»Den Kuchen, den haben Danuta und Patrycja gebacken«, dolmetschte Heinrich.
»Meine Mutter konnte auch immer eine vorzügliche Schokoladentorte backen«, erinnerte sich Albert und freute sich auf das erste Stück.
Danuta war in die Küche gegangen, um den Kaffee zu holen.
»Sagen Sie, Herr Wójcik, woher stammen Sie eigentlich?«
Albert war neugierig geworden, seit er diese Leute kennen gelernt hatte.
Der alte Pole rückte den Stuhl, auf dem er saß, näher an den Tisch. Dann begann er zu erzählen.
»Herr Wójcik stammt aus der Region Kresy«, übersetzte Heinrich. »Seine Eltern besaßen dort einen großen Bauernhof, den sie leider verlassen mussten, als man seine Familie von dort umsiedelte. Eines Morgens stand da jemand vor der Tür, erzählte, dass die Familie wegmüsse und was sie mitnehmen durften. Mit einem Pferdewagen wurde alles zum Abtransport an den Bahnhof gebracht. Seine Eltern erhielten einen Hof in Ostpreußen unweit entfernt von Allenstein zugewiesen. Der verfiel jedoch zusehends, weil die Wójciks nicht die geeigneten Gerätschaften besaßen, um das Land zu bewirtschaften.«
Dieses Land zu bewirtschaften, das war nie einfach, das wussten auch Albert und Heinrich. Dafür bedurfte es der Erfahrungen von Generationen. In manchen Landstrichen konnte man mit Maschinen nichts ausrichten, das ging nur mit Pferden.
Heinrich hielt kurz inne. Dann fuhr er mit dem Übersetzen fort.
»Als Wójciks Eltern starben, verfiel der Hof gänzlich. Er bekam später mit seiner Frau diese Haushälfte in Klotainen zugewiesen, die sie noch immer bewohnen. Er werde wohl auch hier sterben, meinte Herr Wójcik, wenn es ihn nicht gerade draußen bei der Gartenarbeit erwischt.«
Zwischenzeitlich kehrte Danuta mit dem Kaffee aus der Küche zurück. Sie schenkte ein, dann stellte sie die Kanne auf den Tisch und gesellte sich zu der Runde.
»Was darf ich Ihnen anbieten?«, fragte sie auf Polnisch und deutete auf den Kuchen.
Albert verstand sofort und zeigte auf den Käsekuchen.
Danuta nahm seinen Teller entgegen und platzierte ein großes Stück Kuchen darauf.
»Sagen Sie, Herr Wójcik, wer hat das Haus eigentlich vor Ihnen bewohnt? Also direkt nach dem Krieg«, fragte Albert.
Heinrich übersetzte Wort für Wort und hörte, was der alte Pole zu sagen hatte.
»Unser Gastgeber sagt, dass er das nicht so genau weiß. Diese Haushälfte hat wohl auch eine Zeit lang leer gestanden.«
»Wie schmeckt Ihnen unser Kuchen?«, wollte Danuta wissen.
»Vorzüglich«, lobte Albert. Er drehte sich kurz zur Anrichte und griff nach dem Fotoalbum, das er zuvor dorthin gelegt hatte.
»Wollen wir doch mal sehen, was dieses alte Büchlein so zu erzählen hat.«
Vorsichtig klappte Albert das Deckblatt zur Seite. Die ersten Fotografien, die er sah, waren alt, sehr alt. Es handelte sich um Hochzeitsfotos, entstanden vermutlich um das Jahr 1900.
»Das sind höchstwahrscheinlich die Eltern der alten Lipowskis!«, mutmaßte Albert, während Heinrich weiter dolmetschte.
Alle am Tisch warteten gespannt darauf, was Albert ihnen zu erzählen hatte. Auch die kleine Patrycia blickte ihn mit großen, wissbegierigen Augen an.
»Schau, und das hier, dass sind sie als Kinder. Das Foto entstand da drüben vor dem alten Kastanienbaum.«
Albert deutete mit dem Zeigefinger zum Fenster.
»Und hier, das ist ihr Hochzeitsbild mit der ganzen Hochzeitsgesellschaft auf dem gepflasterten Innenhof.«
»Ja, das waren damals große Gesellschaften, wenn jemand heiratete«, sprudelte es aus Albert heraus. »Meine Mutter, die war eine gelernte Köchin. Sie hat häufig bei Feierlichkeiten im Dorf in der Küche geholfen. Gefeiert wurde meistens im Freien, im Herbst, dann, wenn die Felder bestellt waren.«
Albert blätterte weiter. Er blickte auf ein Foto, das ein kleines Backsteingebäude zeigte.
