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nach Thomas den gerechten Preis. Geld tut das, wenn es vom Tauschmedium zur Ware wird und „sich selbst zeugt“ – durch den Zins.

       Zins und Wucher

      Der Zins ist tatsächlich das zentrale ökonomische Problem des mittelalterlich-christlichen Denkens: Wir haben bereits die griechischen und biblischen Verurteilungen des Zinses erwähnt: Schulden erscheinen schlicht für das Gemeinwesen abträglich – denn aus der Erfahrung der Zeitgenossen entziehen sie Vermögen und Arbeitskraft. Sowohl die von Solon bekämpfte Schuldknechtschaft der griechischen Getreidebauern wirkte in dieser Art als auch die Verschuldung der Bauern und Handwerker bei Geldverleihern und Wucherern des Mittelalters. Der Zins ist es, der den Menschen in die Schulden treibt, und der Zins ist es, der ihn darin gefangen hält.

      Wie sieht das also Thomas von Aquin? Zunächst ist an seiner Analyse nichts für die damalige Zeit Auffälliges. Er tut es seinen Lehrern gleich, die den Zins im Sinne der aristotelischen „Chrematistik“ verdammt haben: „Zins zu nehmen für geliehenes Geld ist an sich ungerecht. Denn da wird verkauft, was es nicht gibt, wodurch offenkundig eine Ungleichheit begründet wird, die im Gegensatz zur Gerechtigkeit steht.“59

      Aber wird dieses Verbot der Realität Europas im 13. Jahrhundert gerecht? Nein. Thomas anerkennt die Umstände und er behilft sich mit einem sozialen Argument: Mit Zins bekommen die Armen in Notzeiten von den Reichen wenigstens ein Darlehen, das grundsätzliche Mängel, vor allem an Nahrung, beheben kann. Ohne Zinsen und also ohne Gewinn geben die Reichen kein Geld und der Bedürftige verhungert. Was bleibt daher zu tun mit der Zinsnahme? Thomas plädiert für praktische Toleranz statt weltfremder Verbote: „Die menschlichen Gesetze lassen manche Sünden straflos wegen der Lage der unvollkommenen Menschen, bei denen vieles Nützliche unterbliebe, wenn alle Sünden streng durch Strafanwendung verhütet würden. Darum hat das menschliche Gesetz die Zinsnahme gestattet, nicht als ob sie der Gerechtigkeit entspräche, sondern damit der Nutzen vieler nicht verhindert wird.“60

      Dazu gibt es auch noch Ausnahmen, welche die Zinsnahme in gewissem Rahmen eben doch erlauben: zum einen das damnum emergens, der entstehende Schaden beim Darlehensgeber: „Wer ein Darlehen gibt, kann ohne Sünde mit demjenigen, der das Darlehen nimmt, ein Entgelt für den Schaden vereinbaren, durch welchem ihm etwas entzogen wird, was er haben soll. Und es kann sein, dass der Empfänger des Betrages einem größeren Schaden entgeht, als ihn der Geber erleidet. Weswegen der Darlehensnehmer mit Nutzen für sich den Schaden des anderen entgilt.“61 Zweite Ausnahme: die Beteiligung an einem Handelsgeschäft oder als Gesellschafter eines Handwerksbetriebes.

      Bei Thomas Nachfolgern gesellt sich dazu noch das lucrum cessans, also der dem Darlehensgeber entgangene Gewinn durch die Fortgabe des Geldes. Außerdem waren Risikozuschläge bei gefährlichen Handelsunternehmen erlaubt sowie die Einnahme von Verzugszinsen bei nicht geleisteter Rückzahlung.62

      Nur um keine Zweifel an der grundsätzlichen Weltsicht des Thomas von Aquin aufkommen zu lassen: Ein Freund der Finanzwirtschaft und generell der irdischen Genüsse war er nicht. Niemals könne wahres Glück, so schreibt er in seinen Abhandlungen, in sinnlichen Freuden oder weltlichen Gütern erlangt werden, sondern nur durch die Schau Gottes.

      Die übermenschlichen Anstrengungen seiner Arbeit und der Raubbau an seinen Kräften fordern am 6. Dezember 1273 ihren Tribut: Thomas bricht während einer Messe zusammen. „Ich kann nicht mehr“, stammelte er, „alles, was ich geschrieben habe, erscheint mir wie Stroh.“ Sein Assistent Reginald wird den Meister in den kommenden Wochen hauptsächlich ins Gebet vertieft erleben. Das Skriptorium bleibt leer. 1274, auf dem Weg zum Zweiten Konzil von Lyon prallt Thomas mit dem Kopf gegen einen quer über den Weg ragenden Baum und muss in die Zisterzienserabtei Fossanova gebracht werden. Bei seiner Ankunft streicht er mit der Hand über den Türpfosten und seufzt: „Da ist nun meine Ruhe für immer.“ Er stirbt am 4. März 1274.

