Wie bei vielen anderen spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Bücherfunden durch Humanisten „the original was soon lost by Petrarch, and he demonstrated a copy instead.“214 Es gibt noch andere Merkwürdigkeiten bei Petrarca wie z.B. den Brief an den römischen Geschichtsschreiber Titus Livius215, der nach konventioneller Geschichtsauffassung als Ausgeburt seiner dichterischen Phantasie betrachtet wird.
Ein unbefangener Betrachter, der nicht mit althistorischer Fachblindheit geschlagen ist, kann bei der Lektüre dieser abenteuerlichen Entdeckungsgeschichten, welche vor allem die römische Antike betreffen, leicht den Eindruck gewinnen, dass es bei dieser Entdeckung der antiken Schriften zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Es ist wohl nicht auszuschließen, dass man das, was man nicht finden konnte, erfunden haben könnte.
Dieser Verdacht gilt nicht nur für die Germania des Tacitus, ist jedoch hier besonders angebracht. Viele Aussagen dieser Schrift von Tacitus passen überhaupt nicht zu Methode und Stil von Tacitus und seinem historiographischen Konzept sine ira et studio („ohne Zorn und Leidenschaft“). Denn die Germanen sind hier im Positiven wie im Negativen arg drastisch dargestellt. Diese Schilderung der Germanen passt viel eher in das Konzept der römischen Kurie und des italienischen Humanismus, die Vorfahren der Deutschen – im Gegensatz zu denen der Italiener – recht barbarisch erscheinen zu lassen. Es ist darum der in Deutschland vorherrschenden Ideologie, welche sich primär von der Germania des Tacitus ableitet, von einem 2000 Jahre alten Deutschland zu sprechen, mit äußerster Skepsis zu begegnen. Von einem einheitlichen Volk der Germanen und auch von einem deutschen Freiheitskampf unter Hermann dem Cherusker gegen die römische Besatzungsmacht kann keine Rede sein. In dem feucht moorigen „Waldland mit barbarisch wilden Bewohnern“ gab es „nur Häuptlinge, Clanchefs und deren Gefolgschaften“.216 Erschwerend kommt in der Frage der Überlieferung der Germania noch hinzu, dass die mit Hilfe des ungenannten und unbekannten Hersfelder Mönches entdeckte mittelalterliche Ab- bzw. Urschrift dieses Werkes nicht mehr auffindbar ist und dass auch andere sich auf die Antike beziehenden mittelalterlichen Handschriften im Zeitalter des Humanismus vernichtet worden sind, angeblich wegen des schlechten Erhaltungszustandes.
Wenn man bedenkt, wie groß der Prozentsatz der gefälschten und manipulierten mittelalterlichen Urkunden und sonstigen Quellen ist, was übrigens auch von den konventionellen Mediävisten anerkannt ist, dann ist wohl nicht auszuschließen, dass manche antike Handschriften gar nicht aus der Antike stammen, sondern Spezialanfertigungen des Mittelalters sind. Zhabinsky bringt eine Menge von Argumenten vor, welche bezeugen, „that all ‘ancient’ manuscripts are literary works of the 15th and 16th centuries and that there never was in reality an ‘ancient’ Rome and Greece as modern historical science teaches us.”217 Selbst wenn man diese Auffassung von Zhabinsky, die im Grunde Davidson schon vorher geäußert hat, nicht teilt, führen die Forschungen zur römischen Antike zunehmend zu der Erkenntnis, dass das uns überlieferte Bild vom klassischen Rom verzerrt ist und in vielen Punkten nicht mehr der Wirklichkeit entspricht.
Fälschungen und Erfindungen von antiken Handschriften bzw. deren Abschriften in der Zeit der Renaissance konnten lange nicht mit hundertprozentiger Sicherheit im Sinne eines juristisch tragfähigen Beweises nachgewiesen werden. Solche Fälschungen im literarischen Bereich sind allerdings sehr naheliegend. Denn es ist inzwischen immer wahrscheinlicher, dass selbst renommierte Künstler der Renaissance sich als Erfinder und Fälscher von antiken Kunstwerken betätigten.
