Der Kontakt zu den Kapitänen und Wachhabenden der anderen fischenden Fahrzeuge wurde mittels des UKW-Sprechfunkgerätes, das ständig in Betrieb war, gehalten. Auf vereinbarten Arbeitskanälen erfolgte der tägliche Informationsaustausch zu den Fangergebnissen, Anzeigen von Fischschwärmen, Wassertiefen und „Hackern“. Häufig wurden Ausweichmanöver mit entgegen kommenden und kreuzenden Fahrzeugen vereinbart, um Kollisionen und Netzschäden zu vermeiden.
Der Seitentrawler „Anna“ war eines von vielen fischenden Fahrzeugen in diesem Gebiet. Fahrzeuge verschiedener europäischer Länder fingen jedes Jahr zu dieser Zeit, große Mengen Kabeljau, Schwarzen Heilbutt und Rotbarsch.
Das Grundschleppnetz der „Anna“ wurde mithilfe starker, sechskardeeliger, markierter Drahtkurrleinen über den rauen Meeresgrund geschleppt. Seitlich offen gehalten wurde das Netz durch die Scherwirkung von zwei großen Seitenscherbrettern, nach oben durch Auftriebskugeln und einem Höhenscherbrett. Grundtaukugeln und Klotje aus Stahl, Gummi, Guss unterschiedlicher Größe, befestigt auf Drahtstandern, sicherten den Bodenkontakt des Netzes. Geschleppt wurde in verschiedenen Wassertiefen auf unterschiedlichem Meeresbodenprofil. Der durch das Vornetz gefangene Fisch sammelte sich im Tunnel und dann im Steert, dem letzten und doppelt gestrickten Netzteil. Beschädigungen durch die am Grund liegenden Steine führten häufig zu Schäden an den Unterflügeln, am Tunnel und Steert sowie zum Verlust des schon gefangenen Fisches. Statt Fisch wurden Steine im Steert an Deck gehievt, die gesammelt und auf der Heimreise im tiefen Wasser des Atlantiks ins Meer geworfen wurden.
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Chris hatte einen großen abgerundeten Stein für den Vorgarten des Hauses seiner Mutter am vorderen Mast abgelegt und gegen Verrutschen gesichert. Er hatte die Erlaubnis des Kapitäns für sein Vorhaben erhalten.
„Mein Bruder hat ein Gütertaxi, er wird den Stein holen. Ich helfe dir beim Auf- und Abladen“, versprach Martin seinem Freund.
Chris hatte schon eine Brook aus alten Netzstücken für den Transport des Steines gefertigt.
„Meine Mutter wird sich bestimmt freuen. Der Vorgarten des kleinen Hauses ist ihr Schmuckstück. Sie wünschte sich so sehr einen großen Stein für die weitere Verschönerung der Blumenrabatten“, sagte Chris zu Martin. Diesen Wunsch erfüllte er ihr gerne.
Die aktuellen Ausschläge der Fischlupe ließen Fischvorkommen bei gleichbleibender Wassertiefe dicht über dem steinigen Meeresgrund vermuten, deren Position der Kapitän in eine Arbeitskarte eintrug.
An Deck wurde noch der Fang des Nachthols bearbeitet. Ölzeug schützte die Decksleute vor der überkommenden See und zunehmenden Kälte.
Der in den Deckshocken ausgeschüttete Rotbarsch wurde mit Handpicken in geflochtenen Körben gesammelt, der Kabeljau und Schwarze Heilbutt mit scharfen, speziellen Messern geschlachtet und gewaschen.
„Heiße Getränke mit Schuss gefällig?“, rief der Kochsmaat mit lauter Stimme. Er brachte zwei große Blechkannen, gefüllt mit heißem Tee, an Deck. Das Angebot des Kochmaates wurde sehr gern angenommen. Der Tee wurde in „Mucken“, kleinen Tassen, ausgeschenkt und durchwärmte die durchgefrorenen Körper der Decksleute. Der „Schuss“ erhöhte den Arbeitselan bei der weiteren Bearbeitung des in den Deckshocken ausgeschütteten Fisches.
„Nachschlag mit mehr „Schuss“ im Tee!“, rief der Netzmacher, der keinen Tee mehr erhalten hatte. Der leichtbekleidete Kochsmaat stellte sich taub und verließ schnell ohne Zusage das Deck. Er hatte keine Lust mehr in der frostigen Luft und bei überkommender See den Tee auszuschenken.
„Macht euch warme Gedanken, dann friert ihr auch nicht“, rief der Kochsmaat und verließ das nasse, rutschige Arbeitsdeck mit den leeren Blechkannen.
Das Schlachten des Kabeljaus erfolgte durch einen Längsschnitt vom After bis in den Kiemenbereich. Es wurde die Speiseröhre durchtrennt und die Eingeweide mit der Innenhand entnommen.
