„Das Bildnis umgibt ein Geheimnis. Zwei Schäfer deuten auf den Schriftzug »ET•IN•ARCA•DIAEGO«. Schatzsucher vermuten hinter den Worten einen Hinweis auf das Grab Jesu oder eines Apostels.
Der steinerne Sarkophag steht, dem Gelände nach zu urteilen, in Südfrankreich.“
„Was ein Zufall!“, erinnert sich »33«. „Wir haben uns in Latein mit genau jenem Spruch befasst. »Und in Arkadien ich«, ergibt keinen Sinn! Also haben wir angefangen, die Buchstaben anders aneinanderzureihen. Das ist lustig gewesen. Ich erinnere mich an die Kombination »ET•IN•ARCA•DIAEGO«.
Demnach liegt der Heilige Jacob im Bogen und nicht Jesus!“
„Hut ab! Nicht übel für einen Laien! Jeder Verschwörungstheoretiker nähme dir die Theorie mit Kusshand ab. Das Tor erscheint mir in dem Zusammenhang nicht zu passen.“
„Welche Ecke des »Midi« ist das?“
„Angeblich aus der Nähe von »Rennes-le-Château«.“
Aus dem futuristischen Flugapparat kommen düstere, in lange dunkle Mäntel gekleidete Figuren die Rampe heruntergelaufen. Zwei von den Fremden schleppen eine Packung, dessen Papier mattschwarz gefärbt ist. Ein Anzugträger aus den Reihen der Museumsleute schreitet würdevoll auf die absonderlichen Ankömmlinge zu.
„Das ist unser Staatspräsident!“, entfährt »33« ein Erstaunen. Auf ein Kommando hasten die Schatten eilig zur Seite. Mit übermenschlich großen Schritten eilt ein zweibeiniges Wesen im Format eines Goliaths auf das Staatsoberhaupt zu.
„Glaubst du mir jetzt“, holt »ME« tief Atem, „was ich dir über die Verbindung der Regierung zum Teufel gesagt habe?“
„Der ist annähernd drei Meter groß!“, sagt »33« ein wenig zu laut.
„Leise! Wenn der uns hört, sind wir geliefert!“
Der Riese gibt dem Präsidenten die Hand. Das Landesoberhaupt verbeugt sich unterwürfig und ordnet mit einer Handbewegung die Übergabe des Gemäldes an. Die Museumsmitarbeiter erhalten im Austausch das schwarze Paket. Die dubiosen Gestalten kehren mit den »Arkadischen Hirten« in das Fluggerät zurück, begleitet von dem Giganten, der seinen Untergebenen langsamen hinterherschreitet.
Der Staatschef winkt zufrieden und lächelt politisch korrekt. Geräuschlos entschwindet der Spuk in der Dunkelheit der Nacht. Lastwagen der Armee brausen aus beiden Richtungen auf den »Place du Carrousel« und die Sicherheitskräfte leiten den Abzug ein.
„Zu dumm, ich habe meinen Fotoapparat vergessen! Derartige Aufnahmen sind gewiss ein Leckerbissen für die Boulevardpresse!“
„Das Spektakel hat uns die beste Zeit für eigene Kunstwerke geraubt.
Gleich öffnen die Bäckereien!“
Im Osten graut der Himmel über den Dächern des Palastes. Die zwei stehen unvorsichtigerweise auf und setzen ihren Weg fort. Ein lauter Pfiff ertönt und dringt ihnen bis ins Mark. Einige Soldaten steht im Schatten des Triumphbogens und sind von den mittlerweile Übermüdeten übersehen worden.
„Unbekannte Subjekte!“, ruft ein vermutlich altgedienter Haudegen.
„Dort, an der Hecke!“
„Ergreifen!“, befiehlt eine Frau in Uniform.
Der Fettleibige trampelt los und zerrt am Revolver. Der Verschluss des Halfters klemmt. Der Uniformierte verlangsamt das Tempo, um sich mehr auf das Waffenetui zu konzentrieren.
„Nichts wie weg!“, zischt »ME«. „Lauf!“
Ohne sich umzudrehen, rennen die Ertappten zum »Jardin des Tuileries«.
„Die Vorlagen!“, keucht »33« atemlos. „Ich habe unsere Tüte liegen lassen.“
Ein Schuss fällt! Entgegen aller Vernunft beschleunigen die Freunde in ihrer Todesangst die Laufgeschwindigkeit.
