Ich war begeistert. Mit großer Freude schlenderte ich nach Hause. Mein Kopf war voller Gedanken. Ich freute mich, morgen die Freunde von Jewad kennenzulernen. Es waren die besten Menschen in unserer Stadt und mir kam Kak Kawe in den Sinn. Er war anders als die meisten Menschen in unserer Stadt. Immer, wenn ich ihn von Weitem sah, dachte ich, er sei mein Vorbild. Sollte ich einmal heiraten, dann würde ich es so machen wie er. Kak Kawe hatte immer ein Lächeln im Gesicht, für jeden ein gutes Wort, er sah in seiner kurdischen Kleidung stets gepflegt und sauber aus. Manchmal sah ich ihn mit seiner Frau am See spazieren gehen. Es war bei uns nicht normal, dass ein Mann mit seiner Frau Hand in Hand öffentlich spazieren ging. Eigentlich war es verboten.
Kak Kawe war Akademiker. Er hatte in der Oberschule unterrichtet. Wegen seiner politischen Meinung war er vom Ministerium und den Savaks suspendiert und daraufhin arbeitslos geworden. Er durfte nicht mehr unterrichten und hatte wegen seiner politischen Meinung sogar im Gefängnis gesessen. Das Einzige, was ihm und seiner Familie geblieben war, waren eine Unterkunft und ein Auto ähnlich einem Pickup. Er verlieh den Wagen an Bauern, damit sie ihre Ernte von den Feldern zum Markt bringen konnten. Wenn die Bauern kein Geld für das Benzin hatten, gaben sie ihm Kartoffeln und Gemüse. So kam auch bei ihm und seiner Familie warmes Essen auf den Tisch. Er war ein guter Mensch, den die Bauern schätzten. Auch meine Eltern sprachen öfter mit Hochachtung von ihm. Aber er war den Savak-Leuten ein Dorn im Auge.
Kurz bevor ich zu Hause ankam, überlegte ich, welchen Grund ich für morgen vorbringen würde, um in das Kaffeehaus zu gehen. Wenn ich nicht pünktlich nach Hause kam, brauchte ich eine Erklärung für meine Eltern. Ich beschloss zu sagen, dass wir uns für ein Fußballspiel verabredet hatten und ich etwas später nach Hause käme. Das dürfte erst einmal genügen. Später konnte ich immer noch sagen, dass wir uns trafen, um Backgammon zu spielen.
Das Kaffeehaus
Am nächsten Tag nach der Schule lief ich voller Erwartung zu dem kleinen Kaffeehaus und schaute zunächst durch das Fenster. Ich sah Jewad mit den anderen Tee trinken. Er blickte in diesem Moment zum Fenster, als hätte er mich schon lange erwartet, und winkte mit der Hand. „Komm rein!“
Ich betrat das Kaffeehaus und begrüßte alle am Tisch, an dem Jewad saß. Jewad stellte mich vor und ich gab allen mit einem Lächeln die Hand zur Begrüßung. Ich setzte mich auf einen Stuhl und wartete, was passieren würde, hörte zu, worüber sie diskutierten und trank wenige Schlucke von meinem Tee. Jewad ergriff das Wort und fragte in die Runde: „Habt ihr schon von Kak Shwane und von der Weißen Revolution gehört?“ Kak Shwane war ein junger und sehr netter Mann und stammte von den reichsten Familien unserer Stadt. Er genoss einen guten Ruf. Dieser junge Mann, der an unserem Tisch saß, hatte sich im Armenviertel unserer Stadt eine kleine Einzimmerwohnung gemietet, als er noch nicht verheiratet gewesen war. Obwohl sein Vater viele Häuser besaß und das schönste Haus in der Stadt bewohnte, war er von zu Hause ausgezogen. Er wollte nicht in dem Reichtum leben, den sein Vater umgab.
Kak Shwane antwortete Jewad so leise, dass man es nur an unserem Tisch verstand. „Hört mir zu, die Weiße Revolution des Schahs ist westlich geprägt und hat ganz Iran verändert. Diese Reform hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ergibt sich vor allen Dingen für die Bauern. Bis zur Weißen Revolution haben die Bauern das ganze Jahr über auf dem Feld gearbeitet und mussten nach der Ernte den größten Teil an die Aghs abgeben, also an die Landbesitzer oder Dorfbesitzer. Diese Aghs haben im Leben noch nie richtig gearbeitet, wissen nicht, was Feldarbeit bedeutet, und das seit Jahrhunderten. Keinen Finger haben sie je sich krumm gemacht. Stattdessen beuteten sie die armen Bauern aus und behandelten sie wie Sklaven. Außerdem nahmen sie von den Bauern eine Zwangssteuer, folterten sie, wenn sie ein Wort sagten oder vergewaltigten die jungen Mädchen der Bauernfamilien, um alles, was sie erreichen wollten, mit ihrer Gier nach Geld und Reichtum durchzusetzen. Es ist eine lange historische Geschichte, die unser Volk unterdrückt hat. Auf jeden Fall ist es so, dass die Weiße Revolution endlich greift, es ist ein gutes Zeichen für ein neues Leben unserer armen Bauern in Kurdistan. Geplant ist, dass jeder Bauer auf seinen eigenen Namen ein Stück Land erhält. Durch dieses kleine Stück Freiheit können die Bauern besser leben.“
In anderen Ländern Europas hatte sich diese Art Revolution in blutige Revolutionen gewandelt. Dort schaffte man den Feudalismus ab, sie schafften die Ahgs ab, wie auch immer diese in Europa hießen, und die Landwirte – die Bauern – übernahmen das System der Aghs in kleinerem Stil. So waren meine Gedanken, wenn ich Kak Shwanes Ausführungen richtig gefolgt war. Aber ich sagte nichts, schwieg weiter und hörte zu. Ich verstand, dass man den Feudalismus abschaffte, sich aber die Bauern durch mehr Rechte genauso benahmen, sich eben nur im kleineren Rahmen bereicherten und die Menschen wiederum durch Niedriglöhne ausbeuteten.
