Ein Lied in meinem Hause. Seidenbecher Erika. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Seidenbecher Erika
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783943583793
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      „Ich bewunderte heute Abend vor allem die Stimme ihres Sohnes Heinrich. Man spürt, dass ihn die Musik ganz und gar erfüllt und ihm die Liebe zur Musik aus dem Herzen kommt. Ist er auch ein Lateinschüler?“

      „Ja, er besucht die Lateinschule und ist, nach Aussage seiner Lehrer, ein sehr guter Schüler, der mit Begeisterung lernt.“

      „Ich suche gute Sänger, die auch wohlerzogen und gebildet sind. Deshalb will ich ganz frei heraus sprechen: Geben Sie mir Ihren Jungen mit. Er soll in meiner Hofschule eine gute Ausbildung erhalten, eine Ausbildung, die Voraussetzung für ein Studium ist, denn Ihr Sohn soll nicht nur gesanglich, sondern auch sprachlich und naturwissenschaftlich ausgebildet werden.“

      Fragend und erwartungsvoll schaute Moritz von Hessen Christof Schütz an und konnte die Antwort kaum erwarten. Aber es kam keine Antwort. Für Christof Schütz war dieses Angebot zu überraschend, zu unvermittelt. Zwar war er stolz auf seinen Sohn, aber er wusste, wie sehr Euphrosine an dem Jungen hing, und er konnte es sich einfach nicht vorstellen, schon morgen diesen Jungen in die Ferne zu schicken. Außerdem hatte er Angst, dass Heinrich zum Musiker ausgebildet werden sollte. Er hat anderes mit seinen Jungen vor. Sie sollten Ärzte oder Juristen werden. Musik können sie nebenbei betreiben, war seine Meinung.

      Moritz von Hessen-Kassel war verärgert. „Warum antwortet der Mann nicht?“, dachte er und zog die Stirn in Falten.

      „Geben Sie mir Bedenkzeit“, äußerte sich endlich der Gastwirt.

      „Aber nur bis morgen in der Frühe, denn ich reise morgen schon beizeiten ab.“

      Recht unmutig verabschiedete sich der Landgraf an diesem Abend, und Christof Schütz tat nichts, um den Unmut des hohen Gastes zu besänftigen.

      Heinrich kommt, wie versprochen noch vor dem Frühstück in den Gastraum. Der Landgraf sitzt schon am Spinett. Er spielt eine Melodie und fordert den Knaben auf: „Sing die Melodie nach!“

      Heinrich fällt das nicht schwer.

      Dann spielt Moritz von Hessen einen Ton, dazu soll Heinrich die Terz, dann die Quart, die Quint, die Septime und die Oktave singen. Er soll einen Dur- von einem Molldreiklang unterscheiden. Zuletzt fordert der Prüfende den Knaben auf: „Spiel du etwas auf dem Spinett!“

      Heinrich spielt das Lutherlied: „Eine feste Burg ist unser Gott …!“

      Kaum hat Heinrich das Lied beendet, kommt der Vater, um das Frühstück vorzubereiten.

      Der Landgraf schickt Heinrich fort und tritt auf den Wirt zu.

      „Ich warte auf Ihre Antwort! Wie haben Sie sich entschieden?“

      Wieder zögert der Vater mit der Antwort. Dann überwindet er sich und sagt:

      „Der Junge ist uns sehr ans Herz gewachsen. Meine Gemahlin kann den Gedanken, ihn so jung in die Fremde zu schicken, nicht ertragen. Das Angebot kommt gar zu unvermittelt.“

      Der Landgraf ist enttäuscht, tief enttäuscht und begreift nicht, dass ein Gastwirt es sich leisten kann, ein Angebot, das seinem Sohn eine fürstliche Erziehung in Aussicht stellt, abzuschlagen.

      Im Frühjahr 1599 saß Moritz von Hessen mit Georg Otto am Spinett und spielte mit ihm eine seiner Kompositionen. Als das Spiel beendet war, lehnte er sich zurück, stöhnte laut und sagte:

      „Ich will Nachwuchs fördern und habe kein Glück bei der Talentsuche, Praetorius bliebt in Braunschweig und auch Haßler ist nicht zu bewegen, zu mir zu kommen. Am meisten aber ärgere ich mich über meinen Misserfolg in Weißenfels. Ich kann nicht begreifen, dass der Vater dieses musikalisch so talentierten Heinrich Schütz sich weigert, die göttlichen Gaben seines Sohnes zu fördern. Das Collegium musicum mag eine Vorstufe für eine gute musikalische Ausbildung sein, aber hier in Kassel habe ich treffliche Lehrer, die den Schülern eine universelle weltliche und musikalische Ausbildung geben, die der Junge in Weißenfels nie und nimmer erlangen kann.“

