Von diesem Sommer bis zum nächsten. Susanne Margarete Rehe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Margarete Rehe
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783960081746
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mehr miteinander verknüpfen können.“

      Jetzt war Gerdi stehen geblieben und griff nach Hannas Händen.

      Im Gesicht der jungen Frau sah Gerdi bei ihren letzten Worten die Bestürztheit einer unbedarften Jugend, aber sie sah auch die Reife, die Hanna brauchte, um ihrer Großmutter weiter zuzuhören.

      „Ich glaube, du bist tatsächlich alt genug, um zu hören, was mich vor vielen Jahren hierher, in diese Gegend geführt hat und was mich hier hielt. Vielleicht ist genau jetzt der Zeitpunkt gekommen, um dir die Geschichte meines Lebens zu erzählen, bevor sie sich verliert in einem Vergessen, aus dem ich sie nicht wieder zurückholen kann.

      Weißt du, Hanna, mein Leben ist nicht mehr oder weniger bedeutsam als irgendein anderes Frauenleben. Und vor allem weiß ich heute, dass es im Leben nicht so sehr darauf ankommt, was ich erreicht habe und welche Ziele ich verwirklichen konnte. Je älter ich wurde, umso wichtiger ist mir geworden, wie ich etwas erreicht habe und welche Wege ich gegangen bin, um zu meinen Zielen zu gelangen.

      Und mir ist nicht länger nur das Erreichte selbst wichtig, sondern das, was davon blieb und was daraus geworden ist.

      Gewachsen ist vor allem mein Bewusstsein und auch das Erkennen und Einordnen ganz wesentlicher Erfahrungen. Auch das Empfinden einer Verantwortlichkeit, die einzig mich meint, ist gewachsen und die Liebe zu den Menschen, die mir viel bedeuten und für deren Leben auch ich eine Bedeutung habe.

      Und noch etwas Anderes ist gewachsen: Mein Verständnis für die Fügungen des Lebens, die mir die Gewissheit geben, dass Menschen und Situationen, denen ich begegne, genau die Richtigen sind, um das Leben in allen Facetten für mich erfahrbar machen zu können.

      Diese Erkenntnis hat meinen Blick geschärft und meinen Geist wach gemacht, sodass ich die weiten Bögen, die alle Stationen meines Lebens miteinander verbinden, begreifen kann als etwas, das einander bedingt.

      Vielleicht bist auch du, Hanna, jetzt nicht nur mit mir hierher ins Ried gekommen, um dich vom Schmerz deiner ersten zerbrochen Liebe zu erholen, sondern weil es Zeit geworden ist, deinen Platz zu sehen in einer langen Reihe von Frauenleben beider Familien, aus denen du stammst.

      Und vielleicht auch deshalb, weil du heute an einem Wendepunkt deines Lebens angekommen bist, der nach Orientierung verlangt und einem Neubeginn vorangeht.

      Du bist noch ganz jung, Hanna, aber doch mittlerweile erwachsen geworden.

      Und du gestaltest dein Leben jetzt selbst.“

       Du triffst deine Entscheidungen, egal, ob sie richtig oder falsch sind. Du wirst die Aufgaben, die sich dir stellen, erkennen und du wirst sie annehmen oder auch nicht. Du bist frei, alles zu tun, was auch immer du wünschst.

       Und weil das so ist, Hanna, gibt es auch nichts mehr, wovor deine Eltern oder ich dich noch wirklich beschützen könnten. Dein Glück und deine Schmerzen werden kommen und sie werden vergehen und wieder kommen.

       Diese sich ewig drehende Spirale mit ihrem Auf und Ab ist gleichzeitig Qualität und Aufforderung des Lebens, das dich prägen wird und es bereits von deinem ersten Atemzug an getan hat.

       Das Einzige, was ich tun kann, und wozu ich mich auch verpflichtet fühle, ist, dich teilhaben zu lassen an meinem Leben, an meinen Erfahrungen und an meiner Liebe für dich.

       Was du dir davon nehmen willst, liegt einzig in deiner Freiheit und Entscheidung.

      Die Gedanken, die sich ihr zuletzt aufgedrängt hatten, sprach sie nicht aus.

      Es waren die Gedanken einer Rückblickenden.

      Hannas Leben sollte frei sein von der Last des Wissens. Ein ganz junges Leben war es noch, unbefangen und voller Lust auf Herausforderung. Dem Wissen und der Zukunft würde sie in ihrer Weise entgegen wachsen.

      Hannas abwartender Blick ließ Gerdi weiter sprechen.

