Schlacht um Sina. Matthias Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Falke
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783957770295
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einem ihrer geliebten HoloFilme eingeschlafen war. Im gleichen Augenblick war schon Wiszewsky die feldgestützte Wendeltreppe von seinem einsamen Auslug heruntergekommen und hatte sie angeschnauzt, sich zurecht zu machen. Eine Minute nach ihm war sie fertig und folgte ihm auf die Brücke, wo die fremde Delegation, wohl eine Abordnung der Erdregierung, begrüßt wurde. Sie trug die Uniform der Fliegenden Crew und hatte ein weißes Barett auf ihre Mähne gezwickt, deren lodernde Strähnen in der Eile nur mit ein paar GraviSticks zusammenzuhalten gewesen waren. Jetzt spielte sie sich an Wiszewskys Seite, aber er ließ es nicht zu, dass sie sich bei ihm unterhängte, sondern hielt sie mehrere Schritte auf Abstand. Sie blinzelte den Männern, die eben aus Richtung der Schleusenkammer gekommen sein mussten, mit langen schwarzen Wimpern zu und vergewisserte sich, dass ihr Kragen und der samtene Kopfschmuck richtig saßen.

      »Es freut mich, dass Sie so rasch erschienen sind.« Wiszewsky musste den Impuls unterdrücken, den General in die Arme zu schließen. Er wollte nicht sentimental erscheinen. Aber dann gab er sich doch einen Ruck, überwand die fünf Schritte, die ihn von Andresen trennten, und reichte dem Schlachtschiffkommandanten die Hand. Der Skandinavier erwiderte seinen Händedruck mit knochenbrecherischer Kraft. »Vor allem freut mich das unerwartet zahlreiche Erscheinen.« Er sah zur großen Panoramafront hinaus, wo hunderte von Positionslichtern und Korrekturdüsen leuchteten und blitzten. »Mit einer solchen Armada hätten wir nicht zu rechnen gewagt.« Er ließ den Blick versonnen auf dem überwältigenden Anblick ruhen, der ihm noch immer unwirklich und traumhaft vorkam.

      General Andresen zog seine Hand zurück, eine rote Faust mit gelben Stoppeln auf dem Handrücken. Commodore Wiszewsky setzte dazu an, Svetlana Komarowa und den Mitarbeiterstab vorzustellen, der sich nach und nach auf der Brücke einfand.

      »In Anbetracht des Ernstes der Situation«, schnitt Andresen ihm das Wort ab, »schlage ich vor, dass wir gleich zur Sache kommen.«

      Wiszewsky verzog das Gesicht. Es kam nicht oft vor, dass jemand ihm übers Wort fuhr, schon gar nicht so ein ungehobelter Haudegen, den man vermutlich aus dem Ruhestand geholt hatte, den er sich vor Island mit Angeln vertrieben hatte. Aber die Ankunft dieser gewaltigen Flotte erfüllte ihn mit solcher Hochstimmung, dass er großzügig darüber hinwegsah.

      »Nicht ernster als während der vergangenen drei Jahre«, sagte er wegwerfend. »Im Gegenteil: jetzt, da Ihre Streitmacht hier ist, wüsste ich nicht, was an der Situation noch ernst sein sollte.«

      An Stirn und Schläfen von Andresens Rundschädel traten blaue Adern hervor. Ihm war anzusehen, dass er dem Commodore nicht ganz folgen konnte; zumindest vermochte er seine gleichmütige Haltung nicht zu teilen. Er dachte einen Augenblick nach.

      »Wie dem auch sei«, räusperte er sich. »Ich darf Ihnen die allerherzlichsten persönlichen Grüße von Commander-General Frank Norton und Major Jennifer Ash überbringen. Sie sind, um keine Zeit zu verlieren ...«

      Wiszewsky hob langsam die Hand. Der letzte Halbsatz Andresens, den er deutlich hervorgehoben hatte, hallte noch im Raum wider. Der Commodore fasste sich an den Kopf.

      »Was sagen Sie da?«, fragte er mit einem stimmlosen Flüstern.

      Andresen starrte ihn an, als habe er es mit einem Schwachsinnigen zu tun. Auch seine Begleiter murmelten ungeduldig und scharrten mit den Füßen.

      »General Norton und Major Ash lassen Sie herzlich grüßen«, wiederholte Andresen mit Betonung, als spreche er mit einem Schwerhörigen. »Sie waren Gäste auf der ENTHYMESIS, haben sich jetzt aber weiter verfügt, um in der gebotenen Eile das Notwendige zu veranlassen.«

      Wiszewsky glotzte ihn an, als habe er ihn vor allen Leuten ins Gesicht geschlagen. Svetlanas Mund klappte auf, um sich so rasch nicht wieder zu schließen. Auf die Mienen der Stabsoffiziere malte sich offene Bestürzung. Andresen war inzwischen überzeugt, dass die lange Exposition unter die intergalaktische Strahlung die komplette Besatzung dieses Schiffes habe verblöden lassen.