„Feuer einstellen!“, schreit die Vorgesetzte. „Sind Sie wahnsinnig? Sie hatten Befehl, die Agenten festzunehmen, nicht zu erschießen!“
„Das ist ein Warnschuss in die Luft gewesen!“, verteidigt sich der Angesprochene.
„Wir sind nicht im Krieg! Fassen Sie die Kerle, ohne gleich die halbe Stadt zu wecken!“
»ME« und »33« erreichen das Ende des »Louvre« und gelangen an den »Quai François Mitterrand«. Von dort führt der Sprint zur gegenüberliegenden Straßenseite und dort eine Treppe zum »Quai des Tuileries« hinunter. Die Flüchtenden wenden sich nach links und nähern so der »Pont Royal«.
„Durchhalten!“, treibt der sportliche »ME« zur Eile an. „Unter der nächsten Brücke lebt ein Bekannter von mir.“
In den zahlreichen Nischen zwischen den Pfeilern stehen Zelte von Obdachlosen.
„Etienne! – Etienne, bist du da?“
„Wer ist da?“, ruft eine jugendliche Stimme aus einer der Einbuchtungen.
„Ich bin’s, Thomas. Wo steckst du? Uns sind Soldaten auf den Fersen!“
„Uns Kleinkriminelle jagt gelegentlich die Polizei und ihr legt euch mit der ganzen Armee an? Respekt, Kollege!“
Der minderjährige Stadtstreicher zieht einladend die Zeltbahnen auseinander. Die beiden schlüpfen hektisch hinein. Der seit längerer Zeit ohne Körperpflege lebende »Clochard« schließt den Reißverschluss. Aus Erfahrung lässt der Lebenskünstler den Eingang einen Spalt offen, um hinaus zu spähen. Das stampfende Traben sich nähernder Armeestiefel verstärkt sich im Widerhall des Kalksteingewölbes. Unmittelbar vor dem Zelt verschnaufen die Uniformierten. Die Gejagten halten die Luft an. Anspannung und die Hitze treiben ihnen den Schweiß auf die Stirn.
„Na bravo!“, beschwert sich die Vorgesetzte. „Die sind über alle Berge!“
„Wenn Sie mich fragen“, entschuldigt sich der alte Mann in Uniform, der die vermeintlichen Agenten entdeckt hat, „sind das womöglich Kinder! Die zugegeben äußerst sportlichen Backfische haben das Entscheidende gewiss nicht zur Kenntnis genommen.
Die Nachteulen sind zum besagten Zeitpunkt schlicht zu weit weg gewesen.“
„Dank der unüberlegten Schießerei kommen wir nicht umhin, die Zeugen zu eliminieren! Nicht auszudenken, wenn die Geschichte in der Presse erscheint!“
„Ohne Hintergrundwissen sind ihre Aussagen wertlos! Die Medien oder die Polizei interessieren sich nicht für das Abfeuern einer Waffe, wenn dies folgenlos geschieht. Jede Nacht fallen Schüsse in Paris. Entlang der großen Boulevards haben alle Metropläne Einschusslöcher. Durchgeknallte Halbwüchsige in schnellen Autos nutzen die hell erleuchteten Flächen als Zielscheiben. Die subversiven Subjekte haben, wenn überhaupt, den Präsidenten gesehen, der einen Staatsgast verabschiedet hat.“
„Haben die Vögelchen den Austausch der Geschenke denn mitbekommen?“
„Peinlich ist die fehlende Verpackung! Eine maßlose Schlamperei! Das hat Konsequenzen!“
„Unser Gast hat deinen Fauxpas galant übersehen. Vermutlich sind die schwulen Burschen nur zufällig vor Ort gewesen. Die Hecken dienen zur Deckung ihrer Spielchen.“
„Ruhe!“, mault ein Obdachloser auf der anderen Seite des Gehweges.
„Du bringst der Organisation nur Schande. In meiner Einheit ist kein Platz mehr für dich!“
»33« sieht vorsichtig hinaus. Der Waffenträger zieht der angestauten Hitze wegen sein Barett vom Kopf. Der Mann hat eine Glatze und auffallend kleine Ohren. Derart winzige Hörorgane hat Marcel bislang nicht beobachtet. Weitere Soldaten, die den Uferweg in die entgegengesetzte Richtung abgesucht haben, erreichen ihre Vorgesetzte und nehmen ebenfalls ihre Kopfbedeckungen ab. Keiner von Ihnen