„Wenn ich hier irgendwo eine Leiche verstecken müsste, dann würde ich’s da tun! Kommt her und packt an!“
Mit vereinten Kräften rissen sie den Wirrhaufen auseinander. Plötzlich schrie Karl auf: „Da schimmert es weiß durch, ich glaub, da liegt er!“
Seipelt war rasch zur Stelle. „Halt! Stopp! Nicht weiter abdecken, wir sind jetzt aus dem Schneider, nun ist die Kripo am Zug!“
Rasch tippte er eine Nummer in sein Handy, rief das Landeskriminalamt in St. Pölten an und meldete den Fund. Erschüttert standen die zwei Jungspunde und Karl Adamek vor dem Toten, den man unter den Ästen mehr erahnen als wirklich konkret ausmachen konnte. Seipelt herrschte seine beiden Kollegen an, sie sollten schleunigst das Absperrband aus dem Wagen holen und die Fundstelle großräumig abspannen.
„Keiner geht näher an den Reisighaufen heran, habt ihr das verstanden? Sonst bekommen wir Zores mit den Kollegen, wenn wir hier herumtrampeln und dabei eventuell Spuren verwischen. Wir bleiben da und warten, bis die Kollegen von der Kripo hier sind!“
Die beiden Beamten stellten in gebührendem Abstand Pannendreiecke auf und fuhren dann zur Straßenmeisterei. Fahrverbotstafeln und Umleitungsschilder mussten aufgestellt, der Streckenteil abgesperrt werden.
5
Als die Kriminalpolizei eintraf, nahm sie Karl direkt am Fundort der Leiche in die Mangel. Was er hier zu tun gehabt habe zu so später Stunde, ob er etwas getrunken, am Tatort irgendwas verändert, Geräusche wahrgenommen, verdächtige Personen gesehen habe. Er gab bereitwillig Auskunft, sichtlich froh darüber, endlich einmal ernst genommen zu werden. Dann verfolgte er aus gebührendem Abstand gebannt die Arbeit der Kriminalpolizei. Zuallererst wurde der Reisighaufen fotografiert, dann der Tote abgedeckt. Der Polizeiarzt untersuchte den Toten akribisch, drehte ihn nach allen Seiten. Man hatte dem armen Teufel nicht nur den Hinterkopf eingeschlagen, sondern auch die Wirbelsäule mit wuchtigen Schlägen zertrümmert. Am schütteren Haarkranz schimmerte verkrustetes Blut. Die hässlichen Kratzspuren an Oberschenkeln, Bauch und Brustkorb deuteten darauf hin, dass der Mann über den Waldboden gezerrt worden war. An den Handgelenken konnte man deutlich blaue Druckstellen erkennen. Der Arzt leuchtete dem Toten in die Augen, in die Ohren, untersuchte sämtliche Körperöffnungen, richtete sich mühsam auf und stellte seine erste Diagnose.
„Nach den Fäulnisveränderungen des Leichnams geschah der Mord vor vier Tagen. Die Autopsie in der Gerichtsmedizin wird meine Annahme bestätigen. Hier im Wald tummelt sich allerlei Getier und anhand des Entwicklungsstadiums und der Art der in den Körperöffnungen gefundenen Fliegenlarven lässt sich der Zeitpunkt des Todes ziemlich genau feststellen.
Die Totenflecken sprechen die gleiche Sprache. Sie entstehen nach dem Tod durch das Absinken des Blutes in den Gefäßen, wir nennen das Hypostase. Die ersten Flecken treten etwa zwanzig bis dreißig Minuten nach dem Herztod auf. Keinerlei Abwehrverletzungen sind zu erkennen. Doch mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit sind Fundort und Tatort nicht ident. Ihr werdet hier weder Blutspuren noch Fingerabdrücke entdecken, der Täter trug sicher Handschuhe. Ohne jetzt einer weiteren Analyse vorgreifen zu wollen, bin ich mir sicher, dass es sich um eine sehr, sehr emotionale Tat handelt. Der Täter muss sein Opfer gekannt haben. Bei der Tatwaffe tippe ich auf ein schweres Rohr oder eine Eisenstange, auf alle Fälle auf einen runden Gegenstand. Mehr werden wir nach einer genaueren Untersuchung des Pathologen erfahren. Bereits der erste Schlag auf den Hinterkopf war tödlich, die anderen Schläge auf Genick und Rücken eine Draufgabe. Solche Übertötungen geschehen meist aus emotionalen Gründen. Wenn ihr den Täter finden wollt, dann forscht in seiner Umgebung nach, wer denn so viel Wut und Hass für ihn empfunden hat. Sollte der Tote tatsächlich der abgängige Finanzprüfer sein, dann gibt es wahrscheinlich eine Menge Anwärter.“
Seipelt rief Adamek, der noch immer jenseits des Absperrbandes stand und mit großem Interesse dem Interventionsteam bei seiner Arbeit zusah, zu, dass er zu der Leiche kommen solle.
„Du kennst doch die Leute vom Finanzamt. Ist das der gesuchte Hieminger?“
Adamek blickte in die toten Augen und wich entsetzt zurück, da sich bereits allerlei Getier daran gütlich tat. Sein Adamsapfel hüpfte vor Erregung auf und ab.