      „Wenn du es wirklich willst, dann will ich dir gern meine Lebensgeschichte erzählen.“

      Gerdi brauchte nicht lange auf Hannas Antwort zu warten.

      Hanna war längst schon angesteckt, von der Intensität und Offenheit, mit der ihre Großmutter zu ihr gesprochen hatte. Als sie ihr antwortete, schien es, als hätte sie schon lange auf diese Gelegenheit gewartet: „Ja, bitte! Bitte erzähl mir alles, was du weißt – und was du erlebt und erfahren hast!

      Ich hab in meinem Leben oft so viele Fragen und meist nur verdammt wenig Antworten drauf. Es gibt so Vieles, was ich nicht verstehe und manchmal, weiß ich einfach nicht, wie Leben geht.

      Ich wär dir wirklich dankbar, wenn du mir von deinem Leben erzählst!

      Wann sonst würde es besser passen, wenn nicht jetzt? Eigentlich ist es doch so, als wäre es ein Geschenk des Himmels. Wir Zwei haben nämlich gerade alle Zeit der Welt dafür!“

      „Ich bin dir ebenfalls dankbar, Hanna!

      Dankbar dafür, dass du meine Geschichte hören willst, weil ich weiß, dass der Teil meines Lebens, der für dich bedeutsam ist, sich in irgendeiner Weise auch in deinen Gedanken und Handlungen widerspiegeln wird und dir helfen kann, deinen Weg zu finden. Und schon alleine dafür macht es Sinn, auch die dunkelsten Stunden in meinem Leben gelebt zu haben.“

      Einander untergehakt und sich verbunden wissend wanderten die beiden Frauen weiter.

      Der Abend hauchte träge seinen feuchten Atem über die Niederung der Flusslandschaft und hüllte sie ein.

      Sie gingen langsam, sodass die alte Frau beim Gehen noch genügend Atem fand, um zu erzählen. Und die Junge hörte ihr zu und nahm dennoch in den freien Lücken, die Gerdis schwerfällig gewordenes Gedächtnis zwischen die Worte schob, die Einsamkeit und Stille wahr, die sich mit der aufziehenden Dunkelheit über das Ried legten.

      Gerdi saß in ihrem Zimmer und hatte die zerpflückten Einzelteile der örtlichen Tagespresse um sich versammelt. Die Morgensonne spielte auf ihrem schulterlangen hennagefärbten Haar. Zwischen einer Mahagoni-Tönung versteckt, verrieten einige orange leuchtende Strähnen überdecktes Silbergrau.

      Gerdi wirkte wesentlich jünger, als sie tatsächlich war. Kaum jemand schätzte sie auf ihr wirkliches Alter. Sie war keine schöne Frau im eigentlichen Sinne, aber sehr weiblich, attraktiv und beeindruckend in ihrer Lebendigkeit. Ihre Körpergröße und kraftvoll zupackende Art standen in reizvollem Gegensatz zur Feingliedrigkeit ihrer schlanken Arme, den schmalen Gelenken und dem langen, schön geformten Hals. Die Gegensätzlichkeit, die Gerdis Körper in sich vereinte, schien ein Spiegelbild ihrer Persönlichkeit zu sein.

      Träge blätterte sie in der Zeitung, fischte lustlos die Rubrik „Kontaktanzeigen“ heraus und las.

      „Er sucht Sie“ – gepaart mit einem kleinen Schuss Hoffnung schien das Lesen der Annoncen fast so gut wie eine Kombi-Packung Filmtabletten gegen freudlose Nächte und entsetzlich einsame Wochenenden.

      Langsam tickerten die Anzeigen durch Gerdis Kopf in Richtung Barometer.

      Ihr Bauchbarometer war genau an der Stelle angesiedelt, wo empfindliche Schläge die Magengrube treffen konnten. Ein kleines seismographisch genaues Frühwarnsystem hatte sich dort eingenistet, und Gerdi hatte es ausreichend erprobt in einem bewegten Leben.

      Die Messskala „Partnersuche“, an der die Kontaktanzeigen vorbei tickerten, reichte dabei von „nichts sagend“ über „vielleicht – mal sehen“ bis hin zu „Volltreffer“.

      Nur blieb der Zeiger fast ohne Ausnahme auf der Negativseite hängen. Manchmal schlich er aber doch zögernd weiter. Fast unmutig quälte er sich dann in den grünen Bereich, sodass Gerdi schon beim bloßen Nachspüren die Lust verließ.

       Warum suchen eigentlich so viele Männer eine Frau zum Pferdestehlen?

       Trauen die sich alleine nicht?

       Warum hält