Jan und Jutta. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840141
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Morgen war der Grobschlächtige kaum mehr von der Tür wegzukriegen.

      »Mensch, Jan«, flüsterte er, »ihr seid alle feine Kerle gewesen in eurem Prozeß. Oh, wie der Staatsanwalt bloß gekeift hat, und ihr seid alle so schön ruhig geblieben. Aber du warst der beste, deshalb haben sie dir auch das meiste aufgebrummt. Paß auf, die SA, die Braunen, dat sind Schweine. Es sind Schweine, und sie wollen nichts als unsere Mädels haben, deswegen ziehen sie die Uniform an und singen ihre dämlichen Lieder. Ich hab’ ihm ein paar mit dem Leder übergezogen … Mensch, dat hättest du sehen müssen … das Leder hab’ ich nicht zugegeben. Es war eben eine Ohrfeige, verstehst du, aus Wut … an mein Mädel wollte er auf dem Tanzboden ran, der schiefe Lump …«

      »Was macht dein Mädel denn jetzt?«

      In Augusts wasserblaue Augen traten Tränen. »Mann, wenn ick dat mal wüßte … ehrlich war sie ja und sauber, aber drei Joahr sind drei Joahr … und denn bün ick noch vorbestraft und ›politisch belastet‹ und ihr Vater, der is mal Gastwirt und will nix zu tun haben mit die Polizei … Mann, wenn dat Schwein, wenn der Schietbüttel in seine braune Uniform mir jetzt das Mädel wegnehmen will …«

      »Dat wird er wohl versuchen.«

      »Siehst du wohl, du sagst das auch. Ich könnt’ ihn in Stücke reißen, und die Grete, dat Mädel, dat schlechte Mensch, schreibt mir auch nicht mehr … och, Jan, wenn des Abends jetzt so die Nebel ziehen und die Sterne so ein wenig leuchten und is nich mehr weit hin zu Weihnachten … und zu Weihnachten wollten wir uns ja verloben … wenn du die Grete gesehen hättest, da ist was dran … wenn ich nur wüßte, ob sie mir vielleicht doch noch treu is’ …«

      »Schreib doch mal einem, daß er hingehen soll.«

      »Ach, hör mir auf, geht ja doch keiner für unsereinen, und dat Schreiben, dat ist bei uns nich so Mode in der Familie … Drei Joahr, denken die, dat ist mal garnich so lang, und wissen tun sie nix, wie einem zumute ist … wenn ich den noch mal in die Fäuste kriegte, dat Schwein … wegen wat haben sie dich verurteilt, Jan? Hochverrat, nicht?«

      »Ja, Vorbereitung zum Hochverrat.«

      »Denn kommst du ja überhaupt nie mehr raus. Dat sind Verbrecher, ich kann dir dat sagen … ich hör’ doch viel, bin ja Kalfakter.«

      August brach ab und verschwand schnell. Er hatte wohl ein verdächtiges Geräusch wahrgenommen. Jan trat von der Tür zurück. Draußen ging bald danach ein Schritt vorbei. Jan horchte. Das war ein Wachtmeister. Aber er schien nichts zu ahnen.

      August blieb Kalfaktor.

      Jan konnte jetzt jeden Morgen oder Abend mit ihm ein kleines Privatgespräch führen.

      »Weißt du«, meinte der große Kerl, dessen Wangen und Arme in der Gefangenschaft schwammig geworden waren, »weißt du« – und in den Augen, die Jan wieder durch den Spion beobachten konnte, blitzte der Zorn auf wie ein grelles Licht –, »weißt du, wenn ich nur die ärgern könnte, die Fatzjuckls, die … ich täte, was ich kann …«

      »Dann bring mir doch einen Plan.«

      »Wat für einen Plan?« fragte August erstaunt.

      »Na, von unserem schönen Haus hier. Wie die Lichtschächte gehn und wo die Feuerwehrleitern und Blitzableiter sitzen … und so.«

      August lachte leise. »Dahin geht die Reise? Du bist ja man würklich ein Unverbesserlicher. Weißt du wat? Du gefällst mir. Du sollst dat allens haben.«

      »Und einen Hammer und einen Meißel.«

      »Allens sollst du haben.«

      »Aber beeil dich auch. In drei Tagen ist der Termin. Dann ist nichts mehr zu machen.«

      »Geht schon in Ordnung. Du sollst dat allens haben. Weil du mir gefällst, die brauchen dich nicht noch umbringen eines Tags. Tjüs!«

      »Tjüs!«

      Als Jan wieder allein war, befühlte er nochmals sachgemäß jede Stelle an den Wänden seiner Zelle.

