Seit einigen Jahren war er gut mit William bekannt, nannte ihn sogar seinen Freund. Mit Sicherheit würde ihn die Journalistin darauf ansprechen, in diesen Tagen ganz klar. Mal abwarten, dachte er sich. Das Interview, das sie beide hier für „Sky“ führten, war schließlich Werbung in eigener Sache. Unterstützen, wo man es kann. Etwas an die nächste Generation weitergeben. Das macht jeder Einzelne, der heute lebt. Kommt eben bloß darauf an, was man weitergibt.
Seine eigenen Kinder? Seine Kinder, ja! Oh, er würde es toll finden, wenn sie zum Fußball fänden. Vielleicht eines von seinen vier. Vielleicht wäre es etwas für Harper, die Jüngste und einziges Mädchen. Käme darauf an, was Victoria dazu meint. Doch das Wichtigste ist schlicht, dass seine Kinder glücklich sind. Glücklich, gesund und natürlich fit.
Die royale Geburt? Na da hätten wir es ja, dachte er und grinste offen vor sich hin. William und Kate werden großartige Eltern sein! William kenne er besser als Kate, logischerweise. Ein bemerkenswerter Gentleman, der da herangewachsen ist. Ob er einen Namensvorschlag für den dritten Thronfolger nach Charles und William habe? Warum Stammbäume analysieren, schoss es ihm in den Sinn. David wäre ein guter Name.
15 Uhr 08 / Cobh. Irland
Der Touristenführer hatte sie beeindruckt. Auch die Freundin, mit der sie ein paar Tage durch Irland reiste und die Anderen hatten an seinen Lippen gehangen. Wenn sich die Zeit zurückdrehen ließe – wie viele Menschenleben würde man retten können?
Hier, in einem der weltweit größten Naturhäfen, hatte die Titanic am 11. April 1912 das letzte Mal angelegt, bevor sie aufbrach zu ihrer letzten Reise. Cobh war damals noch britisch und hieß Queenstown, aus Anlass des Besuches von Königin Victoria im Jahre 1849. Er erzählte von einem jungen Priester, der hier von Bord der Titanic gegangen war, dessen Fotos seinen Teil der Fahrt bis hierher bezeugen. Natürlich lebte der heute auch nicht mehr. Die letzte Station der Führung war die Anlegestelle gewesen, von wo aus die Leute in kleinen Booten abgeholt und rüber zum Schiff gebracht worden sind. Der Touristenführer beschrieb die Stimmung an diesem Tag, als würde er eine Geschichte erzählen und hob die Klassenunterschiede der Passagiere hervor. In sich ruhend, mit lebendiger Mimik und unterstreichender Gestik, ließ er sie alle an einem Stück britischer Geschichte teilhaben und nahm sich die Zeit, alle Fragen nach bestem Wissen zu beantworten. Erst zehn Jahre später wurde Irland unabhängig. Als Schweizerin wusste sie, was Unabhängigkeit bedeutet.
Sympathisch war ihr der Typ auch deswegen, weil er mit den Klischees um die Titanic aufräumte. Es handele sich um einen von Hollywood aufgeblasenen Mythos. Weder sei die Titanic das größte, noch das luxuriöseste Schiff aller Zeiten gewesen. Aber das sei eben typisch für die Medien. Heute können Journalisten entweder nicht mehr unterscheiden zwischen Fiktion und Fakten oder sie legen es schlicht darauf an, Informationen aus anderen Quellen aufzubereiten und als eigene auszugeben. Das kenne man ganz aktuell vom Rummel um die britische Herzogin Kate – falls die Leute Zeitung lesen oder Sonstiges. Mit der Titanic war es im Grunde genauso. Sie war schlicht die Kopie eines anderen Schiffes.
Julia und ihre Freundin aus der Primarschulzeit waren noch einmal zurückgegangen an Station Nummer Zwei, das Denkmal der Lusitania. Das wäre Stoff für Filme … Dieses Passagierschiff wurde am 7. Mai 1915 (während des Ersten Weltkriegs) ungefähr 40 Kilometer entfernt von einem deutschen U-Boot torpediert und war schnell gesunken. In viel kürzerer Zeit, als die Titanic sank, konnten hier viel mehr Menschenleben gerettet werden. Die Leute aus Cobh waren unter unermüdlichem Einsatz mit ihren eigenen Booten herbeigeeilt, um die Anderen vor dem Ertrinken zu bewahren.
