Bedrückt machte sich Vater Krohn auf den Heimweg. Ihm schwirrte der Kopf von den vielen Informationen, die er bekommen hatte. Mit seinen Einnahmen und Ausgaben war er bisher zwar immer klargekommen, aber was er heute alles gehört hatte, waren ungewohnte Informationen für einen Maurer. Aber er freute sich über sich selbst, dass er es gewagt hatte, die Frage zu stellen. Auch die anderen Fragen und Antworten beschäftigten ihn so sehr, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass er Zuhause angelangt war.
Mutter begrüßte ihn freudestrahlend, war sie doch immer froh, wenn er nach Hause kam. Eine liebe Umarmung, ein liebevoller, kleiner Kuss und die traurigsten Gedanken waren nicht mehr die wichtigsten auf der Welt. “Na, erzähle mal, wie ist die Lage der Nation?“ war ihre mehr scherzhaft gemeinte Frage. Doch der Tisch war schon für das Abendbrot gedeckt und die Kinder warteten schon auf die Milchsuppe. Vater bekam noch zusätzlich eine Scheibe Butterbrot, denn er hatte ja im Betrieb kein Mittagessen. Das Dankgebet von Vater für die Abendmahlzeit fiel heute besonders intensiv und innig aus. Die größeren Kinder lauschten und merkten, dass Vater ein Problem hatte, das er mit seinem Gott besprach. Doch dann durften sie endlich den Löffel in die Hand nehmen und essen, denn der Magen knurrte schon hörbar. Auch Mutters fröhliches und zufriedenes Aussehen hatte sich geändert. Sie war sehr still geworden und wartete geduldig auf die Informationen, bis die Kinder im Bett waren.
Wie immer, wenn der Abend ihnen alleine gehörte, nahm sie den Handarbeitskorb vor und arbeitete an den Kindersachen weiter.
„Mutter, “ und Ottos Stimme klang traurig und deprimiert, „wir werden wahrscheinlich noch schlechteren Zeiten entgegengehen“. Und dann sprudelten die Informationen nur so aus ihm heraus. Als er geendet hatte, sagte Mutter: „Aber Otto, sei doch nicht so kleingläubig. Der Herr hat uns bis hierher geholfen, er wird uns auch weiterhin helfen. Sieh mal, es sieht doch gar nicht so schlecht aus. Du hast immer noch Arbeit und wirst sie in den nächsten Monaten auch noch weiter behalten. Solltest du auch arbeitslos werden, dann bekommen wir ein halbes Jahr Sozialgeld und dann findest du bestimmt wieder wo anders Arbeit, denn du bist doch so tüchtig. Bis jetzt haben auch alle Mieter immer pünktlich ihre Miete bezahlt und sie hat gereicht, um den Kredit und die Zinsen vertragsgemäß zu bezahlen. Wir werden die Miete auch erst erhöhen, wenn es gar nicht mehr anders geht. Dann zieht auch keiner aus. Spargeld haben wir keines, dann kann auch nichts entwertet werden. Im Garten werde ich noch mehr Beete anlegen, damit wir mehr Gemüse haben und uns selbst versorgen können, wir werden die Henne noch einmal sitzen lassen und haben dann mehr Hühner, also auch mehr Eier und Fleisch. Damit die Hühner Nahrung haben, verkleinern wir den Hinterhof und erweitern den Hühnerauslauf. Die Kinder müssen sich dann eben auch ein bisschen einschränken mit ihren Spielen und mir mehr bei der Gartenarbeit helfen. Wir kaufen einen neuen Brotkasten mit einem Schloss davor. Dann kann ich auch kontrollieren, dass sich zwischen den Mahlzeiten keiner mit Brot bedient. Außerdem hat mir vergangene Woche meine Cousine Hedwig aus Maraunenhof wieder ein Ferkel angeboten, das wir großziehen können. Unsere Küchenabfälle werden sicher nicht für die Mast reichen, aber wir können ja die Mieter fragen, ob wir ihre Abfälle mit verwenden dürfen. Wenn alle Stricke reißen, können wir ja zu Markttagen die Abfälle zusammen sammeln und verfüttern. Und an die Kosten für die Ausbildung unserer Kinder brauchen wir jetzt noch nicht zu denken, denn Lisbeth ist erst 11, Hanna 9, Herta ist gerade in die Schule gekommen, Fritz wird erst 6 Jahre, na und bei den beiden Kleinen haben wir noch mehr Zeit“.
Mutter hatte vor lauter Eifer rote Wangen bekommen. Das war in letzter Zeit selten der Fall. Meistens war sie blass und schmal im Gesicht. Verliebt sah Otto seine Frau an. Im Stillen dankte er Gott für seine Anna, die die viele Arbeit ohne zu murren machte. Im Gegenteil: oft, auch wenn sie Sorgen hatte, summte sie ein Lied vor sich hin und gab dadurch sich und ihm Kraft. Den Kindern war sie eine liebevolle Mutter und ihm eine herzensgute Frau. Er stand auf und umarmte sie zärtlich. „Du hast dir wahrscheinlich schon früher als ich Gedanken gemacht, wie wir alles bewältigen. Aber du hast ja Recht, wenn wir nicht die Hände in den Schoß legen, uns lieben und außerdem auf unseren Herrn vertrauen, kann uns nichts geschehen.“
Für Anna und Otto waren diese gemeinsamen Abendstunden die Quelle ihrer immer wieder neuen aufkeimenden Liebe. Der Gedankenaustausch gab ihnen Sicherheit und Zufriedenheit in seelischer Verbundenheit zu ihrem Glauben.
