„Was wäre falsch an Düsseldorf?”
„Du schaust wohl keine Nachrichten. Am Sonntag letzter Woche haben deine Kollegen wegen mehrerer Bombendrohungen Terminal und Zufahrtsstraßen geräumt. Da standen dann Tausende vor den Eingängen des Flughafens. Nichts ging mehr.”
„Gegen solche kranken Hirne sind wir halt nicht gefeit. Spinner gibt es immer und überall. Ich regle das mit den Tickets über Monika. Sie hat durch das Hotel immer Möglichkeiten, selbst in den unmöglichsten Situationen eine Lösung zu finden. Ich rufe dich an, sobald sie etwas erreicht hat, und werde dann auch Eribert informieren.”
Wir verabschiedeten uns, wobei ich ausdrücklich darum bat, Dagmar Keller zu grüßen, und ich machte mich wieder auf den Heimweg nach Bernheim.
Als nächstes musste ich Carlo Bescheid sagen, dass ich für unbestimmte Zeit in der Kanzlei ausfallen würde. Aber an diese Eskapaden waren er und die Mitarbeiter bereits gewöhnt. Unsere Arbeitsabläufe waren inzwischen bewusst darauf abgestimmt, dass ich immer einmal wieder für einige Tage ohne großartige Vorausplanung nicht zur Verfügung stand. Noch vor zwei Jahren wäre das für mich unvorstellbar gewesen. Ich hatte mich als unabkömmlich betrachtet, und diesem – fast schon an Arroganz grenzenden Trugschluss – meine Ehe geopfert. Ich war es ja nie anders gewohnt. Mein Vater, meine Kollegen und sogar meine Mitarbeiter lebten nicht nur in dem für unseren Berufsstand typischen Irrtum, ein Steuerberater müsse jeder Zeit und zu allererst für seine Mandanten da sein. Nein, sie suggerierten mir das auch beständig durch ihr Verhalten. Schließlich würden wir ja von unseren Klienten bezahlt, die dieses Verhalten für sich ungefiltert übernahmen.
Der Witz bei der Sache ist nur, dass man mich ja eigentlich wegen meiner Kenntnisse, meiner Fähigkeiten und meiner Verantwortung für das, was ich tue und sage, bezahlt. Ich werde nicht bezahlt für den – wenn auch unbedachten – hemmungs- und teilweise rücksichtslosen Zugriff auf meine Person. Das käme für mich einer besonderen Form der Prostitution gleich.
Nachdem ich dies einmal erkannt hatte, änderte ich konsequent einige beruflichen Selbstverständnisse. Ich nahm mir wieder den Spielraum an Selbstbestimmung zurück, den ich mir über viele Jahre hinweg Stück für Stück hatte beschneiden lassen. Und mit zunehmendem Interesse stellte ich fest, dass dabei weder die Mandanten noch die Mitarbeiter weniger betreut wurden, geschweige denn zu kurz gekommen wären. Zur Rettung meiner Ehe war es allerdings zu spät. Beatrice hatte sich bereits von mir scheiden lassen. Schon lange vorher hatte sie sich innerlich aus unserer Gemeinschaft verabschiedet. Unsere Beziehung lebte jedoch, verbunden durch unsere Söhne, in einer echten Freundschaft fort, die auch für Sonja kein Problem darstellte.
Sonja!, fiel es mir wieder siedendheiß ein, vor allem sie musste von meinem Ausflug nach La Palma und den Beweggründen dafür wissen. Das heißt, ich musste sie nicht nur beruhigen, ich würde sie auch von der Notwendigkeit überzeugen müssen. Da stand mir also ein gutes Stück Arbeit bevor. Zum Glück blieb mir dazu noch etwas Zeit, bis sie aus der Schule kam. Außerdem würde sie mir nicht Auge in Auge gegenübersitzen, ich konnte das im ersten Anlauf telefonisch regeln. Sie würde die nächsten Tage in ihrer Wohnung verbringen, da sie einige Klausuren zu korrigieren hatte. Bei einer unserer abendfüllenden Diskussionen, die die „Demarkation” beiderseitiger Erwartungshaltungen in unserer Beziehung zum Ziel hatten, vertrat sie einmal die absurde Ansicht, „sie könne nicht ungestört arbeiten”. Weil ich dann „dauernd wie ein liebesbedürftiger Kater um sie herumscharwenzeln” würde, wie sie meine Fürsorge um ihr Wohlergehen niederträchtigerweise missinterpretierte. Sie meinte, das würde sie ablenken und beunruhigen. Meine Reaktion darauf, es sei „für einen Mann beunruhigend, wenn er anfange, auf Frauen beruhigend zu wirken”, bezeichnete sie als zwar schlagfertige, in diesem Zusammenhang aber missglückte, spätpubertäre Fußnote. Dass dieser Ausspruch nicht auf meinem Mist gewachsen war, sondern Jean Gabin zugeschrieben wird, habe ich dann auch tunlichst verschwiegen.
