Praktisch gesehen führte und führt die Selbstanwendung der Wissenschaft und Technologie auf sich selbst in zunehmendem, sich ständig beschleunigendem und immer expliziterem Maße zu einer Art „Explosion“ der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der möglichen Anwendungen, die von vielen nicht nur positiv, sondern auch als beängstigend empfunden werden. Zunächst ist diese Kernreaktion durch Selbstanwendung faszinierend, und das gilt insbesondere für die Mathematik, welche im „Auge des Hurrikans der Innovation“ steht. Das heißt, Mathematik zu betreiben ist heute noch faszinierender als vor 50, 30, 10 oder 5 Jahren … Natürlich ist es für jeden von uns, der mitten in diesem Hurrikan steht, auch von größter Relevanz, in verantwortungsvoller Weise die Konsequenzen der Selbstanwendungsspirale für sich und für die – heute globale – Gesellschaft zu bedenken und im Sinne einer positiven Evolution zu beeinflussen. Diese Verantwortung soll und kann niemand „an die anderen“ abgeben.
Anmerkungen
Konferenz „Special Functions in the Digital Age“, 22. Juli bis 2. August 2002, an der University of Minnesota, organisiert vom „Digital Library of Mathematical Functions“ (DLMF), ein Projekt am „National Institute of Standards and Technology“ (NIST).
Vgl. dazu die englische Entsprechung „explanation“: etwas, das kompliziert ist („ex“ ist, „heraussteht“), einfach („plain“, „eben“) machen.
Durch zwei fundamentale Resultate (1930, 1931) des österreichischen Mathematikers Kurt Gödel (1906 – 1978) über die Schlusskraft der Prädikatenlogik wurde diese Logik als Grundlage für die gesamte Mathematik etabliert. Kurt Gödel ist sicher einer der größten Geister des 20. Jahrhunderts.
Im Zuge des „Theorema“-Projekts: www.risc.jku.at/research/theorema/software/
DIE GRÖBNER-BASEN
DANKE FÜR EINE HARTE NUSS!
In der internationalen Mathematik sind Sie durch die Erfindung der Theorie der sogenannten „Gröbner-Basen“ bekannt. Wie sind Sie auf die Gröbner-Basen gekommen?
Ich hatte das unverschämte Glück, dass ich – als Werkstudent – auf der verzweifelten Suche nach einem Dissertationsthema 1964 von Professor Wolfgang Gröbner1 auf ein Problem gestoßen wurde, das seit 1899 offen war.2 Die Wichtigkeit und Schwierigkeit des Problems, den Umstand, dass es schon so lange ungelöst war, und dass er selbst schon 25 Jahre immer wieder an dem Problem arbeitete, hatte Gröbner mir verschwiegen. Aus heutiger Sicht war für mich beides ein Glück: dass das Problem wichtig war und dass ich nicht wusste, wie lange es schon offen war. Sonst hätte ich mich als junger Student, der nicht in akademischen, sondern in bescheidenen Kreisen aufgewachsen war, vielleicht so einschüchtern lassen, dass ich schon von vornherein aufgegeben hätte. So aber war ich unter dem Druck, zu studieren und gleichzeitig zu arbeiten, gierig darauf, das Problem möglichst bald hinter mich zu bringen.
Die Zeit der Arbeit an diesem Problem war für mich kein Honiglecken. Ich arbeitete Vollzeit als Programmierer am ersten Computer der Universität Innsbruck (einer ZUSE Z23) und in der „freien Zeit“ an meiner Dissertation. Freilich bemerkte ich bald, dass das Problem schwierig war, und ich war oft der Verzweiflung nahe, dass ich offensichtlich zu dumm war für ein so „leicht zu formulierendes“ Problem. Auch hatte ich kaum eine positive Rückkopplung vonseiten Professor Gröbners, der eine Vielzahl von Dissertanten betreute. Ich hätte sehr forsch sein müssen, um öfter bei ihm vorsprechen zu können. Er war im Prinzip ein sehr freundlicher Herr, aber eben ständig umlagert von einem Schwarm von Assistenten und Studenten. Ich wiederum war sehr schüchtern und habe dann rasch beschlossen, mir den Umweg über das Hin und Her von Sich-in-Erinnerung-Rufen, Terminvereinbarungen, Wiederholungen von Erklärungen etc. zu ersparen und allein auf meine eigene Denkkraft zu vertrauen.