Der Schwarze Heilbutt wurde durch Längs- und Kehlschnitt geschlachtet. Bei diesem Fisch wurden zusätzlich die Kiemen und die Blutrinne entfernt.
Die zum Schlachten benutzten Messer wurden beim Einholen und Aussetzen des Netzes in Messertaschen, die an einem selbst gefertigten Ledergürtel aus Ochsenfell befestigt waren, an der Hüfte getragen. Sie gehörten zur Ausstattung eines jeden Decksmannes. Nach jedem Hol, auch während des Schlachtens, wurden die Klingen der Messer nachgeschärft.
Für die Herstellung von Öl wurde die Leber des Kabeljaus und Schwarzen Heilbutts aus dem Bauchraum des Fisches entnommen und in Körben gesammelt.
Gekocht wurde die frische Leber mit Dampf in einem Metallfass. Heißer Dampf trennte das Öl von den festen Bestandteilen der Leber. Nach dem Kochprozess wurde das im Fass oben schwimmende Öl abgeschöpft und in Transportfässer gefüllt. Jeder abgefüllte Liter Tran brachte einen zusätzlichen Verdienst für jedermann an Bord.
„Es stinkt nach Geld“, scherzten die Decksleute, sobald sich der Geruch, der beim Kochen der Fischleber entstand, spürbar ausbreitete. Andere meinten: „Geld stinkt nicht.“ Einige schlürften das warme Öl vom Löffel, um ihre Gesundheit zu stärken, andere erbrachen aufgrund des besonderen Geschmacks und Geruchs des frisch gekochten Öls.
„Mit etwas Salz und Pfeffer schmeckt das warme Öl besonders gut“, scherzte der Maschinenassistent, der für das Kochen der Leber und das Abfüllen des Öls beauftragt war. Auf der Steuerbordseite des Arbeitsdecks wurde der Fischküt in den Wassergraben über die Wasserpforten und Speigatten ins Meer gespült.
Möwen begleiten den Trawler.
Die Möwen stürzten sich, dicht an der Bordwand, schreiend und kreischend auf die an Bord nicht verwendbaren, im Wasser schwimmenden Reste des Fanges. In wenigen Minuten war alles vertilgt. Die Möwen begleiteten den Trawler Tag und Nacht, in Schwärmen, bis zum letzten Hol.
Der geschlachtete Fisch wurde gespült, von Blut gereinigt und in einen Blechtrichter, der im Lukensüll eingesetzt war, geschüttet. Im Trichter eingehängte Rutschen führten den bearbeiteten Fisch in die vorbereiteten Hocken des Eisraumes. Dieser war isoliert und mit einer robusten Holzverkleidung versehen. Die Zugabe der Eisstücke gewährleistete die notwendige Kühltemperatur und verlängerte die Totenstarre des eingelagerten Fisches. Die Hocken wurden durch schmale Längsschotten und Vorstecker aus Holz gebildet. In der Hocke ausgelegte Abborder trennten die Fischarten und verhinderten qualitätsmindernde Druckstellen am Fisch.
Chris lockerte die zusammen gefrorenen Eisstücke einer bis oben gefüllten Hocke mit einer spitzen, scharfen Picke. Er warf diese mit einer großen Schaufel auf die Bühne, einen langen Gang in halber Höhe des Eisraumes.
„Martin, du kannst die Rutschen umlegen und verlängern, die Hocke ist fast leer“, rief Chris tief stehend aus der leeren Hocke.
„Beim nächsten Hol werden wir die Rutschen umsetzen“ antwortete Martin keuchend und vereiste von der Bühne aus den über die Rutschen einlaufenden Fisch.
Martin verteilte mit der Schaufel die Eisstücke. Fisch und Eisstücke wurden mit langen Schiebern bis unter die isolierte Raumdecke geschoben und bildeten einen festen gekühlten Verband.
Derbe Segeltuchhosen, dicke Pullover, gummierte Ärmelschoner, lange Seestiefel, Gummihandschuhe, Segeltuchhandschuhe schützten beide vor der Nässe und Kälte der Raumluft sowie gegen Verletzungen, besonders durch Rotbarschstachel.
Das Vereisen des Fisches war eine körperlich sehr anstrengende Tätigkeit. Schweiß lief beiden, trotz der Kälte des Eisraumes, übers Gesicht. In kürzester Zeit schaufelte Chris sehr große Mengen an Eisstücke, teils rückwärts über den Kopf, auf die Bühne, die Martin über den Fisch in der Hocke verteilte.
Martin und Chris kannten sich schon aus der Schulzeit. Sie kamen aus einem kleinen Dorf am Saaler Bodden. Dort waren sie als Kinder in dieselbe Schule gegangen und hatten nach dem Schulabschluss den Beruf des Hochseefischers erlernt. Martin, der Ältere und Größere von beiden, besuchte nach längerer