„Ja, das ist der Hieminger, dieses Schwein, der hat mich viel Geld gekostet! Das war ein Blutsauger der Extraklasse, für den jeder Gewerbetreibende ein potenzieller Steuerhinterzieher und Schwarzgeldmacher war. Der hat dir bei den Steuerprüfungen das letzte Hemd ausgezogen! Endlich hat man ihm den Garaus gemacht!“
Jetzt mischte sich Kommissar Reinhart Kalteis von der Kripo ein: „Apropos, weil wir gerade vom letzten Hemd sprechen, warum ist er nackt? Sollte das symbolisch gemeint sein? Hatte er eventuell dem Täter, sprichwörtlich gemeint, ebenfalls das letzte Hemd ausgezogen?“ Er wandte sich an Adamek: „Kollege Seipelt wird Sie nun wieder nach Hause fahren. Aber Sie werden von mir hören, ich denke, Sie haben mir einiges zu erklären! Ihre Äußerungen betreffs Garaus machen und so klingen nicht gerade entlastend für Sie!“
Seipelt war außer sich: „Diese blöde Bemerkung hättest du dir sparen können, Adamek, damit belastest du dich doch selbst! Die ganze Stadt weiß Bescheid über die Strafe, die dir das Finanzamt damals aufgebrummt hat. Du kennst doch die Schadenfreude, die unter der Bevölkerung herrscht, wenn es euch Gewerbetreibende einmal erwischt. Unterlass bitte in Zukunft so saublöde Aussagen!“
Adamek seufzte, da er wusste, dass Seipelt recht hatte. Er kannte all die Vorurteile und auch Gerüchte, die hinter vorgehaltener Hand über die Geschäftsleute des Städtchens verbreitet wurden. Hieminger war zeitlebens ein scharfer Hund gewesen, der bei den Steuerprüfungen akribisch nach dem kleinsten Fehler in der Buchhaltung gesucht hatte. Für Adamek – und nicht nur für ihn, sondern auch für all jene, die er zuvor geprüft hatte – war Hieminger ein rotes Tuch. Alleinstehend, ohne Familie und erst recht ohne Freunde, war das Finanzamt seine einzige Berufung. Bei den Steuerprüfungen ließ er daher seiner sadistischen Art freien Lauf. Quälte Handwerker und Kaufleute bis aufs Blut und suchte so lange nach Unregelmäßigkeiten, bis er zwangsläufig welche fand. Dem Fleischhauer war der Mengenschluss zum Verhängnis geworden. Anhand der verbrauchten Gewürze und anderer Zutaten rechnete ihm Hieminger exakt vor, wie viel Fleisch und Wurst er damit produziert hatte. Das Ergebnis hatte für Adamek katastrophale Folgen, eine saftige Strafe und eine Nachzahlung folgten auf dem Fuß. Alles in allem kostete ihn die leidige Angelegenheit knapp über zwanzigtausend Euro. Zu allem Überdruss schrieb auch noch die Lokalzeitung darüber und der Skandal war perfekt. Die unseriösen Machenschaften des Fleischermeisters schadeten nicht nur ihm selbst, sondern auch dem Image aller Gewerbetreibenden. Wochenlang zerrissen sich die werten Mitmenschen das Maul darüber und machten sich über ihn lustig.
Nun aber war er tot, der Hieminger, und Karl Adameks Mitgefühl hielt sich naturgemäß in Grenzen. Freuen konnte er sich aber nicht darüber, da er nun auf der Liste der Hauptverdächtigen ganz oben stand.
Die Kriminalpolizei schlug ihr Hauptquartier in einem Personalraum des örtlichen Polizeireviers auf. Sie ging harten Zeiten entgegen, da man außer der Leiche selbst nichts in der Hand hatte. Am Fundort fanden die Kriminaltechniker keinerlei Spuren. Weder eine Tatwaffe noch Fingerabdrücke, Fußspuren, Reifenabdrücke oder sonstige Beweise. Damit galt als sicher, dass der Fundort nicht der Tatort war. Der Tote war nackt gewesen, sogar die Uhr hatte man ihm abgenommen. Obwohl das Waldstück Meter für Meter durchsucht wurde, war auch von seinen Kleidern nichts zu finden.
Der Vorstand des Finanzamtes hatte die Leiche ebenfalls identifiziert, der Tote war ohne Zweifel Hieminger. Wie sein Chef den Beamten versicherte, war dieser ein scharfer Hund gewesen, der auch unter den Kollegen keine Freunde hatte. Doch er war erfolgreich und bescherte dem Finanzamt hohe Einkünfte aus Strafen, welche wiederum Belobigungen nach sich zogen. Immer wieder seien jedoch Beschwerden eingelangt betreffs zynischer Bemerkungen und Beleidigungen, welche Hieminger gern vom Stapel ließ, wenn er auf Unregelmäßigkeiten stieß. Trotz all der Vorteile, welche die akribische Spurensuche Hiemingers für die Erfolgsquote