Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer. Mady Host. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mady Host
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783947944798
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gern mehr sehen als die nasse Welt außerhalb der Bäckerei, an deren Fenster ich nach draußen blicke, während ich mir ein Mandelcroissant und heiße Schokolade schmecken lasse. Auch wenn es keine Sitzgelegenheiten gibt, lässt mich die Bäckersfrau gewähren, so lange, bis ich zum Supermarkt um die Ecke rollen kann.

      Es ist kurz vor 15 Uhr und die Ladenöffnung steht unmittelbar bevor. Mit mir warten eine Gruppe Teenie-Jungs, eine freundlich wirkende Omi und ein Pärchen mittleren Alters, das mich immer wieder anlächelt. Während ich einkaufe, wartet Fidibus voll beladen vor der Tür, nur die Lenkertasche habe ich abgeknipst. Aus Sorge um mein Hab und Gut wollte ich eigentlich auch immer die komplette und fest verstaute Kameraausrüstung, vielleicht sogar das hochwertige Zelt mitnehmen, wenn ich das Rad zum Einkaufen abstellen muss, aber hier an diesem beschaulichen Ort habe ich eher das Gefühl, die Menschen würden auf mich aufpassen, als irgendetwas Böses im Schilde zu führen. So verhalte mich ausnahmsweise mal etwas lockerer.

      Das Alleinreisen selbst funktioniert gut für mich, aber Dinge wie unbeschwert einkaufen, Sehenswürdigkeiten von innen anschauen, in freier Wildbahn zelten, mit vier statt mit zwei Augen auf Wegverlauf und Verkehr größerer Städte schauen – all das habe ich als Alleinreisende nicht. Mein Multitasking ist schon in mancher Stadt auf die Probe gestellt worden: Route finden beziehungsweise behalten, nicht umfahren lassen, selbst nicht umfahren, Sehenswürdigkeiten entdecken, filmen, fotografieren, dabei noch einen Seitenblick riskieren, ob nicht irgendwo ein Lebensmittelgeschäft zu finden ist … Aber es geht und wird mit jeder Stadtpassage auch etwas leichter.

      Nach Verlassen des Ortes komme ich gut voran und freue mich aufs Erreichen meines Tageszieles Orléans. Der Regen pausiert sogar ein Weilchen und der Fahrtwind gibt meiner Kleidung die Chance, etwas trockener zu werden. Voller Vorfreude stelle ich mir vor, wie ich auf dem Campingplatz in meinem gemütlichen Zelt sitze, erst heiße Nudeln zu warmem Tee löffele, mir dann als Dessert einen süßen Tassenpudding zubereite. Ich werde nicht allzu spät ankommen, kann nach dem Tagebuchschreiben bestimmt noch viele Seiten meines Krimis lesen, vielleicht sogar besonders zeitig schlafen gehen … Meine Gedanken werden vom erneut einsetzenden Regen ertränkt. So kurz vorm Ziel! Gemein. Kurz vorm Ziel? Pustekuchen! Ich muss meine Karte wohl falsch gedeutet haben, denn ich biege am Stadtrand von Orléans zu früh ab und wundere mich über die kleine Nebenstraße, in der ich mich plötzlich befinde. Ein erneuter Blick auf den Plan lässt mich ernsthaft zweifeln, ob das stimmen kann. Ich sehe mich nach Fußgängern um, aber bei dem Mistwetter ist hier niemand unterwegs, nur ein Autofahrer rollt gerade los und hinterlässt eine Lücke, hinter der eine geöffnete Haustür sichtbar wird. Darin steht ein weißhaariger Mann und winkt seinem abreisenden Besucher hinterher. Ich stoppe und nutze die Gelegenheit, ihn nach dem Weg zum Campingplatz in Orléans zu fragen, dabei wische ich die Tropfen auf der transparenten Regenhülle meiner Lenkertasche beiseite und deute auf den anvisierten Punkt.

      „Wollen Sie nicht erst einmal auf einen heißen Kaffee reinkommen, Sie sind ja ganz nass“, lautet seine Antwort. „Mein Name ist Jean“, fügt er dann noch lächelnd an.

      Ich mustere den Mann, höre kurz auf mein Bauchgefühl, das grünes Licht gibt, und nicke dann. Er stößt die Tür auf und gibt mir zu verstehen, dass ich mein Fahrrad samt Gepäck einfach hineinschieben soll. Wir befinden uns in einem länglichen Schuppen, von dem aus wir scharf abzweigen und in einer urgemütlichen Essküche landen. Auf einem riesigen massiven Holztisch stehen ein Teller mit Käse, eine Schüssel Tomaten, eine Tüte mit Backwaren, benutzte Weingläser und Tassen sowie leere Weinflaschen – Zeugen des Essens, was hier gerade erst stattgefunden haben muss. Ich nehme die Einladung, Platz zu nehmen, dankbar an und erfahre von Jean, dass er Familienbesuch hatte, der gerade erst wieder abgereist ist. Ich lege meine Hände um die Tasse, die mir mein Gastgeber hingestellt hat. Jeans Französisch ist für mich sehr gut zu verstehen, sodass ich schnell einiges über ihn erfahre. Er deutet auf das Geschirr vor uns und erklärt mir, dass er Familie auf Korsika hat.

