Natürlich war die Justiz nicht unabhängig. Der Kurfürst musste die Urteile bestätigen und griff häufig genug direkt oder durch seine Räte ein. Als 1624 beispielsweise 13 Soldaten Pferde gestohlen hatten und erklärten, sie hätten keinen Raub begehen wollen, gedachten die Schöffen und Richter, sie nicht ohne klares Geständnis hinrichten zu lassen. Der Dompropst und die Kurfürstin verwandten sich für die Diebe, und Kurfürst Georg Wilhelm begnadigte fünf von ihnen.
Die Strafen waren im Allgemeinen drakonisch. Jedoch verschwanden die mittelalterlichen Gottesurteile allmählich, bei denen die Angeklagten, um ihre Unschuld zu beweisen, furchtbaren Prüfungen ausgesetzt wurden, die sie nur mit der besonderen Gnade Gottes bestehen konnten. In Berlin mussten die Beschuldigten ohne Brandverletzungen ein glühendes Eisen von bestimmtem Gewicht neun Schritte weit tragen, unverletzt einen Ring oder Stein aus einem Kessel siedenden Wassers fischen oder im Zweikampf gegen den Prozessgegner den Sieg davontragen.
Der Todeswürfel
Die häufig überlieferte Berliner Sage vom Todeswürfel verlegt ein solches Gottesurteil noch in die Zeit des Großen Kurfürsten. Da habe in Berlin ein wohlhabender Waffenschmied gelebt, der eine wunderschöne Tochter besaß. Zwei Leibtrabanten des Kurfürsten, Heinrich und Rudolf, entbrannten in Liebe zu der liebreizenden Jungfrau, die sich jedoch anfangs für keinen zu entscheiden vermochte. Erst als der stillere Heinrich durch eine überraschende Erbschaft plötzlich zu Geld gekommen war und er überdies den alten Waffenschmied eines Abends vor den Misshandlungen roher Gesellen zu schützen wusste, wandte sie sich ihm zu. Rudolf, mit heftigerem Charakter, verging fast vor glühender Eifersucht und schlich den beiden auf Schritt und Tritt nach. Als er sie eines Abends beim Abschied am Brunnen belauerte, brachten ihn die Liebkosungen, die das Mädchen Heinrich gewährte, derartig in Wut, dass er mit dem Schwert auf die Ärmste einstach, kaum dass Heinrich verschwunden war.
Man fand das Mädchen in seinem Blut liegend. Der Mordverdacht fiel zwar sofort auf Rudolf, dessen Eifersucht bekannt war, aber auch Heinrich, der noch kurze Zeit zuvor mit dem Mädchen gesprochen hatte, kam als Täter in Frage.
Der unglückliche Vater verlangte vom Kurfürsten die Bestrafung des Verbrechers. Der ließ auch wirklich die beiden Trabanten verhaften. Beide leugneten die Tat entschieden und legten auch auf der Folter kein Geständnis ab. Der Kurfürst wollte deshalb kein Urteil fällen, sondern stellte die Entscheidung Gott anheim. Er befahl, die beiden sollten um ihr Leben würfeln; wer den höheren Wurf tat, sollte als unschuldig gelten.
Vor der Front der angetretenen Leibtrabanten wurde eine Trommel aufgestellt, dabei stand ein Geistlicher, und unweit davon wartete der Sarg auf den Unterlegenen. Vergeblich forderte Heinrich noch einmal von seinem Kameraden, sich schuldig zu bekennen. Der nahm wortlos die beiden Würfel und warf zwei Sechsen auf das Trommelfell. Damit war Heinrich so gut wie gerichtet. Doch der ließ sich nicht beirren, flehte zu Gott, er möge ein Zeugnis seiner Unschuld ablegen, und warf die Würfel so heftig auf die Trommel, dass der eine in zwei Teile zersprang, die eine Sechs und eine Eins zeigten. Auch der zweite zeigte die Sechs, so dass nun 13 Augen auf der Trommel lagen. Rudolf, von diesem offenbaren Gericht Gottes ergriffen, stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden und leugnete seine Schuld nicht länger. Der Kurfürst verurteilte ihn zu ewigem Gefängnis, um ihm Zeit zur Reue zu lassen, doch er verfiel im Kerker dem Wahnsinn und erhängte sich. Auch Heinrich wurde seines Lebens nicht mehr froh. Er suchte und fand den Tod in der Schlacht. Der zersprungene Todeswürfel aber wurde noch lange in der Kunstkammer des königlichen Schlosses in Berlin aufbewahrt.
Der Kaak
Die Strafen des Stäupens (Züchtigen mit Ruten) und des Prangerstehens im Halseisen an der Schandsäule wurden für Verurteilte, denen Schimpf und Schande angetan werden sollte, gleich unter dem Kaak an der Gerichtslaube des alten Berliner Rathauses vollzogen. Die noch heute vorhandene Kopie des Kaak stellt einen großen Vogel mit Flügeln, Eselsohren und einem verzerrten Menschengesicht dar. Die Gerichtsstube lag über der Durchfahrt zur Ratswaage, darüber befand sich im Dachboden die Folterkammer. Im Keller des Rathauses gab es ein Gefängnis, den sogenannten Krautgarten. Hinrichtungen durch das Schwert fanden jahrhundertelang vor beiden Rathäusern statt, bis sich im Jahre 1694 die Anwohner des Berliner Rathauses wegen der damit verbundenen häufigen Verkehrsstörungen beschwerten. Erst dann wurde das Hochgericht auf den Neuen Markt verlegt.