Nachdem ich wieder in Bernheim angekommen war, verbrachte ich den Rest des Tages damit, in meiner Kartei erfolglos nach ehemaligen Hauprich-Mandanten zu fahnden, ein paar aufschiebbare Termine zu verlegen und mit Carlo die dann noch verbleibenden Angelegenheiten vorzubereiten, damit einer plötzlichen Abreise auch ja nichts im Weg stehen würde.
Was würde ich ohne „kleines, dickes Carlo” nur anfangen? Fast zärtlich nannte ich ihn so bei mir, in Erinnerung an den Spitznamen von Gerd Müller, dem er äußerlich ähnelte. Ich war glücklich einen derart loyalen und kompetenten Nachfolger für meine Kanzlei gefunden zu haben. Bereitwillig hatte er sich mit meinen Vorstellungen über meinen Zeiteinsatz im Büro arrangiert. Denn für ihn stellten sie keine unüberwindbaren Probleme dar.
Wie es seine Art war, saß er mir aufrecht und in gespannter Haltung gegenüber und hörte bedächtig zu. Auf Menschen, die nur vordergründig und oberflächlich mit den Ohren hören, statt alle ihre Sinne einzusetzen, mochteer wie ein phlegmatischer Schweiger wirken, nicht so auf mich. Wie oft in „Gesprächen” mit ihm, genügte bereits der Einsatz seiner Körpersprache und seines mimischen Instrumentariums, um unmissverständliche Signale zu senden.
So auch, als ich ihm den Grund meiner geplanten Abwesenheit erklärte. Wie sich die Bilder gleichen, dachte ich, als er mir bedeutete, ich müsse doch langsam einmal respektieren, dass ich nicht mehr der Jüngste sei. Derartige Eskapaden solle ich doch besser denen überlassen, die dafür ausgebildet und bezahlt würden. Doch trotz aller Skepsis wollte er wissen, ob und wie er mir helfen könne.
„Danke, Carlo”, wehrte ich ab, „es genügt vollauf, dass du hier deine Arbeit machst.”
Am späten Nachmittag rief ich Sonja an. Mehrmals hatte ich nach dem Hörer gegriffen, um ihn sofort wieder aufzulegen und spontan, man könnte auch sagen feige, erst noch eine weitere unaufschiebbar-wichtige Unwichtigkeit zu erledigen. Schließlich blieb mir aber nichts anderes mehr übrig, als endlich den Anruf zu wagen.
Zu meiner Überraschung hatte ich mir unnötige Gedanken über Sonjas Reaktion gemacht. Sie verstand unsere Motivation und bemühte sich, den Sachverhalt objektiv zu betrachten. Auch bot sie sofort an, während meiner Abwesenheit in Bernheim zu wohnen, um sich um die Hunde und Katzen kümmern zu können.
Allerdings hätte sie mich zutiefst desillusioniert, wenn sie nicht abschließend einen ihrer typischen Kommentare losgelassen hätte, die einen stets zu Interpretationen herausforderten. Als ich mich nämlich zum Ende des Gespräches für ihr unvermutetes Verständnis bedankte, antwortete sie: „Nichts zu danken, ich halte es da ganz einfach mit Nietzsche.”
„Gehst du zum Weibe, vergiss die Peitsche nicht?”, lachte ich.
„Oink, oink, sagte das Machoschweinchen! Nein, ich dachte eher an:
Das Glück des Mannes heißt: Ich will.
Das Glück des Weibes heißt: Er will.
Und wenn es denn sein muss, dann ist es deine Entscheidung und ich trage sie mit. Naja, und ich kann‘s ja auch verstehen.” Ich hörte ein Lächeln in ihrer Stimme.
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