Und gleich am nächsten Tag fingen Mutter und Vater zur Verbesserung der Selbstversorgung tatkräftig mit der Arbeit an: Die Henne wurde gesetzt, der Garten mit seinen Beeten anders angeordnet, der Hühnerauslauf eingezäunt und der Gerümpelschuppen zum Schweinestall hergerichtet. Die Arbeiten mussten zügig vorangehen, denn es war Frühjahr und gerade noch die richtige Zeit, um die Früchte der Arbeit noch in diesem Jahr ernten zu können. Die größeren Kinder wurden über die Planung informiert und halfen, wenn auch nicht immer mit Freudengeheul.
Und so wie Krohns ging es auch einigen anderen Menschen: Tatkräftig gingen sie an die Aufgaben des Tages. Am Abend wurden im Familienkreis die Sorgen und Nöte dem Herrn im Gebet vorgetragen. Dadurch wussten die Kinder immer, welche Probleme ihre Eltern dem lieben Gott erzählten und welcher Kummer sie bewegte. Nach dem gemeinsamen „Amen“ hatten alle das Gefühl, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine waren und der liebe Gott in der höchsten Not, wenn sie nur richtig beteten, ihnen auch helfen wird. Diese Sicherheit übertrug sich auch auf die Kinder und sie hatten vor keinem Problem mehr Angst, wenn sie ins Bett gingen.
Auch Hanna hatte nach dem Gebet keine Angst mehr vor dem Morgen. Sie fühlte sich geborgen. Fest nahm sie sich vor: „Wenn ich groß bin und eine eigene Familie habe – dann mache ich es auch so!“
Auch in der Gemeinde wurden optimistische Gedanken ausgetauscht und trotz aller Probleme, die es gab, wurden die Menschen wieder aufgeschlossener und fröhlicher.
Denn es gab zwei wesentliche Ereignisse in Königsberg, die an einen Aufschwung glauben ließen. Zunächst wurde im Sommer der „Seedienst Ostpreußen“ eingerichtet. Das war eine tiefgreifende Maßnahme, konnten doch dadurch die Königsberger und alle anderen Ostpreußen mit dem Schiff ins Reich fahren, ohne den Landweg – den polnischen Korridor – zu benutzen. Die Schifffahrt ermöglichte auch, die alten Handelsbeziehungen wieder aufzunehmen. Das alleine war eine positive Entwicklung, die viele Menschen beflügelte. Die Dampfer des „Seedienstes“ legten in Swinemünde und Pillau an, später auch in Travemünde und Helsinki. Der Reisedienst Meyhoefer organisierte Fahrten nach Warschau, Finnland, Memelland, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Russland und Polen und auch nach Berlin. Damit war verkehrsmäßig die Verbindung zum „Reich“ wieder verbessert und die Grundlage geschaffen, die Ostmesse in Königsberg, die am 28. September 1920 eröffnet wurde, zu einem Erfolg werden zu lassen. Sogar der Reichspräsident Friedrich Ebert bekundete für dieses weitere große Ereignis durch seine Anwesenheit die Verbundenheit des Reiches mit Ostpreußen und gab damit der Messe ein besonderes Gepräge. Damit war Königsberg im Osten Deutschlands wieder zu einem Handelsplatz geworden und war außerdem nicht mehr vom Reich so stark abgegrenzt. Es herrschte Volksfeststimmung.
Viele Händler kamen nach Königsberg, um in der neuen Messe ihre Produkte auszustellen und sie zum Verkauf an andere Händler anzubieten. Zwar gab es zur Eröffnung nur einen einzigen Steinbau – nämlich den Eingangsbereich, in dem sich auch die Verwaltung der Messe befand – aber die anderen Aussteller behalfen sich mit provisorischen Unterkünften. Dafür war der Eingangsbereich ein sehr schönes, langgestrecktes Gebäude, das die Interessenten förmlich zur Besichtigung einlud.
Auch Vater leistete sich das Vergnügen und schaute sich die ausgestellten Erzeugnisse an. Begeistert erzählte er seiner Anna, dass sich die Messe sehr viele Leute angeschaut haben, überall Fahnen wehen, die Menschen miteinander sprechen und verhandeln, viele Stände mit Holz, Teer, Fisch, Fleisch, Obst, Gemüse, Haushaltsgeräten und vieles andere zu sehen war und auch Maschinen für die Landwirtschaft von der Firma Hanomag entwickelt worden sind, damit die Arbeit der Bauern erleichtert werden kann.
„Wenn dann wieder mehr angebaut wird, haben wir auch wieder mehr zu essen, “ war seine logische Schlussfolgerung an seine Frau. „Dass unser Oberbürgermeister, Herr Lohmeyer, und der Bürgermeister, Herr Goerdeler, eine