Kak Shwane sagte: „Der Feudalismus wurde in Europa durch den Kapitalismus ersetzt, in dem Arbeitgeber die Arbeitskraft der Arbeitnehmer ausbeuten.“
Schweigsam und mit großen Augen und Ohren hörte ich weiter zu.
„Bei uns im Land ist die Weiße Revolution im Begriff, das Gleiche zu tun, wie es in Europa geschehen ist. Die Folge kann eine blutige Revolution sein. Die Landbesitzer ersetzen im kleineren Stil die alten Ahgs und jetzt beginnt der Kampf zwischen den Inhabern und den Arbeitern.“
Ich dachte: Aha, man hat den Feudalismus in kleinere Flächen unterteilt.
„Wir in unserem Kurdistan sind noch weit davon entfernt; es gibt hier noch keine großen Fabriken“, sagte Kak Shwane. „Das wird der Nachteil der Revolution sein, aber es wird so kommen durch die Fremdbestimmung anderer Großmächte, die von außen Macht über unser Land ausüben. Nicht umsonst ist unser Schah so oft auf Reisen nach Amerika und Europa.“
Unsere Runde im kleinen Kaffeehaus dauerte mehr als eine Stunde. Mein Kopf war voll von neuen Informationen, die ich erst einmal für mich verarbeiten musste. Wir verabschiedeten uns mit einem Handschlag und ich sagte zu Jewad: „Es ist spät geworden, wir sehen uns morgen wieder.“
Schneller als sonst üblich rannte ich nach Hause und meine Mutter fragte: „Na Junge, habt ihr gewonnen?“
„Ach Mama, das Fußball-Turnier geht die nächste Zeit noch weiter. Es war ein interessantes Spiel, aber man wird sehen.“ Ja, was sollte ich anderes sagen? Ich hatte doch schon zuvor nicht die Wahrheit gesagt. Dabei wollte ich meine Eltern nicht anlügen. Irgendwann würde ich ihnen sagen, dass ich mich mit Jewad und seinen Freunden traf. Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, holte ich meiner Mutter Holz für den Herd aus dem Nebengebäude, spielte eine Weile mit meinen Geschwistern und machte anschließend meine Hausaufgaben. Ich wartete auf den Abend. Dann würde ich mich ins Bett legen und hätte endlich Zeit, mir Gedanken über unsere Diskussion im Kaffeehaus zu machen. Ich war glücklich darüber, dass mich Jewad und seine Freunde sehr höflich in ihre Runde aufgenommen hatten.
Als die Abenddämmerung hereinbrach, hatten wir ein gutes Essen. Es gab im Dampf gegarten Reis, der vom Safran eine gelbe Farbe hatte. Unten im Topf hatte meine Mutter Kartoffelscheiben in Öl knusprig angebraten. Diese schmeckten besonders lecker. Dazu gab es Hühnchen, das zuvor in Joghurt und Kurkuma eingelegt worden war. Eine kleine Schüssel enthielt eine helle Joghurtsoße mit verschiedenen Kräutern aus unserem Garten. Es war ein Essen, als wäre es ein Freitag, der ja unser Sonntag war. Es war aber ein ganz normaler Samstag, der erste Arbeitstag der Woche.
Wir aßen alle voller Freude und meine Mutter tuschelte etwas in das Ohr meines Vaters. Wir Kinder bekamen nicht mit, um was es ging. Gut gesättigt ging ich zu Bett und ließ den erlebnisreichen Tag noch einmal an mir vorüberziehen. In meinen Gedanken war ich bei Kak Shwane und dem, was er von der Weißen Revolution erzählt hatte. Er war Lehrer an einer anderen Schule. Schade, dass er nicht an unserer Schule unterrichtete. Er konnte alles so gut erklären, dass man es sich begeistert merkte. Aber auch an unserer Schule gab es gute Lehrer wie beispielsweise Herrn Schkoki im Kunstunterricht oder Herrn Soltani in Literatur.
Als ich am nächsten Morgen vor der Schule mein Brot aß und