»Das hier, das sind Fotos, die in den 1930er- und 1940er-Jahren in Klotainen gemacht wurden. Da kann ich mich noch gut dran erinnern. Das da, das war unsere Schule.«
Albert schob das Album näher an Patrycja heran.
»Schau Patrycja, hier bin ich zur Schule gegangen. Ach Gott, und das da auf diesem Foto, das ist unsere alte Klasse.«
Albert war gerührt.
»Hier, Patrycja, das da in der zweiten Reihe auf dem Foto, siehst du, der Lange dort, der mit dem breiten Grinsen im Gesicht, das da, das bin ich.«
Das kleine blonde Mädchen schaute sich das Foto etwas genauer an. Dann blickte es Albert an und nickte.
»Und das hier, das ist unser Haus, wie es früher ausschaute.«
Auch die anderen am Tisch erkannten das Anwesen auf Anhieb. Lipowskis hatten offenbar auch das Nachbarhaus fotografiert.
»Und hier, hier sind sie gerade alle bei der Heuernte. Das Bild ist auf den Wiesen in Richtung Siegfriedswalde gemacht worden.«
Albert sprach jetzt so schnell, dass Heinrich seine wahre Mühe hatte, mit dem Übersetzen hinterher zu kommen.
»Schau, Patrycja, dieses Foto zeigt die Leute beim Torfstechen. Jedes Frühjahr sind wir nach Blumenau und haben von dort den Torf als Brennmaterial für den Kachelofen nach Hause gebracht. Getrocknet brannte der besser als jedes Stück Holz«, erinnerte sich Albert und blickte aus dem Fenster hinüber zu dem alten Kastanienbaum, der in voller Blüte stand.
»Ich weiß noch genau, als ich, es muss im Frühjahr 1941 gewesen sein, dort mit einigen Männern aus dem Dorf an der Arbeit war. Karl, mein kleiner Bruder, kam wild gestikulierend den Hügel hinunter gerannt…«
Vater kommt nach Hause
Karlchen rannte. Er rannte, als ginge es um sein Leben. Für diese Nachricht würde er sich die Seele aus seinem kleinen Körper rennen. Wenn es sein musste, würde er diese Botschaft bis ans Ende der Welt tragen. Und er würde sie jedem kundtun, ob er sie hören mochte oder nicht.
Doch ganz so weit brauchte er an diesem Nachmittag nicht zu laufen. Eigentlich waren es auch nur drei oder vier Kilometer, die er zurücklegen musste. Denn das entsprach in etwa der Entfernung zwischen dem Torfgebiet von Blumenau und seinem Elternhaus in Klotainen.
Auf dem sandigen Weg nach Blumenau fielen Karlchen die schnellen Schritte schwer. Doch das war Nebensache. Albert hatte in aller Herrgottsfrühe mit einigen Männern das Dorf verlassen. Sie wollten zum Torfstechen. Der Krieg war längst schon ins zweite Jahr gegangen. Auch wenn bereits einige Männer aus Klotainen zur Wehrmacht eingezogen worden waren, so gab es dennoch seit Kriegsbeginn 1939 keine Verluste im Dorf. Das Leben verlief in seinen gewohnten Bahnen: Saat und Ernte, Geburt und Tod.
Willi Steinky war bereits direkt bei Kriegsbeginn zu einer Flakeinheit eingezogen worden. Die Grundausbildung absolvierte er im Samland. Dann zog er mit der Truppe nach Westen – gegen den Erzfeind Frankreich. Zuletzt war er in Ostende stationiert. Und während Männer wie Willi Steinky für Volk, Vaterland und für den allseits so geliebten Führer ihr Leben riskierten, mussten die größeren Burschen zu Hause mit anpacken. Karlchen blieb noch verschont, Albert, der drei Jahre älter war als sein Bruder, hatte da die schlechteren Karten.
Es war Frühling geworden in Klotainen. Der Mai war mit vielen Farben und Gerüchen ins Land gekommen. Jedes Jahr begannen die Bewohner zu dieser Zeit in der Nähe von Blumenau mit dem Torfstechen. Mit dem Pferdewagen, der große breite Holzrollen als Räder besaß, zogen sie ins Torfgebiet nordöstlich des kleinen Dörfchens. Dem verdutzt dreinschauenden Ross hatten sie hölzerne Pantoffeln an die Hufe geschnallt, richtig breite platte