In seiner tadellos sitzenden weißen Marineuniform, seinen zu einem akkuraten Mittelscheitel gekämmten blonden Haaren, seinem gezwirbelten „Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart“, seinem länglich norddeutschen Gesicht, den buschigen Augenbrauen, seinen tiefliegenden blauen Augen, seiner schlanken Gestalt und seiner aufrechten Körperhaltung entspricht Wilhelm Kurz dem landläufigen Idealbild von einem Offizier der kaiserlich-deutschen Marine. Mit seinen vierunddreißig Jahren ist er schon recht erfahren, wenngleich er jünger aussieht. Obwohl noch unverheiratet, würde er den Erwartungen einer jeden Schwiegermutter entsprechen.
Aber vor allem besticht der Bart. Er ist zum modischen Leitbild einer selbstbewussten Nation geworden, jung, dynamisch, windschnittig. Wie ein Reichsadler, der seine Schwingen in die Höhe reckt, prangt er unter der Nase Kaiser Wilhelms II. und nun auch unter denen von hunderttausenden jungen Männern. Dabei ist es alles andere als einfach, dass die nach außen gekämmten, seitlich längeren Barthaare mit hochgezwirbelten Enden ihre Form behalten. So trägt man während der Nacht eine hinter den Ohren zu befestigende Bartbinde. Außerdem befeuchtet man ihn mit einer extra vom Hoffriseur des Kaisers entwickelten Barttinktur der Marke „Es ist erreicht“, eine Pomade mit dem zentralen Bestandteil des neuen Produkts Vaseline. Schnell verbreitet sich der Name eines solchen Barts als „Es-ist-erreicht-Bart“.
Mit stoischer Ruhe und in bester Manier hat sich Wilhelm Kurz die Tiraden des britischen Hafenkommandanten angehört. Von einem deutschen Marineoffizier erwartet man eine solche Haltung. Für ihn stellt das kein Problem dar. Er muss sich nicht großartig verstellen. Es entspricht vielmehr seinem Naturell.
In bestem Schulenglisch entgegnet Kapitänleutnant Kurz seelenruhig, aber mit überraschend sanfter, fast heller Stimme:
„Sir, ich weiß Ihren Hinweis sehr zu schätzen. Seien Sie versichert, mein Schiff wird der gastfreundlichen Bevölkerung von Penang keine Unbill bereiten“, wobei er bei diesen Worten innerlich grinsen muss. Aber Wilhelm Kurz fährt mit souverän gesetzter Ironie fort:
„Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um weit genug von Penang diese wichtigen Schießübungen abzuhalten. Danach werden wir unverzüglich Richtung Singapur dampfen, wo wir bereits angemeldet sind. Ich darf mich für Ihre überaus große Gastfreundschaft, die dem glorreichen Britischen Empire zur Ehre gereicht, im Namen der kaiserlich-deutschen Marine überschwänglichst bedanken. Zugleich wünsche ich Ihnen eine geruhsame Nacht und bitte, auf mein Schiff zurückkehren zu dürfen, Sir.“
Mit diesen Worten verlässt Wilhelm Kurz das Büro des Hafenkommandanten in Fort Cornwallis. Auf dem langen Korridor bleibt er erst einmal stehen, atmet tief und heftig ein.
Ursprünglich umgaben das alte Fort Cornwallis hölzerne Palisaden. Dann wurde es mit einer massiven Steinmauer versehen, allerdings nicht sonderlich hoch, wie Kapitänleutnant Kurz mit einem kurzen Seitenblick bemerkt. Zwar umschließt das Fort ein Graben von neun Meter Breite und zwei Meter Tiefe, aber einer richtigen Belagerung würde es keinesfalls ernsthaft standhalten. Es hat mehr symbolische als militärisch-strategische Funktion.
Außerdem dekorieren die altertümlichen Kanonen das Fort eher, als dass sie es schützen. Ursprünglich haben die Holländer sie dem Sultan von Johor vor zwei oder drei Jahrhunderten als Geschenk überreicht. Dann aber wurden sie von den Portugiesen in Besitz genommen und gelangten irgendwie nach Java und anschließend in das Sultanat Aceh an der Nordspitze von Sumatra, bevor die Kanonen in den Besitz der Engländer kamen.
Und die hatten dann nichts Besseres zu tun, als Fort Cornwallis mit diesen Museumsstücken auszustatten. Die Briten verstehe, wer will. Aber so richtig hat Wilhelm Kurz die Ausführungen von Jenkins, die der ihm mit stolzgeschwellter Brust vortrug, nicht behalten. Komplizierte Geschichte hier unten. Das einzige, was ihn als Marineoffizier wirklich interessiert, ist der einundzwanzig Meter hohe Leuchtturm, der sich in der nordöstlichen Ecke des Forts befindet.
Dann setzt Kapitänleutnant Wilhelm Kurz seinen Weg mit resoluten Schritten fort. Als er in den gerade angebrochenen Tropenabend tritt, kann er sich ein wohlgefälliges Lächeln nicht verkneifen. Das hätte ja gar nicht besser laufen können, sagt er zu sich selbst, schließt die Augen und atmet noch einmal tief durch.
