Paiges Brustkorb fühlte sich an, als würde gerade eine Zentnerlast darauf gepackt. „Ja, klar. Lauren ist gleich aus der Pause zurück. Kommen Sie doch mit nach hinten“, sagte sie und ging voraus in ihr Büro.
Der holzvertäfelte Raum war klein, und in der Mitte stand ein alter Eichenschreibtisch. Paige sorgte immer dafür, dass ihr Arbeitsplatz sauber und aufgeräumt war, und ob es nach Hund roch, konnte sie schon lange nicht mehr sagen, weil sie sich so sehr an den Geruch gewöhnt hatte. Die einzige Dekoration in dem Büro war ihr Riesenfarn in der einen Ecke und ein Foto mit allen Callahans auf dem Schreibtisch, das vor ein paar Jahren am Nationalfeiertag aufgenommen worden war. Unmittelbar bevor der Auslöser betätigt worden war, war sie auf Rileys Rücken gesprungen, und der Schnappschuss zeigte deutlich, wie überrascht er gewesen war.
„Setzen Sie sich doch“, sagte Paige und deutete auf den einzigen weiteren Stuhl im Raum. „Kann ic’h Ihnen etwas anbieten? Wasser oder Kaffee?“
„Nein, danke. Ich habe gerade im Frumpy Joe’s zu Mittag gegessen, und mein Magen hat sich noch nicht wieder ganz davon erholt.“ Margaret rutschte auf dem Stuhl hin und her, sodass ihre Basthandtasche knisterte.
Paige legte ihre verschränkten Hände vor sich auf die Schreibtischplatte, versuchte, die aufsteigende Angst zu beschwichtigen, und sagte: „Ich merke ja, dass etwas nicht stimmt, Margaret, also wieso sprechen wir nicht einfach offen darüber?“
Daraufhin schaute Margaret sie mitfühlend an und sagte: „Also es fällt mir wirklich schwer, denn ich weiß ja, wie viel Ihnen das Tierheim bedeutet, Paige, und wie hart Sie hier arbeiten, aber ich habe leider schlechte Nachrichten.“
Paige wappnete sich, und ihr Herz pochte jetzt heftig. Das Tierheim wurde schon seit einer ganzen Weile mit einem Minimalbudget betrieben, daher kamen jetzt alle möglichen Befürchtungen in ihr hoch. Vielleicht war noch ein weiterer Sponsor abgesprungen, oder sie mussten für die bisher kostenlosen Serviceleistungen etwas berechnen? Davor scheute sie jedoch immer noch zurück, denn es gab so viele Leute, die sich eine Impfung oder Sterilisation einfach nicht leisten konnten, und beides war ungemein wichtig.
„Sagen Sie mir doch bitte einfach, was los ist. Ich verkrafte es schon.“
Daraufhin lächelte Margaret sie sichtlich angestrengt an und sagte: „Wir müssen das Tierheim leider schließen.“
Das verschlug Paige erst einmal die Sprache. „Was? Nein!“
„Ich verstehe ja, dass Sie das erschüttert …“
„Wir können nicht schließen, Margaret. Die Stadt braucht uns, und die Tiere brauchen uns. Zurzeit sind …“
Margaret beugte sich über den Schreibtisch, legte ihre eine Hand auf ihre geballte Faust und sagte beschwichtigend: „Ich weiß, meine Liebe. Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal, und atmen Sie tief durch.“
Das versuchte Paige, aber ihre Lunge schien in den vergangenen zehn Sekunden irgendwie geschrumpft zu sein. Im Moment lebten im Tierheim zwölf Hunde und neun Katzen, die versorgt werden mussten. Was sollte denn mit denen passieren? Was würde von jetzt an mit all den Hunden und Katzen geschehen, die sie jedes Jahr retteten und für die sie ein neues Zuhause suchten? Ganz zu schweigen von all den verletzten Wildtieren, die sie nebenbei und inoffiziell auch noch gerettet hatte.
