Jan legte das Papier zur Seite. Keine Post von dir. Keine Post von dir. Wir brauchen keine Post von dir. Keine Post …
Gut. Er würde also nie mehr an seinen Vater und an seine Mutter schreiben.
Jan zerriß den Antwortbrief.
Während er den ganzen Tag Tüten klebte und auch zuweilen des Nachts, wenn er in der erleuchteten Zelle mit Schmerzen an Händen und Füßen auf dem harten Bett lag, dachte Jan jetzt an seine Eltern. Sie wollten von ihrem Kind nichts mehr wissen.
Jan versuchte, sich selbst begreiflich zu machen, warum seine Eltern solche Menschen geworden waren, die von ihrem Kinde nichts mehr wissen wollten. Die Schande fürchteten sie, die Schande. Was war das, Schande? Wer hatte zu urteilen, was Schande sei?
Die Kunden hatten zu urteilen. Die Kunden, die in den Kellerladen am Rathausplatz kamen und Äpfel, Kartoffeln, Weißkohl und Rotkohl kauften. Die Lieferanten hatten zu urteilen, die großen Händler in der Hamburger Halle, zu denen Jans Vater immer vor Morgengrauen fahren mußte, um frische Ware zu holen, und die großen Bauern, die die Äpfel aus den Obstscheunen an den kleinen Grünkramhändler gaben, wenn er ihnen genehm war und sein Gesicht ihnen gefiel. Oh, welche Schande mochte das wohl für Vater und Mutter gewesen sein, als ihr Sohn, der Kommunist und »Untermensch«, gefesselt, als wieder eingefangener Ausbrecher, an ihrem Geschäft vorüber in die Polizeiwache gebracht worden war. Ja, daran hatte Jan noch gar nicht gedacht.
Der Gefangene schaute mit seinen Augen, deren Sehkraft in der Gefangenschaft langsam nachließ, zu dem Nachtlicht an der Decke.
Die Eltern hatten kaum je von sich gesprochen. Aber einmal war er als Kind dabeigewesen, wie die Mutter von der eigenen Jugend erzählte.
Jan hatte keinen Schlaf. Die Hände und Füße schmerzten, und er verbrachte die langen Nachtstunden damit, in den Bildern der Phantasie noch einmal zu erleben, was die Mutter an jenem Abend von der eigenen Jugend erzählt hatte. Vielleicht konnte er in den Erlebnissen ihrer Jugend die Erklärung für das finden, was sie später geworden war.
Mutter Marie Möller war eine gute Erzählerin. Aber sie tat nur selten den Mund auf, um etwas zu sagen, was in ihren Augen unnütze Rede war. Aber dieses eine Mal, des Abends, im Winter, hatte die Mutter mit einer alten Freundin zusammengesessen, die nach langen Jahren zu ihr zu Besuch gekommen war. Der Name der Freundin war Emmi, daran erinnerte sich Jan noch genau. Er wußte auch noch, wie die Freundin ausgesehen hatte, ein wenig kleiner als die Mutter, sehr zierlich, und ihre Sprache war lebhaft gewesen, dabei schien es, als ob jedes ihrer Worte von einer gewissen Furcht zur Eile getrieben werde. Es war in einem Dezember gewesen, um die gleiche Zeit wie jetzt, in den trüben Tagen, in denen sich der Tag so früh zur Nacht neigte.
Jan, damals noch ein Junge, hatte sich neben den Herd gekuschelt und hatte die Ohren gespitzt, als Mutter Marie und ihre Freundin anfingen, von den Erlebnissen und Gefahren lange vergessener Jahre zu erzählen. Jan, der Gefangene, erinnerte sich jetzt daran, was die Mutter damals berichtet hatte, und mit der Erinnerung an die Erzählung der Mutter mischten sich die Erinnerungen an seine eigenen Eindrücke aus Kindheit und Jugend.
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