Mohnpracht
Mit meinem neuen Grundnahrungsmittel, Keksen, sitze ich am Fluss Saône und beobachte einen – vorsichtig ausgedrückt – fülligen Angler, welcher einen dicken Karpfen aus dem Wasser zieht. Ein paar Stücke frisches Baguette und zart schmelzender Camembert bereichern meine Rast. Hier in der Heimat des Käses schmeckt selbst die simple Supermarktvariante cremig und würzig. Die Backwaren, egal, ob süß oder eben in länglicher Form, sind ausnahmslos schmackhaft. Gern halte ich in kleinen Dörfern an winzigen Bäckereien und versorge mich mit Energie, erfreue Bäckersmann und -frau mit meinem deutschen Akzent, der sich unverkennbar in mein Französisch mischt. Ich lasse es ganz sicher entspannter angehen als die Green Riders, auch wenn ich täglich Notizen anfertige, Fotos sichte und ein paar anderen Dingen nachgehe, die mich als Reisejournalistin auf dieser Tour begleiten. Meine Bewunderung gilt diesen engagierten jungen Menschen, die ihre „Ruhetage“ dazu nutzen, ehrenamtlich aktiv zu sein und körperlich zu arbeiten. Ich wünsche ihnen, dass sie mit ihrer Tour die gewünschte Aufmerksamkeit erzielen und pünktlich am Schwarzen Meer ankommen.
Auf dem Weg nach Besançon
An einem Kanal entlang trägt mich Fidibus durch das nasse Frankreich, wobei ich mir hin und wieder kurze Abschnitte mit Gleichgesinnten teile. Meistens folge ich beim Treten und Pausieren jedoch lieber meinem eigenen Rhythmus. Ich mag es, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Oft drehen sich diese beim Treten nicht selten um die nächste Mahlzeit. Das ist zwar wenig spektakulär, aber als Kontrast zum vielseitigen und mitunter aufregenden heimischen Arbeitsalltag ganz angenehm.
Verregnete graue Stadt Besançon
An Orten, deren Namen wohlklingen, Rochefort-sur-Nenon und Orchamps, folge ich dem Rhein-Rhône-Kanal, bis der Fluss Le Doubs mein Begleiter nach Besançon wird. Der Ort hat es sich in einer Schleife des Gewässers bequem gemacht und gilt als grünste Stadt Frankreichs. Ich erreiche sie bei strömendem Regen. Das Flusstal, welches ich zuvor passiert habe, hat vom Wetter ja noch profitiert, sah es während einer kleinen Wolkenlücke doch sehr ansehnlich aus, mit weiten saftigen Rasenflächen zwischen dicht bewaldeten Hügeln … Aber hier in der Stadt, in der ich mir nur zitternd schiebend ein, zwei Gässchen anschaue, wird lediglich eine Erinnerung bleiben: grau. Vom natürlichen Wachstum, was der Regen zu verursachen vermag, sehe ich in den Straßen, über denen triefende Wolken hängen, nämlich nichts.
Plötzlich mache ich vor meiner Nase zwei gelbe Westen mit Unterschriften aus. Ich gebe sofort Gas und schließe jubelnd zu Didier und Claudine auf. Ja, ich habe sie wieder – und das trotz meiner kurzen Etappe nach Chalon-sur-Saône! Sie freuen sich genauso wie ich und wir erzählen einander von den geleisteten Etappen und den in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen und Menschen, die wir trafen. Die beiden haben eine Handvoll Reisende kennenlernt, was sie mir kurz berichten, bevor Claudine schnell anfügt: „Aber mit niemandem von denen war es wie mit dir.“ Wir lachen und ich gebe das Kompliment überschwänglich zurück. Mit ihnen teile ich auch gern einmal länger meinen Weg.
