Die Gegner der Vorlage sahen im Vorentwurf eine unnötige Reglementierung und drohenden Staatszwang in Gestalt von zahlreichen Zwangsvorschriften, die der bisherigen, auf Freiheit und Freiwilligkeit beruhenden privatrechtlichen Ordnung widersprachen:[9]
«Die Privatwirtschaft wird bevormundet (…) Wir haben hier ein Beispiel des Staatsinterventionismus vor uns, einen weiteren Schritt zur Bürokratisierung.»
Das war starker Tobak. Der Zürcher Zivilrechtsprofessor August Egger, der selbst an den Vorentwürfen mitgewirkt hatte, verwies nicht nur auf den «gereizten Ton» der Debatte, sondern vor allem auch auf die Defizite des damals geltenden (Stiftungs-)Rechts.[10] Bei einer gewöhnlichen Stiftung – so Egger – komme die Leistung der Stiftung über die Destinatäre wie eine Schenkung. Ganz anders sei dies bei Wohlfahrtseinrichtungen, bei denen die Destinatäre auf die Leistungen zählen, da sie Teil ihres Lebensstandards bilden. Was bei gewöhnlichen Stiftungen etwas Unerhörtes wäre – die Heranziehung der Destinatäre zu eigenen Beitragsleistungen –, bedeute hier eine höher entwickelte Form der Wohlfahrtsinstitution. Leistungen von Wohlfahrtseinrichtungen seien keine reine Liberalität, sondern ein besonders gestaltetes zusätzliches Entgelt für geleistete Arbeit.[11]
Nachvollziehbar war daher für Egger das starke Interesse des Personals an den Wohlfahrtseinrichtungen, an der Verwendung der Mittel, an der eigenen Rechtsposition. Das Personal empfinde das Bedürfnis nach Rechtssicherheit, wie es unser ganzes rechtsstaatliches Denken erzeuge: «Warum dann nicht dem offenkundigen Bedürfnis des Personals Rechnung tragen?»[12] Der autoritäre Charakter der Stiftung – die dauernde Beherrschung durch den Stifterwillen – bedürfe bei Wohlfahrtseinrichtungen der Milderung durch die Ausrichtung auf die Interessen der Betriebsgemeinschaft von Unternehmen und Personal, auf die «human relations». Egger ermahnte, man dürfe sich durch Doktrinarismus weder leiten noch schrecken lassen.[13]
Das primäre Anliegen von Egger war also eine Stärkung der Rechtsstellung des Personals und weniger eine Stärkung staatlicher Bevormundung. Egger war durchaus skeptisch gegenüber der «Tendenz, den Schwierigkeiten des Wirtschafts- und Soziallebens in raschem Zugriff mittelst der Gesetzgebungsmaschine zu begegnen».[14] Doch sein differenziertes Votum blieb ungehört: Die Vorarbeiten versandeten und es sollten noch Jahrzehnte verstreichen, bis eine Spezialgesetzgebung zur beruflichen Vorsorge mehrheitsfähig wurde.[15] Zu stark dachten die Gegner der Vorlage in der allzu einfachen «doktrinären» Gegenüberstellung von staatlichem Zwang und freiheitlicher Wirtschaft. Daraus ergab sich beinahe zwangsläufig ein grundlegendes Spannungsverhältnis zwischen den privaten Interessen an einer freiheitlichen Ordnung und den öffentlich-rechtlichen Interessen an der sozialen Sicherstellung des Arbeitnehmers.[16]
Und so sahen die Gegner Geister: Das Spezialgesetz erschien ihnen als Bevormundung durch den Staat und als Zersetzung der Zivilrechtsordnung[17] – oder eben: als Schreckgespenst und Polizeigeist. Zweifelhaft erscheint mir, ob diese Kritik berechtigt war. Allenfalls jagten die Gegner der Vorlage Geister, für die sie selbst die Mitverantwortung trugen: Waren die Jäger des Polizeigeistes womöglich auch seine Paten? Bevor auf diese Frage zurückzukommen sein wird (IV.), lohnt es sich, einige Streiflichter auf die frühe Regelung der betrieblichen Personalvorsorge im Steuerrecht (II.) und im Aktienrecht (III.) zu werfen.
Verborgener Sozialstaat
Als sich die eben erwähnten Geisterjäger vor gut 70 Jahren berufen fühlten, gegen das Schreckgespenst einer Spezialgesetzgebung anzukämpfen, förderte der Staat bereits seit über 30 Jahren mit Hunderten von Millionen Franken die privaten Wohlfahrtseinrichtungen. Dies geschah allerdings nicht über ein Spezialgesetz oder direkte Geldzahlungen, sondern über die Befreiung von den kriegs- und krisenbedingten Steuern der ersten Jahrhunderthälfte.[18] Diese später auch in das ordentliche Steuerrecht von Bund und Kantonen überführten Regelungen trugen massgeblich zum Aufblühen der privaten Wohlfahrtseinrichtungen bei.