Die Gerichtslaube, ein Anbau am alten Berliner Rathaus, ist heute gleich zweimal als Rekonstruktion vorhanden. Da sie 1872 dem Neubau des Roten Rathauses im Wege war, versetzte man das offene Gebäude in den Schlosspark Babelsberg. Hundert Jahre später passte es den Bauherren des Nikolaiviertels ins historisierende Konzept, eine Gaststätte in der Poststraße als zweite Kopie der Gerichtslaube zu errichten.
Das Hurenhaus
Mag die Gerichtslaube in alten Zeiten das Ihre zur Unterhaltung der Berliner beigetragen haben – andere Häuser liefen ihr dabei vermutlich den Rang ab, und der Rat hatte auch daran seinen Anteil. Bereits um 1400 wird von einem Freudenhaus berichtet, von dem der Rat jährlich zwei Schock Groschen kassierte. Zwanzig Jahre später ist das Hurenhaus zu Berlin ganz eingerissen und neu aufgebaut worden. Die feilen Dirnen darin durften nicht durch Winkelhurerei auffällig werden, darüber wachte der für sie verantwortliche Scharfrichter. Der hatte um 1580 alle Frauen, die außerhalb des Freudenhauses Unzucht trieben, aus der Stadt zu trommeln. Wo sich das Haus einst befand, weiß der Chronist Schmidt zu berichten:
Die jetzige Rosen-Strasse hat Anfangs die Huren-Strasse geheißen. Das liederliche Frauen-Volck hat der Strasse den Nahmen zuwege gebracht, denn es wurden dieselbigen an einen Karren mit zwey Rädern geschlossen, und mussten den Gassen Unflath in die dazu gemachten Grufften zwischen den Wall und Mauer fahren. Weil hernach einige Hoff-Trompeter anbaueten ward sie die Trompeter Strasse, da aber dieselbigen ausgestorben, die Rosen-Strasse genennet.
Im Jahre 1603 sandte Kurfürst Joachim Friedrich ein »Mandat an alle Pfarrern, bey Verlust ihres Pfarr Amts auff den Concubinat acht zu haben gegen Unzucht und Hurerey«. Erfolg war dem Papier anscheinend nicht beschieden. Kurfürst Friedrich III., der spätere König, verschärfte 1690 die Strafen gegen die öffentliche Unzucht.
Der Soldatenkönig erließ am 31. März 1718 gar ein »Allgemeines Edict wegen Abstellung des Voll-Sauffens, und daß die Trunckenheit in denen Delictis nicht entschuldigen sondern die Strafe vermehren soll … Weil unter dem Vorwand des Gesundheit-Trinckens ein grosser Mißbrauch vorgehet.«
Gehurt und gesoffen wurde dennoch weiter, Berlin war nicht umsonst eine Stadt der Bierbrauerei und allgemeinen Zecherei, und an feilen Damen fehlte es nicht einmal in der besten Gesellschaft.
1795 wies Berlin mit seinen 173 000 Einwohnern 66 registrierte Bordelle mit 257 polizeilich inskribierten Dirnen auf, streng preußisch geführt nach dem königlichen Lusthaus-Reglement und eingeteilt in drei Klassen. Die Stuben waren nummeriert; das Mobiliar bestand aus einem Feldbett und einem Leuchter!
Bald standen etwa hundert Freudenhäuser mit je fünf bis neun Lustdirnen unter Aufsicht der Polizei. Die Frauen mussten sich regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen unterziehen. Strafen setzte es nur noch, wenn jemand zu Schaden kam oder öffentliches Ärgernis erregte.
Jeder Bordellwirt musste »monatlich für jede Lohnhure, die er hält, sechs Groschen« in die Heilungskasse zahlen. Dafür sollte »jede infizierte Lohnhure sofort in die Charité« eingeliefert werden, und die – 1726 im unbenutzten Pesthaus von 1710 eingerichtet – leistete nach dem Urteil eines Zeitgenossen »mehr für die Dezimierung der Berliner Bevölkerung als die Guillotine in anderen Städten«. Dies vor allem, als sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Berlin die Syphilis seuchenartig ausbreitete.
Hexenverbrennungen
Wie überall in Deutschland ging man in alten Zeiten nicht nur den Dirnen an die Wäsche. Auch im protestantischen Brandenburg fanden Hexenverbrennungen statt, war doch selbst der Doktor Luther der Meinung, Hexen müsse man verbrennen und in solchen Fällen mit der Strafe eilen, ohne auf die Bedenklichkeiten der Juristen zu hören.
Der erste Fall einer Bestrafung wegen Zauberei ist aus dem Jahr 1390