17 Uhr 27 / Perdika. Griechenland
Führerschein! Fahrzeugpapiere! Der Polizist sah ihn sehr ernst an. Die Fahrzeugpapiere lagen feinsäuberlich im Regal (bei den Unterlagen für die Miete und den Strom), erinnerte sich Niko. Und der Führerschein? Glück gehabt, den fand er im Handschuhfach. Er sei 20 km / h zu schnell gefahren? Wie solle er das wissen?! Die Tachonadel spinnt schon seit mindestens drei Wochen, brachte er zu seiner Rechtfertigung hervor. Und meine Frau ist schwanger. Eben kam der Anruf. Ich bin auf dem Weg zu ihr, das ist doch verständlich, oder? Er habe eben keinen Hubschrauber wie dieser Herzog William in Großbritannien, der zu seiner Frau fliegt, wenn es soweit ist. Er sei froh, dass er sich dieses klapprige Auto leisten kann, versuchte Niko Milde zu erwirken bei Kosta, seinem Nachbarn. Pass mal auf, Niko. Du nimmst mich doch auf den Arm. Wie sollte deine Frau in den Wehen liegen? Prüfend sah Kosta ihn an, während er sich mit dem Führerschein etwas Luft zufächelte. Niko sog tief die Meeresluft ein, stieß sie mit einem Lächeln – das alle Gesichtsmuskeln in Anspruch nahm – wieder aus und fiel Kosta um den Hals. Sie ist schwanger Mann, endlich! Seit mehr als drei Jahren hatten sie versucht, Eltern zu werden. Hatten mehrere Ärzte konsultiert und alles schien vergebens, hatten die Hoffnung beinahe schon aufgegeben. Kosta erwiderte den Druck der Umarmung und klopfte ihm auf den Rücken. Klasse Mann, gut gemacht. Er gab Niko seinen Führerschein zurück. Du gibst morgen Abend einen aus. Und am Wochenende feiern wir bei uns im Garten!
20 Uhr 02 / Los Angeles. USA
Was ist denn nicht gut an diesem Stoff? Der (etablierte) Filmproduzent wunderte sich über die Antwort seines Lieblingsautors und bestellte noch zwei Drinks. Es war nicht üblich in der Branche, dass es zwischen den Hierarchien besonders ehrlich zu ging. Aber sie beide kannten sich seit vielen Jahren und hatten diverse Projekte erfolgreich zusammen gestemmt, an die zeitweise nur wenige geglaubt hatten. Ist dir dein Sinn fürs Risiko abhanden gekommen?
Mit der folgenden Antwort hätte er nun aber gar nicht gerechnet. Ich gehe nie ein Risiko ein, sagte er Autor. Ich mache dir aus jedem Thema etwas, das den Zuschauer bewegt.
Nur warum um alles in der Welt er dann nicht ein Drehbuch über das königliche Baby – das in diesen Tagen euphorisch in Großbritannien und vom Rest der Welt erwartet wurde – schreiben wollte, konnte der Boss (wie er den Produzenten mit einem ironischen Unterton nannte) einfach nicht begreifen. Die Leute werden scharenweise ins Kino rennen. Denk doch mal, welche anderen Projekte wir durch den Gewinn vorfinanzieren könnten. Der Autor schüttelte den Kopf. Im Grunde war alles möglich. Okay, nimm irgendeinen Ort, stelle eine Figur dort hin und gib ihr ein Ziel, eine Motivation und ein Hindernis. Damit hast du noch gar nichts, Boss.
Der Produzent lehnte sich zurück und lies ihn weiterreden. Was soll das werden? London, eine schwangere Herzogin, die will dass ihr Kind endlich gesund zur Welt kommt und dass es ohne Stress aufwachsen wird. Und das Hindernis? Vielleicht die Medienleute, die sie belagern? Da landest du eher bei Prinzessin Diana. Vielleicht der königliche Hof? Da bist du bei dieser deutschen Produktion von vor hundert Jahren über diese österreichische Kaiserin.
Der Produzent rieb sich das Kinn. Er hatte keine Ahnung, worauf sein Autor hinaus wollte. Okay. Nehmen wir erst mal nur London und die Herzogin. Und dann? Mit einer Geste forderte der Boss ihn auf weiterzusprechen.
Das ist alles noch keine Geschichte, was da gerade in London passiert. Du brauchst ein Thema, eine Grundfrage, etwas das du der Welt klarmachen willst. Selbst wenn du dich für einen britischen Regisseur entscheidest. Sam Mendes? Überleg mal … Der hat „REVOLUTI-ONARY