Meine Seele gehört dir. Lisa Lamp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lisa Lamp
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967130232
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hatte mich jemand so angesehen, wie Alejo es tat. Er war mir körperlich nahe, ohne mich zu berühren und versuchte nicht einmal zu verstecken, dass er mich begaffte. Seine Augen ruhten auf mir wie der Blick einer Schlange auf ihrer nächsten Mahlzeit. Als würde er mich mit Haut und Haaren verschlingen wollen.

      Hitze stieg mir ins Gesicht und ich konnte fühlen, wie sich meine Wangen rötlich färbten. Alejandros Blick sorgte dafür, dass ich mich schön fühlte. Nicht auf eine schmutzige, nackte Weise, sondern auf eine gute Art. Das war schlecht! Für Alejo war ich nämlich nichts Besonderes, egal, was sein Blick sagte. Seine Taten sprachen eine ganz andere Sprache. Jedes Mädchen war bei ihm die Eine, bevor er die Nächste ansah.

      »Warum musst du immer so sein?«, dachte Alejo laut und presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

      Damit war der magische Moment verflogen und ich lächelte ihn spöttisch an, um Haltung zu bewahren. Keine Schwäche zeigen, sonst würde er sie gnadenlos ausnutzen und gegen mich verwenden. Er hatte schon genug Stoff, um mich regelmäßig auf die Palme zu bringen, da musste er nicht auch noch wissen, dass mein Körper regelrecht nach ihm schrie.

      »Ach, wie bin ich denn immer?«, provozierte ich ihn weiter und grinste innerlich, dass seine Wange geschwollen war. Das geschah ihm recht.

      Alejandro trat näher an mich heran, sodass nicht einmal mehr ein Blatt Papier zwischen uns gepasst hätte. Mein Blut raste und ich hatte das Gefühl, nicht länger atmen zu können. Meine Brustwarzen wurden hart, als Alejos Lippen meinem Gesicht gefährlich nahekamen. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ich erzitterte, als ich seinen Atem an meiner Schläfe spürte. Sanft liebkoste seine Zunge mein Ohrläppchen, bevor er mir ins Ohr hauchte.

      »Du bist ein Miststück«, flüsterte er und küsste meine Wange liebevoll.

      Meine Finger begannen augenblicklich zu jucken. Sie wollten um seinen Hals greifen, ihn erwürgen, seine Augen auskratzen, die Wangen bearbeiten oder die Bewegungen seiner starken Muskeln unter sich fühlen – ich meinte, meine Fingernägel in seine Muskeln bohren. So war es richtig.

      »Mach, dass du wegkommst, Mistkerl! Und nimm deine dreckigen Pfoten von mir.« Mit aller Kraft stieß ich ihn von mir und schrie mir die Seele aus dem Leib.

      Wütend funkelte ich ihn an, während er rückwärts stolperte, da er nicht mit einem körperlichen Angriff von mir gerechnet hatte. Am liebsten hätte ich ihn bespuckt, um meiner Wut noch mehr Ausdruck zu verleihen, aber zumindest diesen Drang konnte ich unterdrücken.

      Alejo landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden und stöhnte schmerzerfüllt. Im ersten Moment musste ich schmunzeln und unterdrückte ein Kichern. Alejandro versuchte immer, mir zu zeigen, dass er der Boss war. Diesmal war ich jedoch schneller gewesen und hatte ihm gezeigt, wo der Hammer hing. Bedauerlicherweise schmiss Alejo beim Versuch, wieder aufzustehen, eine Leinwand um, was einen Dominoeffekt auslöste. Mehrere Bilder, die an der Wand zum Trocknen aufgestellt worden waren, fielen um und beschmierten den Fußboden mit Farbe.

      Die folgende Szene war wie ein Autounfall, ein stark übergewichtiger, behaarter Mann ohne Shirt am Strand oder ein Kind, das über die Straße rennt, um einem Ball nachzujagen, während der Laster um die Ecke kommt. Ich wollte es nicht sehen, aber ich konnte einfach nicht wegschauen.

      Wie in Zeitlupe sah ich, wie die Bilderrahmen mit einem schmatzenden Geräusch über den Boden rutschten und eine Leinwand einrissen, weil sich die Kante einer anderen durch die Mitte bohrte. Nach wenigen Sekunden sah das geordnete Atelier wie ein Schlachtfeld aus. Pinsel, die in einer Dose in der Ecke gestanden hatten, lagen im Raum verstreut. Einzelne Spritzer verdünnter Acrylfarbe zierten die Wand und kaum ein Bild stand noch auf seinem zugewiesenen Platz. Mir wurde augenblicklich schlecht und das Grinsen auf meinen Lippen war verschwunden. Das durfte nicht wahr sein.

      »Was ist hier los? Wer ist für diesen Aufruhr verantwortlich?«, schrie Bigelow, die den Kunstkurs seit mehr als zehn Jahren leitete, laut und betrachtete mit bleichem Gesicht die zerstörten Gemälde.

