gekonnt. Dieser einzigartige Umstand verwirrte Kalteis über alle Maßen. Denn der übliche Kreis der Verdächtigen, die erfahrungsgemäß zumeist innerhalb der Familie, Freunde oder Bekannten zu finden waren, konnte ausgeschlossen werden. Denn Hieminger hatte keine Familie, keine Bekannten und schon gar keine Freunde. Paradoxerweise gab es aber dennoch in diesem Verwirrspiel eine unendlich große Zahl an Verdächtigen, nämlich all jene, die von ihm in den letzten Jahren überprüft und zur Ader gelassen worden waren. Fleischermeister Karl Adamek war natürlich einer von ihnen – und er brachte die Sache Kalteis gegenüber als Erster auf den Punkt. Sein würziger Kommentar „Endlich hat’s den Sauhund erwischt“, der sogleich von Mund zu Mund ging, stand stellvertretend für all jene, die genauso dachten wie er, und wurde in den Tageszeitungen gehörig ausgeschlachtet.

      Kommissar Kalteis, für seine Präzision bekannt, ging nun systematisch vor. Anhand einer Liste, welche ihm der Vorstand des Finanzamtes nur widerwillig aushändigte, begannen er und Schönkirchner in den folgenden Tagen mit der gezielten Vernehmung von Gastwirten, Kaufleuten und Handwerkern, die von dem Toten in den letzten zwei Jahren geprüft und mit einer höheren Finanzstrafe bedacht worden waren.

      Als Kalteis den ersten der Gewerbetreibenden vernahm, hörte er dieselbe Litanei wie auf dem Finanzamt: „Der Hieminger, den ein gerechter Gott nun endlich zu sich geholt hat, war ein beinharter Prüfer, ein unerbittlicher Erbsenzähler, der sich wie ein Bluthund verbissen an die Spur auch der allerkleinsten Ungereimtheit geheftet hat, die er in unseren Büchern gefunden hat. Überall, wo er hinkam, galt er als Schreckgespenst, als Geißel, als Großinquisitor des ,Instituts für moderne Christenverfolgung‘, wie wir die Finanzämter manchmal nennen. Sie müssen wissen, Herr Kommissar, dass wir kleinen Handwerker und Kaufleute hier an der Grenze durch die übermächtige Konkurrenz der Lagerhäuser, Baumärkte und Supermarktketten, die ungerechte Steuerpolitik, die den Mittelstand aushöhlt, und die verfehlte Wirtschaftspolitik des Landes, die ohnehin nur die Ballungszentren rund um Wien begünstigt, bereits genug gestraft sind. Da können wir auf so pragmatisierte Leuteschinder, wie der Hieminger einer war, durchaus verzichten. Keinem von uns tut der Hieminger leid, das können Sie mir glauben!“

      Karl Adamek stand natürlich ganz oben auf Kalteis’ Prioritätenliste. Um nicht unnötigen Staub aufzuwirbeln, vernahm er den Fleischhauer im Büro hinter der Fleischbank. Prachtvolle Biedermeiermöbel aus edlem Holz, eine gemütliche Sitzecke und eine gut gefüllte Hausbar zeugten von gediegenem Wohlstand, widersprachen jedoch dem grobschlächtigen Äußeren des Fleischermeisters.

      Ohne langes Wenn und Aber kam Kalteis sogleich zur Sache: „Herr Adamek, ich denke, dass Ihnen klar ist, dass Sie mit Ihrer