       Ein neuer Weltentwurf

      Für die Scholastik ist Aristoteles der Spiritus Rector eines Versuchs, die Welt der christlichen Religion entsprechend zu ordnen, gleichzeitig aber auch der Kirche einen Weg zu einem gewissen „ökonomischen Realismus“ zu ebnen, der sich den sozialen Gegebenheiten der Welt anzupassen versteht. Doch diese Ansicht findet ab dem späten 15. Jahrhundert eine mächtige Gegnerschaft: jene der ersten Universalgelehrten der Renaissance. Sie fühlen sich als Vertreter eines neuen Menschenbildes, das nichts mehr mit jenem des Mittelalters zu tun haben will.

      Ihr Ziel ist es nicht mehr, eine theologisch und philosophisch austarierte Form gesellschaftlichen Zusammenlebens zu erreichen. Vielmehr soll nun der Mensch und die Kraft seines Geistes die Existenz alleine bestimmen. So gesehen gibt es nicht nur die kopernikanische Wende, sondern auch eine anthropozentrische. Gott wird von den Kathedern der Wissenschaft auf die Kirchenkanzeln verbannt, die Scholastik und mit ihr Aristoteles kommen in Verruf. Mit drastischen Folgen für die Ökonomie, wie wir gleich sehen werden.

      Auf einem Altarbild des Brügger Malers Hans Memling aus dem Jahr 1471 zelebriert die alte Zeit mittelalterlichen Glaubens ihre letzte künstlerische Blüte. Zu sehen ist eine Szene aus dem Jüngsten Gericht. Memling stellt die in der Offenbarung des Johannes geschilderte Wägung der Seelen dar. Der Erzengel Michael, überlebensgroß abgebildet in goldenem Harnisch und schwarzem Cape, wägt die aus ihren Gräbern erweckten Toten auf einer ehernen Waage, die über Rettung oder ewige Verdammnis entscheidet. Auch der Stifter des Altarbildes, der Bankier Angelo Tani, ist auf der Retabel verewigt. Er kniet innig betend auf einer der Schalen und wird der Rettung für würdig befunden, während andere Seelen schreiend und klagend den Schatten der Hölle anheimfallen. Der dargestellte Tani war im wirklichen Leben der Leiter der Medici-Bank in London.

      Das Bild zeigt noch den angstvollen Respekt der Kaufleute vor dem Jüngsten Gericht. Sie wissen um ihre prekäre Lage, steht doch auf Wucher und Zinsnahme ewige Verdammnis. Viele der Reichen stiften deshalb vor ihrem Tod ihr Vermögen der Kirche oder den Armen – als Teil ihrer tätigen Reue. Das Diesseits ist in dieser Zeit also noch aufs Engste mit dem Jenseits verbunden.

      Nach dem 15. Jahrhundert erlischt die Tradition der apokalyptischen Altarbilder. Die Letztverantwortung vor dem Schöpfer verblasst vor der menschlichen Selbstbehauptung, die nun Einzug hält.

      Die philosophische Wende sucht und findet auch ein neues geistiges Aushängeschild: Platon. Schließlich war er es doch gewesen, der eine Transformation des Menschen zum Besseren durch die Anschau der ewigen Gesetzlichkeiten zum Prinzip erhoben hatte. War man diesen ewigen Gesetzen nicht gerade selbst auf der Spur? Setzte nicht Platon ein pythagoreisches, streng mathematisches Ordnungsprinzip, das geradezu maßgeschneidert war für die Erschaffung eines wissenschaftlichen Menschenbildes?63

      Und noch etwas hatte Platon ersonnen: eine Utopie von der perfekten menschlichen Gesellschaft. Sein Entwurf vom idealen Staat füllt jenes Sinnvakuum, das der verlorene Jenseitsglaube zurückgelassen hat. Das Paradies muss nun nicht länger in einer Zeit nach dem Tod gesucht werden. Der Mensch kann im Hier und Jetzt sein Glück finden. Er wird sich selbst zum Erfüller der Vollendung.

      Dies ist ein entscheidender Schritt: In der Scholastik versuchten die Lehrer, die Realität anzunehmen und als göttlichen Plan zu interpretieren. Nun aber wird das gemeinschaftliche Leben nach einer Idee geformt.

      Die Wirklichkeit der Welt aber sträubt sich gerne gegen Utopien, Logik und System. Historische Konsequenz: In vielen Fällen zogen die Erfinder der Staats- und Gesellschaftsutopien aus der Unvereinbarkeit mit der Realität nicht die Konsequenz, sich der Welt anzupassen. Sie ignorierten vielmehr die Wirklichkeit und damit auch eines der wichtigsten Axiome der Geschichte: Ideen können geleugnet werden, aber die Realität zu leugnen, endet fatal.

      Platons Utopie vom Idealstaat wird jedenfalls ab dem 16. Jahrhundert zum Vorbild für zahllose Projekte und Fantasien von einer idealen Gesellschaft. Die erste unter ihnen, die wie kaum eine andere ihre Spuren in der Geistesgeschichte hinterlassen hat, ist jene von der Insel