Wer die Lüge kennt. Beate Vera. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Beate Vera
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783955522520
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die Antwort für sich. Die Hartmanns waren absolut betriebsblind, wenn es um ihren Hund ging. Lea hatte ihnen schon oft den regelmäßigen Besuch einer Hundeschule oder auch private Stunden mit einer erfahrenen Hundetrainerin ans Herz gelegt, doch sie hatten stets Zeitmangel als Ausrede vorgeschoben. Bismuts schlechtes Benehmen hatte sich folglich weiter verfestigt. Von Talisker einmal zurechtgewiesen, benahm er sich jedoch einwandfrei, sodass man beinahe glaubte, einen anderen Hund vor sich zu haben.

      Sabine Hartmann bat Glander und Merve ins Wohnzimmer, in dem sich Thomas Hartmann vom Sofa erhob und mit ausgestreckter Hand auf sie zukam. Sabine war so groß wie Glander, und Merve sah gegen den bärigen Hartmann zierlich und zerbrechlich wie ein Kind aus. »Frau Celik, richtig?«, fragte Hartmann, als er Merves Hand schüttelte. »Wie schön, dass es so zeitnah geklappt hat. Kann ich Ihnen etwas anbieten – einen Kaffee oder einen Tee?«

      »Sagen Sie doch Merve, Herr Hartmann. Das macht es einfacher. Ich nehme gerne ein Wasser, wenn es keine Mühe macht.«

      »Dann nennen Sie uns aber bitte Thomas und Sabine. Sabine, bist du so lieb und holst etwas zu trinken?«

      Glander entging der verkniffene Zug um Sabines Mund nicht, als sie das Wohnzimmer wieder verließ, um Getränke zu holen. Thomas Hartmann bat die beiden, auf der üppigen Sitzlandschaft Platz zu nehmen, die gut ein Viertel des Wohnzimmers einnahm. Glander fiel auf, dass sich kein Fernseher im Zimmer befand. Dafür waren die Wände dem Sofa gegenüber bis zur Decke mit Bücherregalen ausgekleidet. Das Blumenfenster zierten Kakteen in verschiedenen Größen und Formen.

      Hartmann bemerkte Glanders Blick und grinste. »Sabine und ich haben so viel um die Ohren, dass hier außer Kakteen keine Pflanzen überleben. Unser Garten ist eher eine Wiese, und die Sträucher, die wir dort gepflanzt haben, werden nur vom Regen gewässert. Damit keiner meckert, wie ungepflegt der Vorgarten aussieht, haben wir ihn pflastern lassen. Es gibt ja immer werte Nachbarn, die nichts Wichtigeres zu tun haben, als sich über die Art und Weise zu mokieren, wie andere leben.« Er schüttelte den Kopf. Es lag keine Spur von Humor in seinen Worten. »Ich frage mich in letzter Zeit immer öfter, ob die Menschen hier in der Gegend eigentlich wissen, wie gut es ihnen geht. Mein Eindruck ist leider, dass viele voller Neid nach Seehof oder Sigridshorst schauen, wo eine Familie nach der anderen ein großes Townhouse bauen lässt. Der Mensch scheint nie zufrieden mit dem, was er hat, weil er nicht erkennt, wie viel er eigentlich besitzt.«

      Sabine Hartmann stellte die Getränke auf den Couchtisch und atmete seufzend aus. »Ach Thomas, musst du schon wieder damit anfangen? Lass doch die Leute denken, was sie wollen. Wenn sie sich ein größeres Haus wünschen, ist das doch in Ordnung. Jeder hat Wünsche, Träume und Hoffnungen.« Sie goss Mineralwasser in vier Gläser und setzte sich an den Rand des Sofas. Ihre Lippen formten sich zu einem schmalen Strich.