      „Sie waren zu Besuch und haben Wein mitgebracht. Von dort kommen nämlich die besten Weine der Welt“, klärt er mich stolz auf und lächelt glücklich.

      „Was macht Sie denn besonders glücklich?“, will ich wissen.

      „Das ist einfach“, erwidert Jean prompt. „Hinter mir liegen Tage voller Glück. Ich habe für alle gekocht, wir haben zusammen gesessen, geplaudert und den besten Wein von der schönsten Insel getrunken. Ich liebe Korsika, die Landschaft, die Gerüche – alles an der Insel macht mich froh. In diesem Jahr war ich mit meinem 16-jährigen Sohn dort. Wir sind in unserem Oldtimer über die Insel gefahren. Das war pures Glück, wir zwei Männer in diesem Auto, auf einem zauberhaften Fleckchen Erde.“

      Er bietet an, mir sein Auto nach dem Kaffeetrinken zu zeigen, es stehe hinter dem Haus, unter seinem Carport. Ich nicke begeistert und erfahre noch, dass er eine Frau hat, die um einiges jünger ist als er und aus Peru stammt. Der gemeinsame 16-jährige Sohn spreche aber kaum Spanisch, sondern nur die Sprache seines Wohnlandes Frankreich.

      „Leider haben Sie meine Frau verpasst“, erklärt mir Jean, „Sie ist gerade in der alten Heimat, weil ihr Vater gestorben ist. Ansonsten leben wir hier gemeinsam und sie arbeitet im Krankenhaus.“

      Er denkt nach und fügt an: „Natürlich war auch der Tag unserer Hochzeit ein sehr glücklicher, ja, das war ein bedeutender Höhepunkt in meinem Leben. Es ist normal, dass – und ich meine das keinesfalls negativ – irgendwann der Alltag einkehrt, und in diesen mischen sich dann immer wieder Highlights, zum Beispiel der Familienbesuch oder die Inselrundfahrt mit meinem Sohn.“

      Wie auf ein Stichwort erscheint selbiger in der Küche und begrüßt mich mit Wangenküssen. Das schwarze Haar und die ebenso dunklen Augen verraten die Herkunft seiner Mutter.

      Nachdem ich den besten Kaffee meines Lebens ausgetrunken habe, gehen Jean und ich nach draußen, wo er mir sein Liebhaberstück zeigen möchte. Sorgsam hebt er die Plane an, rollt sie zur Seite, bis ich das Prachtexemplar bewundern kann. Es ist ein Fahrzeug der Morgan Motor Company, britischer Sportwagenhersteller, der im Jahr 1909 von Harry Frederick Stanley Morgan gegründet worden ist. Vor mir glänzt der dunkle Lack des edlen Cabrios, an dessen Seite Jean gern fürs Foto posiert.

      Auch wenn ich mich pudelwohl bei meinem sympathischen Gastgeber mit der runden Brille, den weißen Haaren und dem gestreiften Longsleeve fühle, so ist es an der Zeit weiterzuziehen, obwohl es leider immer noch regnet. Jean malt mir den kürzesten Weg zum Campingplatz auf ein Stück Papier und öffnet die Haustür. Ich drücke ihm noch eine Magdeburg-Postkarte, einen Gruß aus meiner Heimat, in die Hände und parke aus. Solche kleinen Souvenirs habe ich auf jeder Reise dabei, sie schaffen eine Verbindung zu meinem Wohnort und sind der visuelle Zugang, mit dem ich zeigen kann, woher ich komme und wie es dort aussieht.

      Der glückliche Jean an seinem Morgan

      Während ich Fidibus nehme, um ihn rückwärts aus dem Schuppen zu schieben, knackt es plötzlich und mein Fahrradständer, der schon erste Spuren eines Defekts gezeigt hatte, bricht vollends ab und liegt traurig zwischen meinem Rad und mir. Jean und ich nehmen es mit Humor, mein Gastgeber hebt das kaputte Teil auf und ich entgegne lachend: „Nun haben Sie noch ein Souvenir von mir.“

      Als ich wieder auf der Straße bin und der Route folge, die mir Jean aufgezeichnet hat, freue ich mich über meinen Makel in puncto Orientierung, denn was entginge mir nur, wenn ich mich nicht verfahren würde … Manchmal haben eben auch Schwächen ihre Stärken.

      Die selbstgemalte Karte ist jedenfalls großartig und ich erreiche schnell die Stelle, an der laut meiner Fahrradkarte der Zeltplatz sein müsste. Ich rolle am Loire-Ufer vor und zurück, einmal, zweimal, dreimal, kann jedoch partout keinen Campingplatz ausmachen. Das gibt es doch nicht! Ich frage Jogger, Fußgänger, biege sogar zur nächsten Straße ab, um mich bei einem Autofahrer zu erkundigen. Ich weiß nicht, wie lange ich schon umherirre, als eine junge Frau, die Englisch mit mir spricht, ausführlich auf ihrem Smartphone recherchiert und dann eine Nummer anruft, von der wir beide der Meinung sind, sie gehöre zum Campingplatz, der nahezu vor unserer Nase sein müsste. Wir erfahren, dass er erst ab dem 22. Juni geöffnet hat, was erklärt, warum wir ihn nicht sehen, da das