Logbuch Deutsch. Roland Kaehlbrandt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roland Kaehlbrandt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783465242550
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weniger hervorgehoben als ein Relativsatz. Dadurch gelingt eine differenzierte „Perspektivierung“, also eine feine Dosierung der Gewichte, die man den präzisierenden Satzteilen oder Sätzen zuweist. Und wenn man bedenkt, was sonst noch möglich ist, beispielsweise auch in der Nachstellung des Adjektivs, kann man von der großen Elastizität der Wortstellung nur beeindruckt sein: Röslein rot, Forelle blau, Henkell trocken oder auch diese nachgestellte Konstruktion: Salat kauft er nur frischen.11

      Zurück zum Sprachvergleich zwischen dem Deutschen und dem Französischen, der erhellend ist, weil er zeigt, dass die beiden Sprachen in ihrem System und in ihren Stilidealen die Aufmerksamkeit auf verschiedene Weise „steuern und fixieren“, so der Kölner Romanist Peter Blumenthal in einer scharfsinnigen Arbeit zu diesem Thema.12 Hier die Aufmerksamkeit sozusagen Schritt für Schritt und Stück für Stück, da die Aufmerksamkeit in einer Gesamtsicht.

      Bei aller Faszination für sprachliche Unterschiede ist anzumerken, dass das Deutsche auch den geradlinigen Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt kennt: Er gibt ihr das Buch. Erst in den Sätzen mit zusammengesetzten Prädikaten und in Nebensätzen werden Satzklammern gebildet. Und schließlich muss das Deutsche auch in Substantivgruppen eine Ansammlung von bestimmenden Wörtern nicht voranstellen, sondern kann sie durch einen Relativsatz oder eine Apposition nach dem Substantiv gruppieren: Wem die Wortgruppe ein im Wohnzimmer zwischen dem Kamin und dem Fenster stehender Schrank zu schwierig ist, der kann ebenso gut sagen: ein Schrank, der im Wohnzimmer zwischen dem Kamin und dem Fenster steht oder ein Schrank im Wohnzimmer, zwischen dem Kamin und dem Fenster.13 Es gibt sprachliche Zwänge, aber es gibt auch Auswege aus ihnen.

      Ich möchte eine Lanze brechen für den langen Satz, ja sogar für den Schachtelsatz, den das Deutsche ermöglicht, der aber gern als Überforderung des Lesers und Hörers missbilligt wird. Gerade im langen Schachtelsatz zeigen sich die wunderbaren Stellungsfreiheiten des deutschen Satzbaus – allerdings nur dann, wenn jemand mit diesen Freiheiten vernünftig umzugehen versteht. Wenige konnten damit so virtuos umgehen wie Thomas Mann. Der Bau des langen, dabei gut verständlichen Satzes, ist eine seiner Sprachkünste. Wenn man sich dem Rhythmus seiner Sätze anvertraut und sich von ihnen in die Gedankenwelt des Autors einführen lässt, stellt sich ein Hochgenuss ein: ein Sprach- und Denkkunstwerk zugleich.

      Der Doktor Faustus beginnt mit einem solchen Satz, mit dem der Erzähler Gelehrsamkeit, Bescheidenheit und Vornehmheit vermittelt: „Mit aller Bestimmtheit will ich versichern, dass es keineswegs aus dem Wunsche geschieht, meine Person in den Vordergrund zu schieben, wenn ich diesen Mitteilungen über das Leben des verewigten Adrian Leverkühn, dieser ersten und gewiß sehr vorläufigen Biographie des teuren, vom Schicksal so furchtbar heimgesuchten, erhobenen und gestürzten Mannes und genialen Musikers einige Worte über mich selbst und meine Bewandtnisse vorausschicke.“

      Erst am Ende des Satzes erfährt man, was der Autor ankündigen will: dass er zunächst einiges über sich selbst berichten wird. Aber durch die eingefügten Nebensätze entsteht gerade jener langsame, fast schon zögerliche Rhythmus, der die bedächtige Wesensart des Erzählers, eines zurückgezogen lebenden Gelehrten, erkennbar werden lässt. Dieser lange Satz lenkt unsere Aufmerksamkeit in einem Wurf und Guss auf den Erzähler und auf die dramatische Persönlichkeit des Tonsetzers Adrian Leverkühn, dessen Schicksal sogleich angedeutet wird. Die Anfänge eines Romans sind ja stets besonders wichtig, denn hier muss der Autor den Leser packen. Dieser Romananfang führt uns vor Augen, was uns erwartet: eine dramatische Erzählung, vorgetragen von einem glaubwürdigen, besonnenen, aber auch aufgewühlten Zeugen.