      Bei der Essenausgabe am folgenden Tage erkannte der Gefangene sofort an den Mienen des Kalfaktors, daß dieser etwas Wichtiges vorhabe. Während der zweite Kalfaktor die Suppe in Jans Schüssel schöpfte, kam August noch ein wenig näher als sonst an Jan heran. Sobald der Wachtmeister einmal zur Seite schaute, spürte Jan Augusts Hand an der seinen. Jan packte das Etwas, das August ihm zuschob, und hielt es unauffällig unter der Essenschüssel fest.

      Der Kessel wurde zur nächsten Zelle weitergetragen. August zwinkerte noch schnell dem Gefangenen zu.

      Dann schloß der Wachtmeister die Tür wieder ab.

      Jan setzte sich auf seine Bank. Er stellte die Schüssel mit der Erbsensuppe neben sich und wickelte den Lappen auf, in den der Kalfaktor sein heimliches Geschenk eingeschlagen hatte.

      Es kam erst ein Zettel zutage. Als Jan ihn auseinandergefaltet hatte, sah er eine unbeholfene Zeichnung, die ihm aber alles sagte, was er wissen wollte. Er studierte einen Augenblick aufmerksam die Angaben über den Lichtschacht – gut, gut –, er war nicht weit von Jans Zelle entfernt, und dort konnte ein gewandter Mann hochkommen, das hatte Jan bei seiner Einlieferung und bei seinem Gang zum Bad schon berechnet. Mit den Feuerwehrleitern sah es dagegen schlecht aus. Sie befanden sich an anderen Teilen des Gebäudes … Aber halt, der Blitzableiter, den hatte August auch eingezeichnet. Wenn Jan im Lichtschacht hoch und aufs Dach kam, so konnte er den Blitzableiter sofort greifen. Daran dann hinunter, über die Mauer …

      Nicht weit von Stade hatte Jan einen Bekannten auf einem Dorf. Der würde ihm wohl das erste Quartier geben. Sie konnten ja nicht alle Verräter sein!

      Jan benutzte schon die Tagesstunden für seine Vorbereitungen. Am Tage fiel ein Geräusch nicht so sehr auf. Er wickelte den Lappen um den Hammer und entfernte den Putz an der Stelle, an der er schon abbröckelte, noch weiter. Es gab trotz aller Vorsicht viel Staub und Dreck.

      Jan wischte ihn von dem Linoleumboden auf und versteckte ihn in seinem Bett.

      Es ging alles gut. Niemand wurde aufmerksam. Als August unter Aufsicht des Wachtmeisters das Abendessen brachte, sah die Zelle wie immer aus. Dem Wachtmeister fiel es nicht auf, daß die schlechte Stelle an der Wand sich vergrößert hatte.

      Sobald das Abendessen vorüber war, kam für Jan der schwierigere Teil der Arbeit. Er mußte jetzt den ersten Stein aus der Wand nehmen. Sechs Uhr abends war vorbei. Um acht Uhr wurde das Licht gelöscht. Bis dahin wollte Jan wenigstens den ersten Stein geschafft haben, denn im Dunkeln konnte er schlecht arbeiten.

      Es war siebeneinhalb Uhr, als Jan auf der Treppe das leise Knacken vernahm, wie es von Schritten verursacht wird. Irgend jemand kam die Treppe herauf, wahrscheinlich ein »Maschoris«. Jan hörte sofort mit seiner Arbeit auf und begann Freiübungen zu machen.

      Der Spion bewegte sich.

      »Was machen Sie denn hier?« rief die Stimme des Wachtmeisters. »Was soll das Loch in der Wand?«

      Jan begriff, daß alles verloren war.

      »Was ich hier mache?« rief er zurück. »Ich will ausbrechen!«

      Draußen ertönte ein Fluch. Dann entfernten sich die Schritte des Wachtmeisters, aber bald kam er mit zwei Kalfaktoren wieder zurück. Auch August war dabei.

      Die drei betraten die Zelle.

      Schade, schade, sagten Augusts halbverdeckte Augen und seine herabgezogenen Mundwinkel.

      Jan wurde in eine Arrestzelle gebracht. In einem Gitterkäfig, wie er ihn von Celle her schon gewohnt war, verbrachte er die Nacht.

      Am folgenden Tage wurde Jan vorgeführt und das Protokoll wurde aufgenommen.

      Der Fall erregte großes Aufsehen.

      »Waren Sie sich denn nicht klar darüber, daß Sie durch diese Wand nur auf den Korridor gelangen? Darüber mußten Sie sich doch klar sein!« sagte der protokollierende Beamte ein über das andere Mal zu dem Gefangenen. »Wie wollten Sie denn von dem Korridor aus dem Hause hinausgelangen?«