Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug. Gottfried Zurbrügg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gottfried Zurbrügg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783960085577
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ist die Pflanze, mit der alle Genetiker in der Botanik arbeiten“, sagte Sybille.

      „Unser Doktor Meyer hat ihr die Pflanze gezeigt“, erzählte Anneliese, die sich freute, einmal etwas berichten zu können. „Eigentlich würden wir mehr Personal brauchen. Frau Neidhardt und Dr. Meyer arbeiten an den Geräten. Scherrer kümmerte sich um die Pflanzen und die Protokollierung der Vorgänge. Ich muss auch die Pflänzchen gießen, kontrollieren, hegen und pflegen, denn alles, was nur irgend geeignet war, wurde zum Brutschrank und zum Pflanzenschrank. Unser Botanisches Institut wurde in den letzten Wochen wieder ganz zum Forschungslabor. Meinetwegen könnte es so weitergehen. Den Professor habe ich selten so eifrig bei der Arbeit gesehen.“

      „Ich glaube nicht, dass Sie darüber sprechen sollten“, unterbrach jemand den Redefluss mit schneidender Stimme. „Was hier im Institut geschieht, geht niemanden etwas an. Professor Scherrer arbeitet nur in eigener Sache. Wer sind Sie?“

      Sybille drehte sich überrascht um. Vor ihr stand ein junger Mann mit eindeutig arabischen Gesichtszügen. Seine dunkle Haut verriet den Ägypter. Sybille ließ sich weder von den dunklen, strengen Augen noch von dem harschen Tonfall aus der Ruhe bringen. Sie fuhr mit der Hand durch ihr blondes Haar und freute sich, als sie sah, dass der junge Mann ihre Geste sehr wohl verstand. „Ich bin Sybille Walter von der Welt der Wissenschaften. Meine Zeitschrift berichtet auch über die Universität und die Institute hier in Karlsruhe. Wir haben mit Interesse wahrgenommen, dass hier ein berühmter Genetiker im Botanischen Institut arbeitet. Wundert es Sie wirklich, dass wir da Fragen haben?“ Sie sah ihn sehr selbstbewusst an und lächelte.

      Dr. Meyer lenkte höflich ein. „Sie sollten sich einen Termin geben lassen, statt unsere geschätzte Sekretärin auszufragen“, sagte er und wandte sich an Anneliese.

      „Hat Professor Scherrer in der nächsten Zeit einen Termin für ein Gespräch frei?“

      Anneliese schüttelte den Kopf. „Leider nein. Ich wies Frau Walter schon darauf hin, dass Professor Scherrer Emeriti ist und ausschließlich private Forschungen betreibt.“

      Dr. Meyer lächelte zufrieden. „Sie sehen, Sie sind umsonst gekommen“, sagte er. „Da wir aber das Interesse der Öffentlichkeit an unserem Institut zu schätzen wissen, wird sich Professor Scherrer voraussichtlich bei Ihnen melden.“ Damit wandte er sich ab und ging.

      „Gehen Sie bitte auch“, bat Anneliese. „Mit unserem Doktor ist nicht zu spaßen.“

      „Nur noch eine Frage. Wer ist das?“, bat Sybille.

      „Dr. Meyer, ein bekannter Genetiker aus Ägypten“, flüsterte Anneliese.

      Nachdenklich verließ Sybille das Institut. Viel Arbeit, zu wenig Personal und ein bekannter Genetiker aus Ägypten? Da bahnte sich doch eine interessante Geschichte an.

      An ihrem Schreibtisch forschte sie im Computer nach einem Dr. Meyer, der in Karlsruhe arbeiten sollte. Sie fand viele Wissenschaftler mit diesem Namen und Titel, aber Dr. Meyer vom Botanischen Institut fand sie nicht.

      Professor Scherrer selber ergriff die Initiative und ging einen Schritt weiter.

      Bei jedem Hustenanfall schwang in Scherrers Gedanken die Ahnung einer schweren Krankheit mit. Er fühlte es und hoffte gleichzeitig, dass alles nur eine Erkältung sei. Seine schlanken Hände wählten die Telefonnummer seines besten Freundes Robert Neumann. Jahrelang hatten sie sich nicht gesehen, aber er kannte noch immer die Nummer der kleinen Praxis in Remchingen auswendig. Robert hatte seine Praxis nie erweitert, er war keiner von den Großen geworden. „Mir reicht das, was ich habe und was ich tun kann“, hatte er bei ihrem letzten Treffen gesagt, als Scherrer die Pläne für den Bau des genetischen Institutes auf der Morgenstelle in Tübingen in Angriff nahm. „Ich möchte wirklich etwas bewegen“, hatte er selbst damals gesagt. Jetzt hatte das alles einen bitteren Beigeschmack bekommen. Er hatte wirklich viel erreicht, aber die Uhr war trotz allem unerbittlich weitergelaufen.