All das war aus heutiger Sicht eine glückliche Fügung. Denn die Lösung des Problems gelang mir dann auf einem ganz anderen Weg als die Wege, die implizit von Gröbner oder in der damaligen Literatur vorgeschlagen wurden. Doch bis zur Lösung war es ein wirklich steiniger Weg: intellektuell, psychisch und auch physisch. Eineinhalb Jahre drehte ich das Problem in meinem Kopf hin und her: auf vielen Seiten Papier, später in ersten Experimenten auf „der ZUSE“3, in den Arbeitspausen, an langen Abenden, an Wochenenden, im Café, beim Gitarrespielen, wenn ich auf den Output der langen Rechnungen auf der ZUSE wartete, am Handtuch im Schwimmbad, im Lesesaal der Universität (wo sich die schönsten Mädchen aufhielten). Dann sah ich plötzlich die „tragenden Fäden“ im Spinnennetz der Polynomideale. Das war ein großes Glücksgefühl und es war nur mehr ein relativ „kurzer“ Schritt (mehrere Monate), bis ich auch den Beweis fertig hatte, dass die tragenden Fäden wirklich tragen und keine anderen Fäden notwendig sind, um das Gesamtnetz zu beherrschen.
Das Glücksgefühl bezog sich hauptsächlich darauf, dass nun bald meine Doppelbelastung durch Studium und Arbeit zu Ende wäre, weniger weil ich dachte, ich hätte etwas Wesentliches gefunden oder geleistet. Im Gegenteil: Ich fand es beschämend, dass ich so lange gebraucht hatte, um das Problem zu lösen. Aber im Geheimen war es auch ein Glücksgefühl, etwas wie die endlichen vielen „wirklich wesentlichen Knoten“ im unendlichen Netzwerk der Polynomreduktionen zu sehen. Ich erinnere mich heute noch an jene Straßenkurve in Innsbruck, wo mir am Weg zur Universität auf dem Rad der entscheidende Gedanke gekommen ist.
Getreu meinem Prinzip, alles allein zu machen, gab ich meine gebundene Dissertation in den Weihnachtsferien 1965 im Dekanat ab, ohne das Resultat vorher noch Gröbner zu zeigen. Aus irgendeinem Grund, den ich bis heute nicht nachvollziehen kann, habe ich dann nach einiger Zeit zwar die Verständigung erhalten, dass meine Dissertation angenommen und ich zum Rigorosum4 zugelassen sei, aber ich habe nie von Gröbner einen persönlichen Kommentar erhalten, dass er das Problem damit als gelöst betrachte oder gar, dass er das prima fände. Ich vermutete damals – und weiß es heute –, dass er meine Dissertation nicht im Detail gelesen, sondern einem Assistenten zur Überprüfung übergeben hatte. Das erscheint nicht sehr nett, aber man muss verstehen, dass Professoren damals wie heute oft mit einer Flut von zu betreuenden Arbeiten konfrontiert sind, sodass nichts übrig bleibt, als die meisten Arbeiten durch Mitarbeiter anschauen zu lassen.
Das hat mich damals dann doch ziemlich frustriert, und ich habe mich deshalb dann einem anderen Gebiet der Mathematik zugewandt, weil ich aus Gröbners Verhalten den Schluss gezogen habe, dass das Ganze schon nicht so wichtig wäre.
Heute ist in den akademischen Studien ja sehr viel reglementiert. Bedauern Sie heute, dass Sie wenig Betreuung erhalten haben?
Auch wenn meine Betreuung nach landläufigen Vorstellungen nicht optimal und in gewisser Weise planlos war und ich psychisch total auf „mach es selbst“ ausgerichtet war, kann ich aus heutiger Sicht sagen, dass ich in gewisser Weise ideal auf mein Dissertationsproblem vorbereitet war.
Ich war in dreifacher Hinsicht vorbereitet:
Durch die zahlreichen Vorlesungen, die ich bei Gröbner kolloquiert hatte, war ich inhaltlich im mathematischen Thema völlig drin.
Zweitens