Marivan unter den Kastanienbäumen. H. Ezadi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H. Ezadi
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические любовные романы
Год издания: 0
isbn: 9783957442185
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anderen ins Gesicht lächelten. So musste man durch die Welt gehen!

      Als ich an dem Lebensmittelladen vorbeikam, sprach mich eine ältere Dame an: „Junge, was ist mit dir passiert? Hast du einen Stock in deinen Rücken gesteckt?“

      Oh, mein Gott! Ich wurde so rot wie eine Tomate aus unserem Garten.

      Die Frau sprach weiter: „Schaut nur, wie er läuft. Und er trägt auch noch ein rosafarbenes Hemd. Wie ein Mädchen! Sie drehte sich um und setzte sich vor dem Schaufenster eines Ladens auf einen Stuhl. Ich hatte Angst, dass der Besitzer herauskam. Möglicherweise machte der noch viel schlimmere Bemerkungen! Es war Said Mohamed, der ständig alle Leute, die an seinem Laden vorbeigingen, ohne etwas zu kaufen, kritisierte und sich über sie lustig machte. Ja, was sollten die auch anderes reden als über die Macken der Menschen in unserer Stadt. Das war wohl so in einer kleinen Stadt, dass jeder alles besser wusste und die neuesten Nachrichten sich in Windeseile verbreiteten und am Ende fast gar nichts stimmte.

      Mit schnellen Schritten ließ ich diese dummen Leute hinter mir und erreichte endlich das Kaffeehaus.

      Jewad sah mich an und fragte: „Was ist passiert? Warum bist du so verschwitzt?“

      Ich hatte Schweißperlen auf der Stirn. „Ach, ich bin nur schnell gelaufen, um pünktlich hier zu sein, das ist alles.“

      Jewad brachte mich zum Tisch, an dem schon alle versammelt waren und Tee tranken. Kurz darauf wurde mir auch eine Tasse gebracht. Jewad machte mich Kak Kawe bekannt. Dieser fragte mich nach meinem Vater und bat mich, Grüße auszurichten. Dann fragte er mich nach meiner Schule und ob ich mit meinen Lehrern zufrieden sei. Auch Kak Shwane stellte belanglose Fragen und es gelang mir nicht, meine eigenen, wichtigen Fragen loszuwerden. Es fehlte die richtige Stimmung. Intuitiv hatte ich das Gefühl, ich würde stören.

      Plötzlich gab mir Jewad ein Zeichen. „Ich muss jetzt gehen!“

      Aus lauter Verlegenheit stimmte ich ein: „Ja, ich bin auch schon spät dran.“

      Wir verließen das Kaffeehaus und vor der Tür sagte ich zu Jewad: „Bin ich heute nur auf einen Tee hierhergekommen?“

      „Nein, Hussein, so ist es nicht. Du hast offenbar nicht bemerkt, dass am Nebentisch zwei Beamte der Savak saßen, um uns zu belauschen.“

      „Ja, aber Jewad, da waren doch nur Kurden im Kaffeehaus, keine Perser.“

      Jewad schüttelte den Kopf. „Auch unter uns Kurden gibt es Savak-Beamte, die sich unter das Volk mischen und für kleines Geld ihre eigenen Leute bespitzeln. Deswegen müssen wir immer sehr wachsam sein. Im Grunde kann man niemandem trauen. Diese Menschen sind Denunzianten. Und sie sind dumm. Sie sehen keine andere Chance, als anders Denkende für wenig Geld zu verraten. Das ist alles vom Staat gelenkt, glaube mir.“

      Oh, ich war empört! Wir lebten in einem Überwachungsstaat, in dem es keine Meinungsfreiheit gab, und schon gar nicht für unser Volk. „Jewad“, sagte ich, „ich bin heute hierhergekommen, um Fragen zu dieser Zweitausendfünfhundert-Jahr-Feier zu ergründen. Was werden unsere Aufgaben sein, von denen der Schuldirektor sprach? Welches sind die Hintergründe und was denken Kak Kawe und Kak Shwane darüber?“

      Jewad antwortete: „Heute können wir, wie du ja nun weißt, im Kaffeehaus keine Diskussion führen. Ich habe mit Kak Kawe gesprochen. Er war der Meinung, dass wir uns im Moment lieber gar nicht treffen sollten, denn wir müssen annehmen, dass man uns für verdächtig hält.“

      „Aha, das bedeutet, dass ich unser Kaffeehaus nicht mehr dreimal die Woche besuche!“

      „Ja, wir halten uns besser zurück und sind jetzt einfach still. Aber mach dir keine Sorgen. Ich besuche dich zuhause. Und, Hussein, ich möchte dir einen Rat geben: Geh in die Bibliothek, besorge dir einige gute Bücher und lerne daraus. Wir bleiben in Kontakt. Mehr können wir im Moment nicht tun. Die Macht des Schweigens ist auch eine Macht.“ Jewad verabschiedete sich von mir.