      „Praxis Dr. Neumann“, meldete sich eine junge Stimme.

      „Hier Scherrer! Ist Dr. Neumann zu erreichen? Ich bin sein Schulfreund.“

      „Ich stelle durch!“

      Scherrer hörte eine ungläubige Stimme, die nachfragte, ob wirklich sein Schulfreund Professor Scherrer angerufen habe. Das war Roberts Stimme. „Ja, Dr. Neumann.“

      „Robert?“

      Für einen Augenblick war es still in der Leitung, dann kam die vorsichtige Rückfrage: „Edwin?“

      „Ja, Robert, ich bin es.“

      „Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesprochen.“

      „Sprich das Wort Ewigkeit nicht aus, Robert. Ich brauche deine Hilfe.“

      „So schlimm?“

      „Ich glaube ja. Vor Wochen hat mich ein leichter Husten erwischt, aber er hörte nicht auf. Jetzt kann ich kaum mehr durchatmen und muss bei jeder kleinen Aufregung bis zum Erbrechen husten“, schilderte Scherrer seine Beschwerden. „Bei jedem Hustenanfall bekomme ich Angst, Todesangst, verstehst du?“ Er wunderte sich selber, wie leicht ihm die Worte über die Lippen kamen, obwohl er immer wieder unterbrechen musste, um sich zu räuspern.

      Als er endete, war es still am Telefon.

      „Robert?“

      „Du musst herkommen, oder noch besser, du meldest dich gleich in einer Spezialklinik zum Röntgen an. So kann ich nichts sagen.“

      „Robert! Es geht um etwas anderes.“

      „Um was?“

      „Ich“, Scherrer stockte. „Ich möchte noch ein Mal so richtig leben und brauche ein Medikament, was heute Nacht den Husten unterdrückt, dann gehe ich in die Klinik. Noch ein Mal, verstehst du, Robert?“

      „Ich verstehe, ich kenne dich ja!“ Ein leises Lachen war am anderen Ende des Telefons zu hören. „Du sollst haben, was du brauchst. Kannst du einen Boten vorbeischicken? Aber morgen musst du dich tatsächlich in Behandlung begeben! Alles hat einmal ein Ende.“

      „Alles?“

      „Fast alles, unsere Freundschaft nicht.“

      Bevor Scherrer „Danke“ sagen konnte, war aufgelegt.

      Der Professor bat seine Sekretärin, einen Tisch im Schlossgartenrestaurant zu bestellen, rief selber bei der Welt der Wissenschaften an und ließ zu Sybille durchstellen.

      „Frau Walter? Hier Scherrer, Professor Scherrer. Sie waren gestern in unserem Institut und haben Sich für unsere Arbeit interessiert. Ja, Frau Ehlert, meine Sekretärin, hat mich informiert. Ich glaube, wir kennen uns aus dem Fasanengarten? Ist das richtig? Dann würde ich Sie für heute Abend in das Schlossrestaurant einladen. Man spricht doch viel besser bei einem Glas Wein als in einem kalten Institut, meinen Sie nicht? Passt Ihnen heute Abend 18.00 Uhr? Seien Sie pünktlich!“

      Sybille Walter fuhr gleich nach dem Telefongespräch nach Hause, um sich für den Abend vorzubereiten. „Ich bin einer ganz großen Sache auf der Spur“, hatte sie ihrem Chef gesagt und gleich frei bekommen.

      Erst vor dem Spiegel fand sie sich wieder. Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie sich an die Autofahrt gar nicht mehr erinnern konnte. Wie war sie wohl gefahren? Den Gedanken an mögliche Strafzettel schob sie einfach von sich. Jetzt war etwas anderes wichtiger.

      „Wie sehe ich aus?“, fragte sie ihr Spiegelbild.

      „Willst du so zum Herrn Professor?“, fragte das zurück.

      „Natürlich nicht! Aber wer weiß?“ Sie trug nur Spitzenhöschen und einen weißen Spitzen-BH. Prüfend ließ sie den Blick über die Figur gleiten. Sie konnte zufrieden sein: der Busen nicht zu groß, der Bauch flach. Prüfend legte sie die Hand dorthin. Ja, sie musste mit dem Essen aufpassen. Der Po wohl gerundet, alles war so, wie sie es mochte. Sie spürte eine kribbelnde Erregung, als sie sich so im Spiegel betrachtete.

      „Wollen