      In dem Durcheinander hatte ich ihre klackernden Schuhe nicht kommen gehört, doch nun betrat sie den Raum und starrte uns ungläubig an.

      »Was habt ihr getan?«, verlangte sie zu wissen.

      Ihre Stimme klang merkwürdig hoch und ihre Augen traten fast aus den Augenhöhlen, als sie das Chaos begutachtete. Ich sah, wie sie schluckte, und biss mir schuldbewusst auf die Unterlippe.

      »Das war ein Versehen«, stammelte Alejo und rappelte sich wieder auf.

      Auf seiner Kleidung waren kleine Farbflecken, aber er schien sie nicht zu bemerken, oder es war ihm einfach egal.

      »Ein Versehen?«, echote Mrs. Bigelow und ihre Augen sprühten beinahe Funken, als uns ihr vernichtender Blick traf. »Soll das die Rache für die Einteilung in Englisch gewesen sein? Mir reicht es mit Ihnen beiden. Ich habe endgültig genug von Ihren ewigen Streitereien. Es wird Zeit, dass Sie lernen, wie es uns anderen geht, wenn Sie sich ständig bekriegen. Für heute sind Sie fertig. Geben Sie sich die Hand zur Wiedergutmachung und dann verschwinden Sie aus meinem Klassenzimmer«, brüllte sie aufgebracht.

      Um nicht noch mehr Ärger zu bekommen, streckte ich Alejo wortlos die Hand entgegen, während ich zeitgleich versuchte, ihn mit meinen Blicken zu erdolchen. Ich wollte diese Angelegenheit schnell hinter mich bringen, doch als sich unsere Finger berührten, stand die Zeit plötzlich still. Ein Kribbeln zog sich durch meinen ganzen Arm und mir wurde schwindelig. Vor meinen Augen tanzten schwarze Flecken, mein Herz schlug so heftig, als würde ich einen Marathon laufen, der Druck in meinem Inneren nahm stetig zu und ich spürte eine Anspannung von meinem Haaransatz bis zu meinem kleinen Zeh.

      Alejandro schien es ähnlich zu ergehen, denn er wollte panisch meine Hand von sich stoßen, aber genau wie ich hatte er keine Kontrolle über seine Gliedmaßen. Im Bruchteil einer Sekunde war der Spuk wieder vorbei und unsere Finger lösten sich voneinander, nachdem ich einen Stromschlag bekommen hatte. Meine verschwommene Sicht klärte sich und das Pochen in meiner Stirn verschwand. Einen Moment starrte Alejo mich noch an, bis er eilig den Raum verließ, während er abwesend auf seine Hand blickte. Auch ich packte meine Tasche zusammen und ging fassungslos aus dem Kunstsaal. Ich schlug den Weg in die Turnhalle ein, um Em von ihrer Sportstunde abzuholen, gleichzeitig marschierte Alejandro auf den Hof hinaus.

      Den Rest des Tages sah ich ihn nicht wieder. Es war wie die Ruhe vor dem Sturm, doch das wusste ich nicht, als ich mit Emilia zu Mittag aß. Ich hatte keinen Schimmer, dass das unser letztes gemeinsames Essen sein würde. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass dies der letzte Tag meines normalen Lebens sein würde?

      Kapitel 5

      Wir saßen schon seit einer gefühlten Ewigkeit im Speisesaal der Schule und betrachteten die Gesichter unserer Mitschüler, die ebenfalls gelangweilt wirkten. Der Vormittag hatte sich gezogen wie Kaugummi. Zwischendurch dachte ich sogar, dass die Stunden gar nicht mehr vergehen würden, und wollte aufstehen, um abzuhauen. Da gab es allerdings diese nervige Stimme in meinem Hinterkopf, die mir entschieden zu sehr nach meiner Mom klang. Sie redete mir ein, dass es wichtig für meine Zukunft wäre, zu wissen, wie Mr. Mayer sein Haus mithilfe des Satz des Pythagoras baute und wie viele Liter Wasser in ein Hallenbad passten. Obwohl niemand von uns Lust hatte und alle wirkten, als würden sie auf der Stelle einschlafen, hörte ich auf diese Stimme und blieb brav in dem Betonklotz namens Schule.

      Ein Stoß in die rechte Seite ließ mich von meinem Essen, wenn der Kantinenfraß dieses Wort überhaupt verdient hatte, aufsehen. Manuel lachte schallend und konnte gar nicht mehr aufhören. Der Saft rann aus seiner Nase übers Gesicht, obwohl er gerade noch gegähnt hatte. Der Tonfall seiner Stimme klang falsch, weshalb ich seinem Finger, der ausgestreckt in Richtung Essensausgabe zeigte, folgte.

      Manuel lachte, obwohl er die Situation nicht lustig fand. Das tat er nicht oft und wenn, musste ich mir meist Sorgen machen. Den anderen am Tisch fiel es nicht auf, aber ich erkannte den leichten Unterschied zu seinem normalen Gelächter. Er klang angestrengter, als müsste er es erzwingen. Und ich verstand sofort,