      Thomas Hartmann winkte ab. »Ja, meinetwegen soll jeder nach seiner Façon unglücklich sein! Aber dann sollen sie wenigstens aufhören, auf denen herumzutrampeln, die so viel schlechter dran sind als sie selbst.«

      Glander beschloss, dieser sozialpolitischen Debatte einen Riegel vorzuschieben. Er hatte weder Zeit dafür noch Interesse daran. So bat er den Nachbarn um eine möglichst detaillierte Beschreibung der beiden Toten und der Situation, in der sie sich befunden hatten. Eifrig schilderte der selbst berufene Sozialarbeiter, was er wusste.

      »Ungefähr im November tauchte hier eine kleine Gruppe von obdachlosen Frauen auf und richtete sich in der leeren Lagerhalle ein, von der ich dir erzählt habe. Ihre Anführerin heißt Mileva und ist Albanierin oder Serbin, genau weiß ich das nicht. Sie hat bislang jeden Versuch meinerseits, ihr und den anderen Frauen zu helfen, schroff abgewiesen. Ich nehme an, sie hat irgendwelche krummen Dinger am Laufen. Sie lässt die Frauen vermutlich klauen oder betteln oder … Na, ihr könnt euch sicherlich vorstellen, was da alles möglich ist. Aber Greta war schon vorher hier, ab dem Sommer, wenn ich mich nicht täusche.«

      Während Hartmann seine Eindrücke schilderte, drohte er immer wieder in Tiraden über die deutsche Sozialpolitik abzugleiten. Glander beobachtete, wie sich Sabine Hartmanns Gesichtsausdruck zunehmend verdunkelte. Ihrem Mann fiel das nicht auf, er begleitete seine Schilderungen mit aufgebrachter Gestik und Mimik. Bei einer besonders ausladenden Handbewegung stieß er versehentlich sein Wasserglas um.

      Sabine sprang wütend auf und zischte ihn an: »Mensch, Thomas, pass doch auf! Musst du immer so maßlos übertreiben? Jetzt ist alles nass.« Sie ging in die Küche, um ein Handtuch zu holen.

      Hartmann entging die Verärgerung seiner Frau anscheinend gänzlich. »Das bisschen Wasser. Wenigstens haben wir genug zu trinken. Als ich Greta das erste Mal begegnete, konnte ich sofort erkennen, dass sie schon länger nichts mehr gegessen und getrunken hatte. Ich besorgte deshalb etwas Wasser und setzte mich zu ihr«, fuhr er fort.

      Merve und Glander tauschten einen kurzen Blick, und Merve entschuldigte sich. Sie folgte Sabine in die Küche.

      Merve fand Sabine Hartmann mit einem Küchentuch in der Hand über die Spüle gebeugt. Als Sabine sie bemerkte, richtete sie sich schnell auf. Merve entging keineswegs, wie viel Mühe es die Frau kostete, ihren Unmut unter Kontrolle zu halten. Sie lächelte Sabine aufmunternd an. »Es ist nicht immer einfach, mit jemandem zusammenzuleben, der so für ein Thema brennt wie Thomas, oder?«

      Sabine schnaubte verächtlich. »Das können Sie laut sagen! Er hat nur noch diese Frauen im Kopf. Seit Kurzem kocht er zweimal in der Woche Eintöpfe und schleppt dann alles hinter die Bahn, wo diese Frauen seit einiger Zeit hausen. Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist ja toll, dass er sich engagiert, das haben wir beide immer schon gemacht, aber in letzter Zeit übertreibt er es einfach. Es frisst ihn auf. Es frisst unsere Ehe auf.«

      Merve nahm der frustrierten Frau das Küchentuch ab und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Ich kümmere mich um den Wasserfleck. Atmen Sie einfach mal tief durch. Es wird sich alles regeln. Die Dinge regeln sich immer irgendwie.« Was sollte sie auch anderes sagen? Sie kannte die Hartmanns kaum, da wäre jeder Ratschlag anmaßend gewesen.

      Dann lächelte sie Sabine noch einmal aufmunternd zu und ging zurück ins Wohnzimmer. Dabei nahm sie sich fest vor, mehr über die Frau in Erfahrung zu bringen. Denn die war nicht nur um ihre Ehe besorgt, sie war stinkwütend. Und eifersüchtige Ehefrauen wurden nicht selten zu Täterinnen.

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