»Einer von diesen Typen ist ein hochkarätiger Kretin«, murmelte sie.
Drei Männer in Nadelstreifenanzügen betraten die Halle durch die Tiefgarage, sahen Hansen an und blickten dann starr auf sie. Sie beachtete sie nicht. Nach kurzer Verhandlung gewährte Hansen den Männern Zutritt zu den Fahrstühlen.
Im untersten Schubfach fand sie ein Besucherbuch. Sie schloss aus den Eintragungen mehrerer Tage, dass die Wachleute die in das Gebäude kommenden Personen an Wochenenden, vor 7.00 Uhr und nach 19.00 Uhr überprüften. Sie schlug das Buch beim heutigen Datum auf, dem 8. Februar. In durch Linien unterteilte Spalten mussten die Besucher des Gebäudes ihren in Druckbuchstaben geschriebenen Namen, ihre Unterschrift, Datum und Uhrzeit eintragen, sowie später die Zeit, zu der sie das Gebäude wieder verließen. Es gab bereits zwölf Eintragungen für den heutigen Tag, die erste um 5.45 Uhr, aber erst eine Eintragung für den 16. Stock, eine verschnörkelte Unterschrift. Geduldig zeichnete sie sie mit dem Finger nach – Fergus Parker. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Namen wie verlangt in Druckbuchstaben zu schreiben. Fergus Parker hatte das Gebäude um 6.53 Uhr betreten. Sie prüfte, inwieweit die Wachleute von ihrem Platz aus die Halle überblicken konnten. Die Sicht auf die drei Fahrstühle und auf die beiden einzigen Ausgänge – die Tür zur Tiefgarage und die beiden gläsernen Doppeltüren, die auf den Olympic Boulevard hinausgingen – war unbehindert. Sie ließ das Hauptbuch auf dem Pult liegen, stand auf und ging, mit einem bösen Blick auf den Mosaikfußboden, um die Ecke herum zu der Firma, die sich wie die Eingangshalle im Erdgeschoss befand. Blasse Goldbuchstaben auf kostbar glänzenden Türen aus Walnussholz verkündeten:
Contemporary Life Insurance, Inc.
Geschäftszeiten Mo. – Sa., 9 – 18 Uhr
»Ralph«, sagte Kate, als sie zu den Fahrstühlen zurückkam, »kannst du mir eine Erklärung dafür geben, warum ein Beweisstück, das die Ankunftszeit des Opfers in diesem Gebäude feststellt, bisher von niemandem zur Kenntnis genommen worden ist?« Mit einer knappen Geste wies sie auf das auf dem Pult liegende Hauptbuch.
Hansen schüttelte unglücklich den Kopf. Kate betrat einen der Fahrstühle. Hansen steckte den Schlüssel ins Schloss, um den 16. Stock freizugeben, und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.
Pete Johnson war dabei, auf Millimeterpapier eine Skizze der Vorhalle anzufertigen. Sie nickte ihm zu, während sie sich genau umsah, ohne aber die Inneneinrichtung zu beachten. Sie schätzte die Entfernung von den Türen zu den Fahrstühlen. Ihr fiel auf, dass es keine Treppe gab. Eine der Doppeltüren stand offen, was ungewöhnlich zu sein schien, nach dem Hefter zu urteilen, der als Türstopper verwendet wurde. Sie ging durch die Tür. Ein hölzerner Tischbock verstellte den Weg nach rechts. Sie folgte dem Gemurmel männlicher Stimmen auf der linken Seite, ging vorsichtig um die von einem Kreidekreis umgebenen Scherben einer gläsernen Kaffeekanne herum, die auf dem fleckigen Teppichboden verstreut waren, und betrat das Eckbüro.
Dort war die Spurensicherung tätig. Der für Fingerabdrücke zuständige Mann stand mit dem Rücken zu ihr und bepinselte vorsichtig den Rand des Ebenholzschreibtischs. Der Fotograf packte seine Sachen ein. Der Polizeiarzt, der für die Untersuchung der Todesursache zuständig war, unterhielt sich mit der gelangweilten Besatzung des Krankenwagens, zwei stämmige Schwarze, die wartend neben ihrer Bahre an der Wand lehnten. Kate betrachtete die Leiche, die mit ausgestreckten Armen dasaß. Die Hände steckten in Papiertüten, die an den Handgelenken zusammengebunden waren. Aus der Brust ragte ein Gegenstand mit einem Elfenbeingriff. Kate nickte den Männern zu, die sich in dem Raum zu schaffen machten.
