Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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zu sein. Als er mit der ersten Bewegung verriet, daß es seine Absicht war, sich gutwillig zurückzuziehen, liefen die zarten ringlosen Finger wieder über die Tasten.

      Inspektor Baier. Dorthin ging der nächste Schritt des Detektivs, zu dem Wichmann nun doch geworden war.

      Der blasse Brillenträger bat den Assessor, Platz zu nehmen.

      »Lieber Herr Assessor Dr. Wichmann – ich habe Ihnen ja schon heute morgen gesagt, wir sind mit Schreibkräften sehr knapp. Sie wissen ja, wie die Damen sind – immer haben sie etwas anderes –, und Grevenhagen macht kolossal viel Arbeit. Übrigens, weil wir uns jetzt gerade sprechen – das Fräulein Hüsch war heute morgen also tatsächlich in der Bücherei? Sie könnten das bezeugen?«

      »Daß sie heute vor Mittag in der Bücherei war? Ja, das kann ich allerdings bezeugen.«

      »Es ist nämlich wegen … Der Amtmann Pöschko will eine Meldung erstatten …«

      »Ach?«

      »Ja – ja. Sehen Sie – Ihnen kann ich es ja sagen – es ist nur Gemeinheit. Mich will er hineinlegen … und Fräulein Hüsch dazu. Sie bringt mich ins Grab, denn ich liebe die Ordnung … und bin für die Bücherei verantwortlich, aber ich kann eine Dame doch nicht anschnauzen wie eine Aufwartefrau – dann läuft sie wieder zum Ministerialrat und womöglich zum Boschhofer … Und sie hat einen Onkel, der Reichstagsabgeordneter ist … von der gleichen Partei wie der Staatssekretär … Ach, ich sage Ihnen – am liebsten möcht’ ich den ganzen Saustall an den Nagel hängen und mich dazu – wenn man’s nur könnte –, aber der Pöschko, der unternimmt jetzt etwas, verlassen Sie sich darauf – und wenn’s nur ist, um mir den ›Oberinspektor‹ zu versauen, weil er mich nicht leiden kann. Er ist aus Pommern, und ich bin aus der Provinz Sachsen. Sie haben natürlich noch nichts gehört, wie es mit den Ernennungen steht?«

      »Ich bin nicht ganz einen Tag hier im Dienst.«

      »Ja, ja … Aber daß wir zur Sache kommen. Sie können ja einmal hinübergehen und Fräulein Schmock fragen, ob sie frei ist.«

      Wichmann stand auf und nahm die Klinke in die Hand.

      »Nur noch eins, Herr Inspektor, wissen Sie vielleicht, welcher der ›höheren Herren‹ gelegentlich auch einmal mit dickem Blei anzeichnet?«

      »Dem Boschhofer ist alles zuzutrauen … nein, nein, der Staatssekretär niemals! Fragen Sie wegen des grünen …? Haben Sie was gehört? Das war nämlich eine furchtbare Geschichte heute morgen! Der Ministerialrat Grevenhagen hat vor einer Woche ein ganz gewagtes Exposé an den Staatssekretär geleitet, das heißt, er hat darauf bestanden, daß Boschhofer es weitergibt – die beiden sind ja doch wie Hund und Katz, weil Grevenhagen vor zwei Jahren kommissarischer Abteilungsleiter war, und dann kam die Wendung, und der Boschhofer wurde auf die Stelle berufen. Aber das bleibt unter uns –« Baier rückte ängstlich an der Brille –, »Und Boschhofer hat getobt – heute morgen dann die Sache mit dem Fragezeichen! Ich verstehe den Ministerialrat nicht ganz. Er will doch jetzt Ministerialdirigent werden, das ist schließlich seine Sache, aber unsere Ernennungen stehen auch mit auf dem Spiel. – Wenn der Boschhofer eine Wut hat, sorgt er dafür, daß alles durchfällt, was mit Grevenhagen und mit seinem Referat 1 zusammenhängt.«

      »Ich gehe jetzt zu Fräulein Schmock«, sagte Wichmann.

      »Ja, wagen Sie sich hinüber in das Krähennest. Einmal muß es doch sein.«

      Wichmann studierte die Schilder an den Türen nördlich der langgestreckten Bücherei.

      »A. Schmock.

      S. Sauberzweig.«

      Das waren offenbar die schreibenden Freundinnen. Auf in den Kampf … nur Mut!

      Die beiden Vöglein im Nest, Anneliese und Silvia, zeigten sich noch sehr jung und unerwartet liebenswürdig. Zu ihrem Bedauern, großen Bedauern jedoch, mußte Anneliese Schmock den ganzen Nachmittag für Ministerialrat Nischan schreiben, und Silvia Sauberzweig hatte heute ab drei Uhr Dienstbefreiung. Der Zeiger der Uhr rückte eben auf diese Stunde.