      Der Doktor Faustus ist ein großes Zeugnis deutscher Sprachkunst, und man kann nur hoffen, aber auch erwarten, ja einfordern, dass unsere Schulen nicht unter der Maxime einer sich anbiedernden „Niedrigschwelligkeit“ lieber im Tal der sprachlich Ahnungslosen verweilen, als ihre Schüler zum Erlebnis solcher Höhepunkte zu führen. Es wäre ein großer Verlust, wenn selbst Gymnasiasten, also Absolventen „höherer Bildung“, nicht mehr an solche Sprachkunstwerke herangeführt würden, weil sich unsere Sprache in ihrer allgegenwärtigen Trivialisierung in so großen Schritten von dem hohen Niveau unserer großen Schriftsteller entfernte, dass schon die kommende Generation sich diese Sprachzeugnisse allenfalls noch im germanistischen Studium erschließen könnte, so als handelte es sich beim „Doktor Faustus“ um das althochdeutsche Ludwigslied aus der Zeit Ludwigs des Stammlers.

      Der Satzbau im Deutschen kann auch Kürze und Länge wirkungsvoll kombinieren. Ein Meister dieser Abwechslung zwischen lang und kurz ist Stefan Zweig. Der elegante Schwung seines Sprachstils rührt von dieser Abwechslung her, und er war gerade deswegen manch altfränkisch gesinnten Sprachliebhabern nahezu suspekt, so als wäre der deutschen Sprache Eleganz wesensfremd. Aber im Gegenteil: Wer meint, die Satzbauregeln des Deutschen zwängen zu holprigen Konstruktionen, dem sei die Lektüre Stefan Zweigs empfohlen. Der erste Satz seines historischen Romans über den Weltumsegler Magellan lautet: „Im Anfang war das Gewürz.“ So beginnt in Abwandlung des bekannten Bibelsatzes die Erzählung. Diesem prägnanten Satz, der den geschichtlichen Zusammenhang und den wirtschaftlichen Zweck der Entdeckungsreisen auf den Punkt bringt, folgt ein komplexer Satz mit mehreren illustrierenden Einschüben, die mit leichter Hand aneinandergereiht sind, sodass sie sich dem Leser mühelos erschließen:

      „Seit die Römer bei ihren Fahrten und Kriegen zum erstenmal an den brennenden oder betäubenden, den beizenden oder berauschenden Ingredienzien des Morgenlandes Geschmack gefunden, kann und will das Abendland die „especeria“, die indischen Spezereien, in Küche und Keller nicht mehr missen.“14

      Wer Zweig liest, hat den Eindruck, Französisch im Deutschen zu lesen. Das zeigt, wie vielseitig der deutsche Satzbau sein kann.

      Nun zu einem weiteren Vorzug der deutschen Sprache, ihrer Präzision im Raum. Durch die Fälle Dativ und Akkusativ gibt das Deutsche mit den entsprechenden Fragen Wo? und Wohin? einen klaren Unterschied zwischen Richtung und Ort vor und zwingt den Sprecher zu einer Entscheidung, von der auch der Hörer profitiert. Denn er weiß unmittelbar – und nicht erst aus dem Zusammenhang – worum es geht: Geht es darum, dass jemand in den Garten läuft oder im Garten läuft?15

      Auch in den Präpositionen zeigt sich dieser Druck in Richtung räumlicher Genauigkeit, zum Beispiel in den von Nicht-Muttersprachlern so gefürchteten Wechselpräpositionen, die sowohl Richtung wie auch Ort anzeigen können und, dementsprechend, mit dem Dativ oder dem Akkusativ verbunden sind: Sie steht auf dem Stuhl (Wo? also Dativ) und Sie stellt sich auf den Stuhl (Wohin? also Akkusativ). Man muss nur überlegen, ob es um eine Richtung oder um einen Ort geht. Diese Unterschiede sind mit zweierlei Kasus belegt. Eigentlich ganz logisch! Nur muss in anderen Sprachen der Kontext diese Unterscheidung gewährleisten.

      Die Neigung des Deutschen zur Präzision im Raum zeigt sich auch an seinen Verben, zum Beispiel an den trennbaren Verben mit Vorsilben, die für das Deutsche so typisch sind. Nehmen wir das Verb gehen: angehen, ausgehen, weggehen, aufgehen, abgehen, entgegengehen, untergehen, hinaufgehen: hinuntergehen. Die Leichtigkeit der Kombination von Wörtern verbindet sich hier mit der Neigung zur räumlichen Genauigkeit. Als Deutscher braucht man eine gewisse Zeit, um im Französischen zu lernen, dass ausgehen sortir heißt und weggehen partir, also zwei ganz unterschiedliche Verben, die nicht wie im Deutschen die ähnliche Raumbeziehung erkennen lassen.

      Das Wortfeld der Bewegungsverben und der Verben der Bewegungsart ist im Deutschen riesig und bietet viele Unterscheidungsmöglichkeiten, siehe beim Verb laufen die Ableitungen anlaufen, entlaufen, verlaufen, überlaufen, entgegenlaufen usw. Ein Sprachvergleich mit dem Französischen zeigt in diesem Bereich bei Übersetzungen einen Informationsverlust von einem Drittel.16 Das Deutsche neigt dermaßen zur Genauigkeit im Raum, dass es die Bewegung durch manche Verben übergenau angeben lässt, z. B. in dem Satz Der Apfel fällt vom Baum herunter. Zwar kann man im Deutschen auch eine Treppe hinauffallen,