Der Padre, kleinwüchsig, bucklig, ein sich einsilbig gebender, durchtriebener Geselle, den es aus städtischer Ferne wegen eines vorwerfbaren Vorkommnisses in diese Landschaft verschlagen hatte, sprach kaum ein Wort mit ihm.
In der Nacht zur Schlafenszeit, als er in das Haus des Kirchenmannes gebracht worden war, hatte Gabriel es noch verstehen können. Doch auch über den Tag änderte sich daran nichts. Der Padre erschien bisweilen an der Tür, übersah kurz mit weit aufgerissenen Augen, in denen Anspannung sich spiegelte, die Situation, stellte zwischendurch etwas zu essen hin, ein wenig Obst, vorgestriges Brot und bisschen Speck, und war jedes Mal schnell wieder verschwunden.
Dennoch fühlte Gabriel sich zusehends von ihm beobachtet, ohne dass seine Augen den Beweis dafür lieferten. In der Tat hatte der Padre die Möglichkeit, einen versteckten Blick in einen Teil des Zimmers zu werfen. Durch ein Loch in der Wand, abgedeckt von einem Bild, das zufällig über dieser Öffnung in der Wand ebenfalls ein kaum zu bemerkendes Loch aufwies, konnte der Kirchenmann in den Raum spähen, um festzustellen, ob Gabriel heimlich die Gestalt des Teufels annahm oder Vorbereitungen für einen Ausbruch oder für einen feigen Überfall traf.
Und immer, wenn dem Padre die Stille in dem Raum zu schaffen machte und er aus seinem Versteck heraus Gabriel nicht beobachten konnte, erschien er an der Tür, um den Jungen und sein Treiben kritisch zu mustern.
Für den Padre bedurfte es von Beginn an schon keiner aufwändigen Klärung mehr. Der Junge steckte mit dem Satan im Bunde. Die Berichte, die er vernommen hatte, waren Beweis genug.
Einzig Gabriel noch bei der Gelegenheit zu überführen, wie er die Teufelsgestalt annahm, seine Gestalt aus inner Urkraft anschwoll, wie ihm Hörner aus der aufplatzenden Haut auf die Stirn traten, Haare auf dem ganzen Körper sprossen, sich zu einem Fell verdichteten, sein Gesicht zu einer Fratze verkam und ein klumpiger Fuß sich formte, danach dürstete ihn trotz allem Schrecken bei der bloßen Vorstellung seine Gier.
Doch der Junge tat ihm nicht den Gefallen, sich zu verwandeln und weiter zu entlarven. Der Priester sah darin nur die Verschlagenheit des bösen Engels, dass Gabriel ruhig sein Geschick erwartete.
»Na, warte, du kleiner Teufel! Bald schon wird Gott, unser aller Herr und Gebieter, ja auch deiner, dich richten … sehr bald sogar!«
Die gütliche Befragung, die Territion, die Schreckung, das Zeigen der Foltergeräte, die noch die Blutspuren der sündhaften Seelen trugen, und die peinliche Befragung, wenn alles andere nicht gefruchtet hatte, würden die Wahrheit enthüllen und das, was dann zu tun war, vorbereiten.
*
»Wir müssen den Jungen befreien, so lange er sich hier vielleicht noch aufhält, und uns auch selbst in Sicherheit bringen!«
Luis hatte sich als erster von dem nächtlichen Überfall erholt und wieder die Fähigkeit erlangt, klar zu denken. Pablo jedoch schien nicht ansprechbar zu sein. Mit teilnahmslosem Blick hielt er Margarita, die noch immer ohne Fassung war, in seinen Armen.
Ihr Kind, was war mit ihm geschehen? Gestern noch war Gabriel all ihre Aussicht und Hoffnung gewesen.
Und jetzt, einen Tag von so vielen nur weiter, war alles, seine Unbeflecktheit, ja, sein ganzes Leben, in den Schmutz getreten worden.
Wie sollte er je wieder ein normaler Junge sein können? Wie nur sollte sie selbst ihn je wieder als normal ansehen können?
Ein tiefer Schrecken war in sie eingefahren, als sie gesehen hatte, dass Gabriel keinen Schatten warf. Ja, sie hatte gesehen, wie der Teufel sie im Schein der Kerze anlachte, welche sie vor dem schlafenden Jungen kreisen ließ.
Nichts, rein nichts … nicht die Spur eines Schattens.