      Der Commodore sah an seiner Schulter vorbei zur großen Panoramafront hinaus und musterte mit verkniffenen Augenlidern das weit auseinandergezogene Lichterfeld der Flotte. Tatsächlich: eines der größeren Schiffe, in mehreren Kilometern Distanz längsseits zur MARQUIS DE LAPLACE und in gemessenem Abstand hinter dem Heck der EREBUS, war die ENTHYMESIS. Die ENTHYMESIS, wie Wiszewsky sich schwindelnd sagen musste, während der Boden sich unter ihm drehte. Die ENTHYMESIS I, die einer ganzen Flotte von leistungsfähigen und robusten Explorern den Namen gegeben hatte.

      »Ich begreife überhaupt nichts mehr«, stammelte er und sah Andresen mit solcher offenen Ratlosigkeit an, dass es dem General einen Stich gab.

      Im Kopf des Commodore ging alles durcheinander. So sehr er sich auch bemühte, Ordnung in seine Gedanken und Empfindungen zu bringen, konnte er doch nicht verhindern, dass sich die Informationen in seinem Schädel immer wieder überschlugen, umkreisten, vertauschten und verknäuelten. Das dort draußen war die originale ENTHYMESIS, Nortons Flaggschiff, das unter chaotischen Umständen im Zusammenhang mit dem Jupiter-Ereignis auf der Erde zurückgeblieben war. Einige Kilometer entfernt, im Hangar des Großen Drohnendecks, befand sich die ENTHYMESIS II, die der Crew während der Jahre der Diaspora als Ersatz hatte dienen müssen, jenes Schiff, das vor nunmehr etlichen Monaten unbemannt und führerlos von der Mission zum Geisterschiff zurückgekehrt war. Wie sollten Frank und Jennifer von einem zum anderen, vom Nachbau zum Original gelangt sein? Worte wie Teleportation und Quantenbeamen blitzten durch Wiszewskys Hirn. Er rang sich ein Lächeln ab.

      »Halten Sie von mir, was Sie wollen«, sagte er gequält, »aber ich verstehe kein Wort.«

      Andresen überwand ein Moment der Irritation. Er hatte nicht damit gerechnet, den Kommandanten dieses Schiffes, dessen Name ihm den allerhöchsten Respekt einflößte, und Oberbefehlshaber der Kolonialtruppen auf einem so geringen Kenntnisstand anzutreffen, wie es offenbar der Fall war. Er wusste seinerseits nur wenig über Nortons Erlebnisse.

      »General Norton hat den Oberbefehl über diese Flotte«, begann er zögernd. »Nur vorübergehend wurde die Teilstreitkraft, die Sie hier sehen, meinem Kommando unterstellt, während Norton und der Rest des Korps ein anderes Ziel verfolgen, das der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegt und über das auch ich nicht unterrichtet bin.«

      Letzteres war gelogen, zumindest untertrieben; Andresen wusste sehr wohl, wohin Norton und Jennifer mit dem Rest der Flotte geflogen waren. Er zögerte nur, es Wiszewsky anzuvertrauen, solange er nicht sicher war, dass der Commodore als zurechnungsfähig gelten konnte.

      Wiszewsky schüttelte den Kopf. »Aber wie«, stammelte er. »Wie sind sie zur Erde gelangt?«

      Andresen zuckte die Achseln. Der Boden brannte ihm unter den Füßen. Jede Minute, die verging, erfüllte ihn mit körperlichem Schmerz. Er fühlte wie ein Feldherr, der mit ansehen muss, wie seine Infanterie im gegnerischen Feuer schmilzt, während die Verstärkung immer noch ausbleibt.

      »Ich weiß nur«, sagte er, »dass die beiden sich in einem gekaperten sinesischen Shuttle zur Erde durchschlagen konnten und dass der Kanzler der Zivilregierung, Seine Eminenz Cole Johnson, General Norton persönlich das Kommando über dieses Expeditionskorps übertragen hat.«

      Wiszewsky hing an seinen Lippen und nickte bei jedem einzelnen Wort, als müsse ihm die Information wie einem Kleinkind eingelöffelt werden. Er schluckte und stierte mit erloschenem Blick vor sich hin. Dann schien er die Fakten zusammengebracht zu haben.

      »Was für ein Teufelskerl!«, stieß er hervor. »Ein sinesisches Schiff gekapert!«

      Er wandte sich zu Svetlana und seinem Beraterstab um und schüttelte die Faust in der Luft. Eine gewisse Entspannung breitete sich in den beiden Personengruppen aus. Andresen sagte sich, dass die Abgeschiedenheit in diesen Räumen doch sehr an den Menschen zehrte, und er rief sich ins Gedächtnis, dass dieses Schiff seit mehreren Jahren ohne jeden externen Kontakt gewesen war.

      Wiszewsky ging auf den General zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

      »Verzeihen Sie unsere Begriffsstutzigkeit«, sagte er warm. »Wir sind hier ein bisschen hinterm Mond. In einer ruhigen Stunde kann ich Ihnen ja unsere Version der Vorgänge erzählen.« Er zwinkerte vergnügt. »Wer konnte denn auch mit so etwas