      „Sie sollten noch einmal nachstoßen. Schreiben Sie dem Vater!“

      „Was soll ich ihm denn schreiben?“

      „Das, was Sie mir jetzt versucht haben plausibel zu machen!“

      Moritz lachte: „Sie sind ein Schalk! Aber Recht haben Sie! Dennoch – ist es nicht demütigend, wenn ich, der Landgraf Moritz von Hessen, den Gastwirt Schütz, nachdem er mich abwies, ein zweites Mal bitte und noch dazu schriftlich?“

      „Wollen Sie Nachwuchstalente oder nicht?“

      „Wiederum haben Sie Recht! Noch heute setze ich mich hin und schreibe.“

      Moritz von Kassel hielt Wort. Er setzte sich tatsächlich noch am selben Abend an den Schreibtisch und schrieb an Christof Schütz, den Ratsherren und Gastwirt zu Weißenfels.

      Er schrieb die gleichen Worte, die er Georg Otto gegenüber geäußert hatte und setzte noch hinzu, dass er im Sommer mit seiner Hofkapelle auf Reisen gehen und, an Weißenfels vorbeireitend, einen Kurier zum „Goldenen Ring“ schicke werde, um Heinrich abzuholen.

      Dann setzte er seine Unterschrift unter das Schreiben: „Der Euch wohlaffectionierte Landgraf Moritz von Hessen.

      Am Morgen übergab er den versiegelten Brief einem reitenden Boten mit den Worten:

      „Reiten Sie nach Weißenfels und geben Sie diesen Brief dem Gastwirt des „Goldenen Ring“ persönlich!“

      Wie staunten die Weißenfelser als im Frühjahr ein reitender fürstlicher Bote Einlass in die Stadt begehrte und geradewegs zum Gasthof „Goldener Ring“ galoppierte.

      Am Gasthof angekommen, übergab er das schweißtriefende Pferd dem Pferdeknecht und eilte in die Gaststube. Es war früher Nachmittag und in der Gaststube saßen nur wenige Gäste. Euphrosine hielt sich mit der vier Monate alten Justine im Gastraum auf und spielte mit dem fröhlich ausgelassenen Kind. Sie hatte in Weißenfels drei Kinder geboren, das jetzt sechsjährige Töchterchen Euphrosine, den dreijährigen Christian und den zweijährigen Benjamin, die heute in der Obhut einer Magd waren.

      Da eilte schnellen Schrittes ein fürstlicher Bote in das Zimmer. Christof Schütz schaute erschrocken hoch, und ehe er es sich versah, überreichte der Kurier ihm ein versiegeltes Schreiben.

      Christof wurde blass: Es war ein Brief von Moritz von Hessen.

      Aufgeregt entsiegelte er den Brief. Als er ihn gelesen hatte, nickte er Euphrosine zu:

      „Komm und lies. Der Landgraf schreibt uns. – Welch eine Ehre! – Übergib mir unser Töchterchen, damit du in Ruhe lesen kannst.“

      Zärtlich nahm Christof Schütz Justine in den Arm. Das Kind jauchzte auf und fuhr dem Vater unsanft in die Haare.

      Als Euphrosine den Brief gelesen hatte, leuchteten ihre Augen.

      „Christof, welch eine Freude! Ich dachte schon, wir haben Heinrichs Glück aufs Spiel gesetzt!“

      „Aber Euphrosine, ich begreife nicht! Gerade du, die den Knaben abgöttisch liebt, willst ihn in die Fremde geben?“

      „Frag Heinrich selbst. Eines steht fest: Er war tief enttäuscht über deine Absage und litt damals sehr darunter. Hast du das nicht bemerkt?“

      „Ruf Heinrich!“

      Es war, als hätte Heinrich sich schon in der Nähe aufgehalten, denn er stand schon wenige Minuten später vor den Eltern.

      „Heinrich, der Landgraf will dich in Kassel an seiner Hofschule ausbilden lassen. Du bist noch sehr jung und wirst Vater, Mutter und Geschwister entbehren. Was meinst du, sollen wir dich in Kassel ausbilden lassen?“

      „Ja gern, denn ich habe Lust und Liebe in die Welt zu ziehen!“

      Dabei strahlten Heinrichs Augen und Christof dachte: „Er ist wie die Mutter, seine tiefen Gefühle spricht er selten aus, aber man muss ihn nur in die Augen sehen, um zu begreifen, was er denkt und fühlt!“

      Christof Schütz aber war ein bedächtiger Mann. Solche schnellen