Der Jenkins hat das geschluckt. Natürlich werden wir die Schießübungen fern von Penang abhalten. Ganz in unserem Sinne. Den Engländern geht mittlerweile jedes Gespür für die Interessen anderer Mächte ab. Sie sind selbstgefällig geworden. So ist es eben, wenn man seit Jahrzehnten die Welt beherrscht. Keinen Schneid mehr, sondern ein Krämervolk durch und durch eben. Ausgenommen davon bleibt ihre Marine, die Royal Navy. Wie fast jeder deutsche Marineoffizier spricht auch Wilhelm Kurz nur voller Hochachtung und großer Anerkennung von ihr.
Währenddessen denkt Hafenkommandant Jenkins in seinem Büro nach. Schön, der Deutsche scheint es ihm abgenommen zu haben, dass er, Jenkins, nichts weiß. Soll er es doch glauben. Gut, dass wir so effektive Kontakte in dieser Gegend unterhalten. Schließlich sind wir schon länger hier, als diese Neuankömmlinge und arroganten deutschen Aufsteiger. Und ganz so unbestechlich, wie sie sich immer gerieren, sind sie auch nicht. Dieser deutsche Newbronner oder wie auch immer der heißt, war nicht ganz billig, aber dann umso williger. Ja, ja, Geld regiert die Welt.
Die Kontakte zu unserem chinesischen Mittelsmann sind auch hergestellt, sinniert Anthony Jenkins weiter. Auch nicht ganz billig. Aber was bedeutet schnöder Mammon gegen Einfluss und Macht. Was bilden diese Deutschen sich eigentlich ein, sich in dieser Gegend, die doch eindeutig unser Einflussgebiet ist, einmischen zu wollen? Typisch deutsche Arroganz. Aufsteiger eben. Na ja, die werden noch ihr blaues Wunder erleben. Aber wir müssen wachsam sein und unsere Widersacher nicht unterschätzen. Das ist das Schlimmste, was wir tun können. Wir müssen einen klaren Kopf bewahren und entschlossen handeln, wenn nötig. Dazu sind selbstverständlich sowohl er, Anthony Jenkins, als auch seine Kollegen in Singapur bereit. Da ist er sich sicher.
Auf dem Weg zurück zu seinem Schiff wird Wilhelm Kurz wieder deutlich, was für ein geschäftiger und betriebsamer Hafen Georgetown doch ist. Von hier fahren alle möglichen Arten von Schiffen in die Straße von Malakka ein und aus, von einheimischen Auslegerbooten, Sampans, die als Fischerboote oder für kleinere Transporte benutzt werden, bis hin zu Dampfschiffen aller Größenordnungen. Im Hafen löschen sie ihre Fracht, nehmen neue auf und kohlen.
Die Zinnminen und Gummiplantagen auf dem gegenüberliegenden Festland haben Penang reich werden lassen. Zwar unterhalten tamilische Muslime aus Indien schon seit langer Zeit Handelsbeziehungen mit Penang, doch die mächtigste und einflussreichste Elite bilden die Chinesen mit ihren weitverzweigten Verflechtungen in der gesamten Region. Mit ihren Großfamilien wohnen sie in den prächtigsten Häusern der Insel. Sie sind stolz auf ihre Familientraditionen. Die Ehre der Familie geht ihnen über alles.
Die ursprünglichen Einwohner, die Malaien, hingegen sind vorwiegend Bauern und Fischer, die in den Dörfern über die Insel verstreut siedeln. Die Malaien machen einen sehr freundlichen, aber auch trägen Eindruck. Wahrscheinlich sind sie von der natürlichen Fruchtbarkeit der Tropeninsel und dem sie umgebendem Meer so verwöhnt, dass sie lieber darauf warten, dass ihnen eine Kokosnuss auf den Kopf fällt, als sie selber mühselig zu ernten. Nach Wilhelm Kurz erstem Eindruck kann er das voll und ganz bestätigen.
Die im Wasser liegenden Bojen, die den Weg in den Hafen weisen, sind auch des Nachts erleuchtet. Gerade nachts herrscht hier ein reges Treiben. Frachtschiffe aus allen Herren Länder, einheimische Boote beladen mit den tropischen Produkten der fruchtbaren Gegend und chinesische Sampans von der gegenüberliegenden malaiischen Halbinsel befahren den Hafen.
Kapitänleutnant Kurz militärisches Auge bemerkt sofort, dass der Hafen von Georgetown über keine Küstengeschütze zum Schutz verfügt, sondern im Ernstfall ausschließlich auf die Kriegsschiffe, die im Hafen ankern, angewiesen ist. Auch die Mauern, die Fort Cornwallis umgeben, sind äußerst niedrig. Im Kriegsfall bieten sie keinen wirklichen Schutz. Der Ankerplatz, der den Kriegsschiffen zugewiesen wird, befindet sich an der Hafenmündung, nicht weit von Fort Cornwallis entfernt. Diese Tatsachen registriert Wilhelm Kurz