„Sie wissen ja selbst, dass die Spenden in den letzten Jahren stark zurückgegangen sind. Einige Unterstützer sind weggezogen, und andere können sich die Unterstützung nicht mehr leisten. Es sind einfach wirtschaftlich schwierige Zeiten.“
„Aber wir haben doch neue Sponsoren gefunden.“
„Leider nicht genügend. Das Spendenaufkommen ist nicht so hoch, dass es für kostenlose Impfungen und Sterilisationen reicht, wie wir sie im letzten Jahr noch angeboten haben.“
„Aber das ist so wichtig. Und langfristig zahlt es sich auch aus, weil …“
Margaret hob eine Hand und sagte: „Das weiß ich doch … aber das Problem sind die Kosten. Die Tierarztkosten, die Medikamente, die Impfungen … all diese Leistungen strapazieren unser Budget, und mittlerweile ist dieser Zustand nicht mehr tragbar.“
Paige atmete einmal heftig aus. Sie musste jetzt die Prioritäten im Blick behalten und gut überlegen, was sie sagte. „Also gut. Ich weiß, dass ich in dieser Hinsicht in der Vergangenheit vielleicht etwas halsstarrig war, aber dann müssen wir jetzt eben anfangen, für diese Leistungen etwas zu berechnen, auch wenn ich eigentlich dagegen bin. Aber es ist besser als nichts.“
Daraufhin schüttelte Margaret nur ganz langsam den Kopf und erklärte: „Tut mir leid, meine Liebe, aber dazu ist es leider zu spät …“
„Wir finden bestimmt eine Organisation oder eine Stiftung, die uns einen Zuschuss bewilligt. Ich finde jemanden. Irgendwie schaffe ich es.“
„Sie wissen doch selbst, wie lange es dauert, bis solche Zuschüsse bewilligt werden, wenn überhaupt. Dafür haben wir keine Zeit mehr. Der Vorstand sieht keine andere Möglichkeit mehr als die Schließung.“
„Dann starten wir eine Spendenaktion! Erinnern Sie sich noch an das Wohltätigkeits-Hummeressen, das wir vor ein paar Jahren veranstaltet haben? So etwas bekomme ich rasch wieder organisiert, und die ganze Stadt wird mitmachen, Sie werden sehen.“
„Paige …“
„Der Ort braucht dieses Tierheim, Margaret! Das wissen Sie doch auch.“ Sie musste wieder an Bishops traurigen Blick denken, und plötzlich hatte sie einen dicken Kloß im Hals. „Ohne unser Tierheim werden Dutzende von Tieren unnötig sterben“, sagte sie verzweifelt.
Bei diesen Worten wurde der Blick der Frau mit den hellblauen Augen ein ganz klein wenig weicher.
„Geben Sie mir nur drei Monate. Ich treibe Sponsoren auf und bekomme Zuschüsse, egal, was ich dafür tun muss. Aber bitte lassen Sie die Schließung nicht zu“, flehte Paige.
„Wie wollen Sie denn das alles schaffen, Paige? Sie haben doch schon zu Hause genug zu tun.“
„Für das, was wirklich wichtig ist, nehme ich mir die Zeit, und wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, dann ziehe ich es auch durch, Margaret. Bitte.“
Die Frau sah sie mindestens eine halbe Minute lang schweigend an, während Paige sich alle Mühe gab, Entschlossenheit zu demonstrieren. Sie atmete kaum, und ihr Herz schlug zum Zerspringen.
Schließlich stieß Margaret einen tiefen Seufzer aus und sagte: „Ich glaube, dass Sie sich damit etwas aufhalsen, was nicht zu schaffen ist, Paige. Aber wenn Sie etwas mehr Unterstützung von Rileys Familie bekommen, geht es ja vielleicht.“
Die Frau würde doch wohl nicht von ihr verlangen, sich entweder für das Tierheim oder die Betreuung von Riley zu entscheiden?
„Aber ich bin Rileys Familie. Machen Sie sich darüber bitte keine Gedanken. Ich schaffe das. Ich werde nicht nur für zusätzliche Spenden sorgen, sondern auch die Kosten noch einmal durchgehen und Einsparungen vorschlagen. Ich führe eine Gebühr für das Auffinden entlaufener Tiere ein und wenn nötig auch für jede Dienstleistung, die wir erbringen. Geben Sie mir nur eine Chance, Margaret. Drei Monate. Um mehr bitte ich doch gar nicht.“
Wieder schaute Margaret sie sehr lange schweigend an und sagte schließlich. „Also gut. Ich glaube, zu drei weiteren Monaten kann ich den Vorstand noch überreden.“
Da konnte Paige endlich wieder aufatmen.
Als sie Margaret zur Tür brachte, fühlte sie sich wie benebelt, und nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, drehte sie ihr den Rücken zu und lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen.
Drei Monate, um Tausende von Dollars zusammenzubekommen. Was hatte sie sich da nur eingebrockt?