„Even the great Michelangelo sinned with counterfeits in his youth. He created a figurine of Cupid and at the suggestion of a friend sold it as an antique original. The forgery presently was uncovered, but the sculptor was already well known: they thought that he was able to ‘ascend to the mastery of the ancient sculptors.’“
Der berühmte italienische Architekt Benvenuto Cellini (1500-1571) berichtet in seiner Autobiographie, “how he created vases which were declared as antique”.218 Natürlich gab es auch im 19. und 20. Jahrhundert erfolgreiche Fälscher, wie z.B. Israel Rouchomovsky und Aleco Dessena. Ihnen gelang es, antike Kunstwerke herzustellen, welche selbst von Experten als echt akzeptiert und sogar an Museen verkauft worden waren.219
Fälschungen bleiben aber nicht auf die griechische und römische Antike beschränkt. Selbst die ägyptische Geschichte ist dagegen nicht gefeit. Vogl und Benzin, die sich intensiv mit der Medizin der alten Ägypter auseinandersetzen, stellten bei der Auswertung zahlreicher Pharao-Mumien fest, dass „das ungefähre Sterbealter eines Leichnams … recht oft nicht mit den aus geschichtlichen Quellen erschlossenen Regierungsjahren übereinstimmt.“ Beide Autoren ziehen aus dieser Inkongruenz den Schluss, dass „alle Herrscherlisten [im alten Ägypten] große Mängel aufzeigen“.220 Da stellt sich natürlich die Frage, ob die Herrscherlisten der Antike (nicht nur des alten Ägypten, worauf Heinsohn immer wieder hinweist) bewusst gefälscht oder nur das Produkt einer fehlerhaften antiken Chronologie sind.
Ein Musterfall einer lange nicht erkannten neuzeitlichen Fälschung ist die Büste der Nofretete. Der Schweizer Kunst- und Architekturhistoriker Henri Stierlin stellt deren Echtheit in Frage:
„Die Nofretete sei während der Ausgrabungen 1912 als Experiment der deutschen Grabungsmannschaft entstanden und somit erst knapp 100 Jahre alt“, meint Stierlin. Dieser begründet seine These folgendermaßen: „Bei einem Grabungsbesuch sei die von dem Bildhauer Gerhardt Marks geschaffene Skulptur Vertretern des regierenden sächsischen Königshauses aufgefallen und fotografisch festgehalten worden. Anschließend habe man sich nicht mehr getraut, ihre Echtheit zu dementieren, um die Hoheiten nicht lächerlich zu machen.“221
Der Innsbrucker Althistoriker Raoul Schrott bringt sogar gute Argumente dafür, dass Troia mehr als ein Jahrhundert lang am falschen Platz erforscht und ausgegraben wurde. Schrott verlegt Troja in den Südosten der heutigen Türkei und vermutet in Homer keinen Griechen, sondern einen mit dem Griechischen vertrauten Schreiber des assyrischen Herrschaftssytems. Es scheint die griechische Sprache sehr alt zu sein, wohl älter als Hebräisch, Arabisch und wohl älter auch als Assyrisch. Diese Erkenntnis ist das Ergebnis der jahrelangen Forschungen von Joseph Yahuda, welche weiter unten näher erörtert werden.
Die israelischen Althistoriker Arye Edrei und Doron Mendels vertreten die Auffassung, dass das Griechische erstaunlicher Weise nicht nur in Alexandria, sondern sogar im Westen des Römischen Reiches in der Spätantike und im frühen Mittelalter die am meisten gebrauchte Verkehrssprache der Juden war.
Die oben erwähnten Beispiele aus der ägyptischen, griechischen und römischen Geschichte zeigen, dass nicht nur literarische, sondern auch Sachquellen Fälschungen sein können. Auf welchen dubiosen und fragwürdigen Quellen – vielfach aus zweiter und dritter Hand – unser Wissen über die antike Geschichte gebaut ist, zeigt Roman Landau in seinem Kapitel „Ungelöste Rätsel der Antike“ in seinem Buch von 2006.222
Die Möglichkeit, dass also auch sachliche Quellen der Antike gefälscht oder falsch datiert sein können, sollte aber die Historiker der Antike und des Mittelalters nicht dazu verleiten, die literarische Überlieferung allzu einseitig in den Vordergrund zu stellen und auf den Primat der schriftlichen Quellen zu pochen. Die ausschließliche Auswertung literarischer Quellen zur Beschreibung und Beurteilung der Antike würde also, als Quintessenz meiner obigen Betrachtungen, nicht nur zu einem verzerrten, sondern sogar zu einem einseitigen Bild der Antike und nicht zuletzt der ägyptischen Geschichte führen. Es gibt nämlich einige technische Funde, welche auf die technologische Dominanz von Ägypten, vor allem seiner Hauptstadt Alexandria, gegenüber Italien bzw. Rom sowie anderen Regionen des Römischen Reiches hindeuten. Es hat sich ja inzwischen nicht nur bei Technikhistorikern herumgesprochen, dass die Ingenieure Ktesibios und Hieron in Alexandria im 3./2. Jahrhundert funktionsfähige Automaten entwickelten und die Weltstadt Alexandria, wo zahlreiche Juden lebten, nicht nur ein hohes technologisches, sondern auch ein hohes kulturelles Niveau (z.B. Bibliothekswesen) erreichte. Durch einen ausgeklügelten Automatismus öffneten sich in Alexandria die Türen des Tempels, nach Abkühlung