Ab dem Jahr 1916 liess der Bund Wohlfahrtszuwendungen der Unternehmen als Steuerabzüge bei der Kriegsgewinnsteuer zu. Im Ergebnis leistete der Bund nach eigener Einschätzung «gewaltige Beiträge» durch die Steuerbefreiung der Wohlfahrtszuwendungen.[19] Mitunter wurden die Steuerprivilegien gar als einer der «allerwichtigsten» Beschlüsse bezeichnet, die der Bundesrat im Rahmen der Vollmachten (pleins pouvoirs) des Ersten Weltkrieges getroffen hatte.[20] In der Tat: Bis ins Jahr 1921 belief sich das Total der (definitiv oder provisorisch) steuerbefreiten Zuwendungen bereits auf CHF 200 Millionen, bei Gesamteinnahmen durch die Kriegsgewinnsteuer von rund CHF 790 Millionen.[21] Im Laufe der folgenden Jahrzehnte sollten es die einleitend erwähnten «Hunderten von Millionen Franken» werden.[22]
Selbstredend war der Fiskus darum bemüht sicherzustellen, dass diese «gewaltigen Beiträge» zweckentsprechend verwendet wurden. Deshalb verlangte die eidgenössische Steuerverwaltung bereits früh, «dass die Zuwendung mit selbständiger juristischer Persönlichkeit ausgestattet werden müsse».[23] Im Alltag fiel die Durchsetzung und Kontrolle der Zweckbindung allerdings schwer – «ein etwas heikles Thema», wie der Bundesrat bald einmal in aller Zurückhaltung einräumen musste.[24]
Allzu verlockend war für die Unternehmen die Steuerfreiheit: Möglicherweise ging es ihnen bisweilen «weniger um das Wohl ihrer Angestellten und Arbeiter, als vielmehr um die Reduktion ihrer Kriegsgewinnsteuerpflicht».[25] Eigennutz hinderte die Errichtung der Stiftung indes nicht.[26] Allerdings fehlte es den Unternehmen nicht selten am Willen oder an den Mitteln (oder an beidem), um die geforderte Sicherheit in Form einer tatsächlichen Ausscheidung und Überführung der Mittel in verselbständigte Stiftungen zu leisten. Selbst der Fiskus musste sich in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg damit begnügen, dass sich die Aktiven einer verselbständigten Wohlfahrtseinrichtung in einer ungesicherten Forderung gegenüber dem Unternehmen erschöpften.[27] Die Stiftungen dienten damit auch der steuerbegünstigten Selbstfinanzierung der Unternehmen.[28]
In der Neuen Zürcher Zeitung war später zugespitzt von «Potemkinschen Stiftungen» die Rede,[29] das heisst von Stiftungen, deren Aktiven nur auf dem Papier Geldwert hatten. Heute würde man sie vielleicht als Zombie-Stiftungen bezeichnen – also Stiftungen, «die nicht leben, aber auch nicht sterben können».[30] Solche Stiftungen konnten nur beschränkt zur sozialen Fürsorge beitragen.
Kontrolle tat also Not. Stiftungsrechtlich war eine behördliche Aufsicht zur Sicherung des Stiftungszwecks schon damals gesetzlich vorgeschrieben;[31] die staatliche Aufsicht ist bei Stiftungen «von alters her» bewährt.[32] Weiter gingen die Steuerbehörden von Bund und Kantonen im Laufe der Jahrzehnte dazu über, detaillierte Regelungen zu den Voraussetzungen der Steuerbefreiung aufzustellen. Die beinahe 800-seitige (!) Dissertation von Hans Wirz aus dem Jahr 1955 zur Stellung der Wohlfahrtseinrichtungen im Steuer- und Aufsichtsrecht mit einer umfassenden Darstellung der damaligen Steuerpraxis von Bund und Kantonen lässt Detailliertheit und Dichte der steuerlich motivierten Regeln erahnen.[33] Die Themen der steuerlichen Regeln waren vielfältig und nahmen diejenigen des geplanten Spezialgesetzes vorweg.
Angesichts dieser zunehmenden Regulierung der Wohlfahrtseinrichtungen durch das Steuerrecht sprach Wirz kritisch von einer kalten Revision der zivilrechtlichen Strukturen:[34] Das öffentlich-rechtliche Steuerrecht überformte zunehmend das privatrechtliche Stiftungsrecht. Diese «expansive Kraft» des Steuerrechts geriet dort an rechtliche Grenzen, wo die Kantone mit ihrem Steuerrecht