Wegen des nassen Wetters versuchen wir uns nicht zu ärgern, können wir es doch sowieso nicht ändern, übrigens auch ein Grund, weshalb sie und ich nie die Wettervorhersage checken. Uns ist klar, dass auf einer solch langen Reise Regentage dabei sein müssen. Vor der Tour hatte ich gedacht, es würde mich mehr stören, im Nassen zu fahren, aber ich weiß um die Qualität meiner Kleidung und meines Hilleberg-Zeltes, sodass es mir alles in allem wenig ausmacht, wenn sich die Wolken ausweinen.
Das Wetter sorgt für einen zauberhaften Uferanblick
Didier, Claudine und ich halten fest, dass es bei uns Radlern zwei Kategorien gibt: „die Untersteller“ sowie „die Durchfahrer“. Wir gehören zu letzteren. Einmal richtig durchnässt, ist schließlich keine Steigerung mehr möglich. Außerdem kommen wir an solchen Tagen besonders zügig voran, weil Picknickpausen im Regen einfach weniger Spaß machen.
Optisch hat das aktuelle Klima schließlich auch etwas, freue ich mich, als ich meine Kamera zum Fluss ausrichte, auf dessen gegenüberliegender Uferseite eine kleine Steinkirche ihr Spitzdach-Türmchen zwischen den Bäumen vorschiebt und sich der Wolkendunst in den Hügeln in Szene setzt.
Ähnlich schön ist die Lage des Zeltplatzes in Baume-les-Dames in einem Tal, das nur eine Farbe kennt: Grün. Von meinen französischen Eltern habe ich mich noch einmal getrennt und freue mich diebisch, als die einhundert Kilometer heute schon um 16:30 Uhr geschafft sind, vor Ankunft meiner beiden Freunde und sogar noch vor Öffnung der Rezeption.
Als wäre es meine Belohnung, schieben sich die Wolken auseinander und machen Platz für die wärmenden Strahlen der Sonne. Ich genieße Tee, Brot und Camembert als Nachmittagssnack und bemerke einen weiteren Vorteil von Regentagen: Die Freude über Wetterbesserung ist umso größer und die Sonne hat das Potenzial, meine Endorphine in die Achterbahn zu schicken. Ich grinse in den Himmel.
Das perfekte Frühstück
Die letzten Kilometer in dem Land, dem ich mich nicht nur verbunden fühle, weil ich hier Familie habe und schon als kleiner Stöpsel das erste Mal herreiste, sondern auch, weil es Startpunkt meines großen Radlerabenteuers war, verbringe ich nahezu fliegend. Eine Tagesetappe von fast 120 Kilometern befördert mich nach Mulhouse im Elsass, weit im Osten Frankreichs und am Dreiländereck Frankreich, Deutschland, Schweiz. Eine Mühle ist Namensgeberin des Ortes, dessen Geschichte bis ins 9. Jahrhundert zurückreicht. So ziert ein Mühlrad heute das Stadtwappen.
In Mulhouse
Ich finde einen herrlich großen Rasenabschnitt für mein Zelt auf dem hiesigen Campingplatz und beginne den folgenden Tag mit einem Bummel durch den verschlafenen Stadtkern. Der Sonntag hat hier alles in einen Dornröschenschlaf versetzt, sodass ich freie Sicht auf das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert genieße. Der dreigeschossige Bau basiert auf einem rechteckigen Grundriss, Zugang erhält man über eine überdachte, gegenläufige Freitreppe. Ich finde das Äußere sehr ansehnlich, so ist die Schauseite komplett bemalt, die Grundfarbe sorgt mit einem Fliederton für positive Ausstrahlung, ebenso die bunten Renaissance-Fassaden.
Nach ein paar Videoaufnahmen von der protestantischen Stephanskirche, deren fast einhundert Meter hoher Glockenturm das Stadtbild beherrscht, schiebe ich Fidibus durch ein paar Gassen mit Cafés, nehme noch einmal einige tiefe Atemzüge croissant-geschwängerter Frankreichluft und bereite mich mental auf den Abschied aus diesem liebenswerten Land vor.
Zurückgeschaut ... Glücksmomente in Frankreich
Mit Frankreich verbinde ich die Bezeichnung „savoir-vivre“. Dieser Begriff lässt sich damit übersetzen, dass man