Ed Taylor, der den Bleistift schreibbereit über seinem Notizblock gehalten hatte, gähnte zu Ende und schlenderte zu ihr herüber, wobei er die zahllosen Glassplitter und die Alkoholflecken auf dem Teppich sorgsam mied. Taylor beeilte sich niemals. Kate beobachtete missbilligend seine aufgeblähte, massige Gestalt. Nach achtzehn Jahren Polizeidienst war Taylor, groß, blond, gemächlich und humorvoll, längst kein engagierter Polizist mehr. Er hatte sich in die Dienstroutine ergeben und wartete auf die nach zwanzig Dienstjahren erfolgende Pensionierung. Aber Kate wäre jede Wette eingegangen, dass er sich nicht pensionieren lassen würde. Taylor würde immer Polizist bleiben.
»Fertig«, sagte der Fotograf.
»Haben Sie die Glassplitter aus allen Blickwinkeln aufgenommen?«, fragte Kate.
Der Fotograf drehte sich nicht um. »Hab ich. Verdammt, überprüfen Sie doch meine Aufzeichnungen. Ich hab alles.«
Die Sanitäter gingen auf die Leiche zu. Kate sah den Polizeiarzt an.
»Er ist erstochen worden«, sagte Everson.
Die Ermittlungsbeamten kicherten, Kate lächelte. Die Sanitäter, die gerade beginnen wollten, die Leiche auf die Tragbahre zu hieven, hielten inne und lachten schallend los.
»Er ist zwischen halb acht und acht Uhr gestorben«, sagte Everson grinsend.
»Blut auf der Kleidung des Täters?«
»Möglich. Sogar wahrscheinlich. Die Blutung war lokal begrenzt, aber es sind Blutflecken auf dem Schreibtisch, die – nach dem Eintrittswinkel der Waffe zu urteilen – beim Zustechen entstanden sind. Zumindest müsste die Hand oder der Ärmel des Täters etwas abgekriegt haben.«
»Saß das Opfer in dieser Haltung, als es ihn erwischte?«
Everson zögerte und fingerte an seinem bleistiftdünnen Schnurrbart herum. »Das ist eine merkwürdige Sache, Kate. Es ist eine Hundertachtzig-Grad-Wunde.« Er wies mit einer schnellen Bewegung seiner wohlmanikürten Hand auf die Leiche, und Kate ging hin, um sich das näher anzusehen. »In so gut wie allen Fällen verläuft ein Messerstich schräg nach unten, aber dieses Messer ist fast gerade eingedrungen. Das Opfer könnte gestanden haben, durch die Wucht des Stoßes zurückgeworfen worden und in den Sessel zurückgefallen sein. Oder er wollte gerade aufstehen. Die Waffe ist ein Prachtexemplar, nicht?« Kate hatte sich heruntergebeugt, um den gebogenen, fein geschnitzten Elfenbeingriff genauer anzusehen. »Zu viele Facetten, um Fingerabdrücke aufzunehmen.«
»Der Innendienstleiter hat die Leiche identifiziert«, sagte Taylor. »Er sagt, das sei der Brieföffner des Opfers. Breite Klinge, scharf wie ein Rasiermesser, sagt er.«
Kate trat einen Schritt zurück, und die beiden Schwarzen hievten die Leiche auf die Tragbahre. »Mit so einer Waffe hätte es auch ein Zweijähriger geschafft«, fuhr Everson fort. »Die Klinge hat dieses Walfett wie Butter durchschnitten.«
»Fettes Schwein«, ächzte einer der Sanitäter, als sie den Koloss auf der Tragbahre festschnallten und zudeckten.
Noch einmal betrachtete Kate den Schreibtisch, das zerschmetterte Glas. »Walt, könnte er sich die Wunde selbst beigebracht haben?«
»Kate«, sagte Taylor, »eine Zeugin hat jemanden gehört –«
»Walt?«, unterbrach Kate, ohne Taylor zu beachten.
Wieder zögerte Everson. »Das könnte das gerade Eindringen der Waffe erklären, und es gibt auch keine Schnittwunden, die darauf hinweisen, dass das Opfer sich gewehrt hätte. Aber es gibt keine Anzeichen für ein probeweises Zustechen, keinen sichtbaren Hinweis auf weitere Stichwunden auf der Haut. Das Hemd ist völlig heil, es gibt nirgends Schnitte, die auf einen zögernden vorherigen Versuch hindeuten. Und du weißt, wie sehr sie zögern, Kate, wie oft sie ihre Sachen ausziehen oder sie zumindest zur Seite schieben. Kein Anzeichen von Todeskrampf – keine feste Umklammerung der Waffe und keine unmittelbar eintretende Leichenstarre, was bei Selbstmord ja manchmal vorkommt.« Everson sah auf seine elegante Armbanduhr. »Es ist drei Stunden her, und es gibt immer noch keinerlei Anzeichen davon.«
»Aber möglich ist es trotzdem?«
»Ja. Wir werden uns beide sehr viel intensiver mit der Sache beschäftigen müssen.«
»Sicher.« Sie wandte sich Taylor zu. »Ed, wie viele Leute arbeiten