      Wichmann zog sich ärgerlich zurück und wandelte langsam über den grauen Teppich in Richtung seines eigenen Zimmers. Was jetzt? Kapitulieren kam nicht in Frage.

      Inspektor Baier kam über den Gang und lief in Wichmanns Fangarme.

      »Lieber Herr Assessor! Ich habe es Ihnen ja gleich gesagt. Sehen Sie, ich kann doch der kleinen Sauberzweig nicht einen bewilligten Urlaub wieder wegnehmen – ist es denn gar so eilig?«

      »Sie werden doch nicht erwarten, daß ich den Nachmittag zwecklos hier herumsitze? Dann muß ich eben Herrn Ministerialrat Grevenhagen mitteilen, daß ich zwar mit der Arbeit fertig bin, daß aber keine der Damen …«

      »Ach um Gottes willen, hören Sie auf, tun Sie das nicht. Bloß das nicht!«

      Wichmann atmete hörbar zum Ausdruck seines Unwillens.

      »Was hat denn die reizende Silvia Sauberzweig heute nachmittag vor?«

      Das Gesicht des Inspektors veränderte sich auf nicht ganz durchschaubare Weise, und er rückte sehr nervös an der Brille, als ob er Wichmann damit ein Zeichen geben wolle. Seine Augenbrauen zogen sich hoch und wieder herunter.

      Wichmann schärfte in dem Bemühen, den Grund für Baiers Verhalten zu erkennen, Gehör und Gesicht und wurde sich bewußt, daß ein Schritt näher kam, den er erst ein einziges Mal gehört hatte und doch schon wiedererkannte. »Ja, bitte, Herr Inspektor Baier, was hat Fräulein Sauberzweig vor?«

      Die Frage war jetzt in einem sehr ruhigen, aber ganz andern Ton gestellt, als Wichmann ihn hätte wagen dürfen. Baier riß sich zusammen. »Sie besucht eine kranke Tante, Herr Ministerialrat.«

      »Und was ist zu schreiben, Herr Dr. Wichmann?«

      »Die Zusammenstellung, die Sie mir heute morgen in Auftrag gaben, Herr Ministerialrat.«

      »Ah, sie ist schon zum Diktieren fertig? Sehr gut. Kommen Sie bitte mit.«

      Grevenhagen ging voran in das Krähennest. Als er eintrat, fuhren die beiden Damen mit hochroten Köpfen auf, und die kleine Sauberzweig ließ in der Verwirrung den Hut fallen, den sie schon hatte aufsetzen wollen.

      Grevenhagen trat mit einem schnellen Schritt herbei, hob den Hut auf und überreichte ihn dem nach Luft schnappenden Mädchen mit einer sehr höflichen Bewegung.

      »Fräulein Sauberzweig, Sie haben heute nachmittag zwei Stunden Urlaub?«

      »Herr Inspektor Baier …« Die aufgeregte Stimme versagte.

      »Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie den Besuch bei Ihrer Tante um einen Tag verschieben könnten – Herr Assessor Wichmann hat eine wichtige Arbeit für mich zu diktieren. Ja? Ist es möglich?«

      »Selbstverständlich, Herr Ministerialrat.«

      »Gut. Vielen Dank.«

      Grevenhagen grüßte, sich verabschiedend. Wichmann und Baier machten ihre Verbeugung, und die kleine Sauberzweig war nahe daran zu knicksen. Wichmann spürte, daß er selbst ebenso heiße Wangen hatte wie das niedliche Mädel, das jetzt schnell den Hut wieder im Schrank verschwinden ließ.

      »Ich komme gleich zu Ihnen hinüber, Herr Assessor.« Wichmann und Baier zogen zusammen ab. Der ängstliche Pedant war tief erschüttert, und Assessor Wichmann ahnte nicht, was das kleine Ereignis eines Tages für größere Folgen haben sollte.

      »Das hat jetzt kommen müssen – ausgerechnet jetzt, wo der Pöschko – Sie ahnen ja nicht, Herr Assessor … das trägt mir der Ministerialrat wieder jahrelang nach …«

      »Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten, Herr Inspektor?«

      »Danke – nein – danke, keinesfalls. Und die Sauberzweig ist jetzt tückisch auf mich, weil sie denkt, ich hab’ dem Ministerialrat … Danke, aber nein, eine ist genug … danke sehr …«

      Der sehr Geknickte entfernte sich.

      Wichmann