*
»Nicht die Spur eines Schattens!«
Sion de Albanez nahm die Kerze zurück. Des Priesters Furcht, die sich auf seinem abgemagerten Gesicht ausmalte, spiegelte sein eigenes Entsetzen, das freilich nur seine Seele heimgesucht hatte. Äußerlich wirkte Sion de Albanez ruhig.
Eigentlich hatte er nicht geplant, des Jungens ansichtig zu werden. Doch innere Aufgewühltheit hatte ihn nicht zu Schlaf kommen lassen.
Ich muss ihn sehen. Dieser Wunsch hatte sich schließlich auf seinen Lippen geformt und zu einem finsteren Verlangen verdichtet.
Und jetzt, nachdem er Gabriel gesehen hatte, spürte er die Gefahr.
Ein Schatten, nicht irgendeiner, ein bestimmter, ein aus der tiefen Vergangenheit herkommender Schatten, legte sich auf sein Leben. Er fing an, ihm die Luft zum Leben zu nehmen, und er wusste, dass das Schicksal ihn einzuholen begann.
Frederico, der Tod von ihm war nicht vergessen. Er hatte ihn verdrängen wollen, aber der Tag der Abrechnung war von einer Macht bestimmt worden, von welcher, wusste er zu ahnen.
Dieser schmächtige Junge hier vor ihm, dessen Anblick ihn jeher beschwert hatte, und das, was ihm widerfahren war, standen im Zusammenhang mit den damaligen Ereignissen.
Der Stein war ins Rollen gekommen, die Mühlen des Schicksals hatten zu mahlen begonnen. Es waren die Mühlen des Allmächtigen. Diese Ahnung reifte in ihm zur Gewissheit.
Er aber musste es dem Teufel zuschieben, konnte nichts anderes in die Welt entlassen und hatte die Wahrheit im Verborgenen zu halten.
»Das Weitere geschieht wie besprochen!«
Der Padre nickte, schlug das Kreuz und wusste wieder nicht zu verhindern, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief.
Als Sion de Albanez weg war, näherte er sich noch einmal mit der Kerze dem Antlitz des Jungens. Er leuchtete ihm furchtvoll in die Augen, um den Teufel in den Pupillen von Gabriel zu erblicken, die unüberwindbare Neugier und die gleichzeitige Bereitschaft zur Flucht trieben ein böses Wechselspiel in ihm.
Draußen vor dem Haus standen zwei von Sion de Albanez Männer, die sein Schreien nach Hilfe, so er sie benötigen würde, vernehmen und sofort reagieren würden. Doch der Teufel musste doch auch vor dem Kreuz, das er in seiner rechten Hand trug, zurückweichen. Sicher aber war der Padre sich nicht.
*
In der Nacht, da kein Geräusch an sein Ohr drang, träumte er von einem hellen Licht, das ihn geleitete und wärmende Sicherheit schenkte. Alle Finsternis, in die er sich vorgetastet hatte, verschwand und ermöglichte ihm einen sicheren Gang.
Aus dem Licht drang eine warme Stimme, offenbarte ihm den Sinn, den höheren, der in dem Geschehnis des Tages steckte.
»Sei ohne Angst!«
Die Erfüllung seines Geschicks stand bevor, wenn auch noch große Prüfungen auf ihn warteten. Das Licht aber überwand jedes Hindernis, und er, er folgte ihm in die Welt hinaus.
Zwischen Bewusstlosigkeit und Halbschlaf träumte Gabriel den Traum weiter.
Die Wirklichkeit schien die Phantasie immer mehr an sich zu ziehen. Und sie zog auch an Gabriel. Der Traum wurde immer eindringlicher.
Dieses Licht, es war dabei, ihn von diesem Ort wegzuführen.
Endlich schlug Gabriel die Augen auf und sah das Licht. Und hinter diesem Licht stand nicht wie Stunden zuvor der Padre, sondern Joaquin, der Sohn von Luis. Zeichen des Lebens und der Veränderung.
Was war geschehen? Was würde geschehen? Zeit für zu fragen schien keine da zu sein.
Was war mit dem Padre passiert?
»Schnell, Junge! Komm mit!«
Gabriel wusste nichts und wusste alles, wusste um seinen Traum und seine Bestimmung. Und die führte ihn fort von hier wie es auch das Licht getan hatte, fort von der Heimat seiner ersten Jahre, fort von der alten Vertrautheit hinein in eine unbestimmt neue Vertrautheit, die hinter einem dünnen Schleier an Fremdheit schon fühlbar war.
Er sah die beiden Soldaten, die bewusstlos