      Und so ging ich einfach nach Hause, enttäuscht natürlich, ein wenig traurig, weil es mir nicht möglich gewesen war, auf alle Fragen in meinem Kopf eine Antwort zu bekommen. Diese Zweitausendfünfhundert-Jahr-Feier schien mir von höchster Brisanz zu sein, aber ich wusste doch nicht, was das alles bedeutete. Unser Staat im Glitzerschein der Welt. Ich würde es erleben, denn ich war noch ein junger Mensch.

      Voller Neugierde wartete ich die nächsten Tage ab, was alles in der Schule passierte und ob Jewad sein Versprechen einlöste, mich zu Hause zu besuchen. Mir war, als befinde ich mich in einem luftleeren Raum, ohne dass es vorwärts ging.

      In den laufenden Monaten waren alle öffentlichen Behörden – der Magistrat, die Banken, Versicherungen, die Polizeipräsidien – damit beschäftigt, die Feier zu Ehren des Königreiches vorzubereiten. Deren Gebäude wurden mit Blumen, Lichtern und der dreifarbigen iranischen Fahne geschmückt. Auch kleine Läden, wie zum Beispiel unser Gemischtwarenhändler, die Bäckerei, der Fahrradladen, der Elektroladen und die Autowerkstatt, schmückten ihr Haus mit iranischen Fahnen. Alle Geschäftsinhaber waren Anhänger des Regimes. Auch unsere Schule wurde mit Fahnen, bunten Papierblumen und all diesen vielen Lichtern geschmückt. Wir Schüler mussten täglich Propaganda-Lieder einstudieren, Tänze üben, und in Reihen laufen wie Soldaten. So bunt wie alles andere waren auch die Uniformen und die Musikorchester, die die Parade vorbereiteten.

      Ich fragte mich, wie viele Millionen allein die vielen Lichter kosteten. Für das Geld könnte man sicher eine Menge Stromleitungen in abgelegene Dörfer legen oder für die Ärmsten der Armen gute Dinge tun. Mein Gott, alle Brücken in diesem Land wurden mit Lichtern und Glamour ausgestattet. In den Städten wurden Treppen gebaut und Lautsprecher angebracht, damit Minister oder Bürgermeister zum Volk sprechen konnten.

      Am ersten Tag der Feier gingen viele Menschen auf die Straßen, um dabei zu sein. Ich durfte auch hinausgehen und mit meinen eigenen Augen zusehen, was geschah. Gott sei Dank war ich im Camp bei den Pishahang rausgeflogen und musste nun nicht diese Uniform tragen. Im Nachhinein fand ich die Uniform unmöglich, diese Gleichmachung per Propaganda und den Zwang. Wir waren dadurch keine freien Menschen. Dies war nicht meine Vorstellung von einem Leben in Freiheit.

      In Marivan hielt der Bürgermeister eine Eröffnungsrede auf der hell erleuchteten Bühne. Er sprach über die Geschichte des Iran und sein Imperium. Dabei betonte er ständig, wie modern sich unser Land entwickelt habe. Die Weiße Revolution, die das alles ermöglicht hatte, stand im Vordergrund seiner Rede. Freitags kamen die Menschen zur Moschee, ebenso wie ich. Der Imam betete für alle und lobte den Schah in den höchsten Tönen. Er sei der beste Schah der Welt, weil er für uns die westliche Ideologie einbrachte. Gemeint war der Konsum der westlichen Welt. Ich dachte an meinen Vater, der der Meinung war, dass kein Mensch all das Neue brauchte. Die Lobreden gingen weiter: „Ohne den Schah hätten wir keine moderne Welt in unserem Land erschaffen können. Ohne unseren Schah und seine Verdienste wären wir in der Welt nicht so weit gekommen. Hoch lebe unser Schah!“

      Alle Savaks und Beamten klatschen Beifall. Ich konnte diesen Lärm kaum aushalten, weil ich an all die Ungerechtigkeiten denken musste.

      In den Städten fand der Marsch des Militärs mit Panzern, Waffen und beleuchteten Fahrzeugen statt. Musik begleitete die Umzüge auf den Straßen unseres Landes, auch in unserem kleinen Marivan. Schülergruppen liefen wie Soldaten in Uniform die Straße entlang, vorneweg ein Plakat mit der Aufschrift: „Unser Schah lebe hoch!“ Die Fahnen, die die Anführer der Gruppen in der Hand hielten, wehten im Wind. Noch gestern Abend war unsere Stadt im Dunkeln gewesen und man hatte sich nicht aus dem Haus getraut. Heute war plötzlich alles anders mit all den vielen Lichtern, die selbst in der Dunkelheit glitzerten.

      Und plötzlich war es wieder dunkel! Alle waren nervös, der Bürgermeister auf der Bühne, die Anhänger des Regimes und all die Beamten. Der Bürgermeister versuchte die Menschen zu beruhigen. „Keine Panik, das Problem ist gleich behoben.“ Doch es geschah nichts. Die Lichter waren aus, der Strom war weg. Manche Menschen hatten eine Taschenlampe dabei. Sie lachten heimlich und sagten: „Kein Wunder, dass das Stromnetz bei so vielen Lichtern versagt. Bei den unmodernen Stromleitungen!“

      Auch das Mikrofon versagte. Der Bürgermeister erhob seine Stimme und rief in