Wenn ich Sonntags im Hause war, legte ich leichte Tanzmusik auf. In der Küche, in der wir uns meist aufhielten, stand ein alter Plattenspieler. Dann tanzten wir nach den einschmeichelnden Melodien und vergaßen die Küche, den Kampf und den Krieg, waren nur noch wir selbst, ganz einfach wir selbst, unbeschwert und glücklich.
Mir gefielen die schönen italienischen Melodien. Ich konnte ihnen stundenlang zuhören und mit meiner schönen Gesellschafterin träumen.
Die Oma war besessen von Caruso und Gigli. Sie schwärmte von ihnen wie ein junges Mädchen. Ich mochte sie auch. Sie wirkten herrlich beruhigend, romantisch, südländisch. Aber ich mochte auch besonders gern Glenn Miller, der gerade sehr modern war und überall gespielt wurde. Leider war das Anhören dieser Musik für uns streng verboten.
Mitten im Krieg erlebte ich innerhalb dieser Familie unvergleichlich schöne Wochen friedlichster Harmonie.
Am 3.1.1945 hieß es plötzlich beim Appell: „Die Kompanie wird heute Abend um 22.00 Uhr verlegt.“
Ich war wie erstarrt. Das kam einfach zu überraschend, zu schnell, zu hart und zu plötzlich. Mir blieb nach meinem Dienst kaum Zeit, um Abschied zu nehmen.
Und wieder war ich zutiefst von meinen Gastgebern überrascht. Auch sie berührte diese Nachricht wie ein Schock. Emma lag im Bett. Als sie hörte, dass ich fort musste, war sie hellwach. Sie stand in ihrem schlichten Nachthemd in der Tür, die Augen weit aufgerissen, also wollte sie sagen, das stimmt doch nicht, das kann doch nicht wahr sein, mach keine Witze.
Flora lag bei der Nonna im Doppelbett, ihre Augen unter dem Bettzeug verborgen, weinte Herz erschütternd, genau wie Oma, die inzwischen aufgestanden war. Selbst der Opa kam aus seinem Zimmer, vorsichtig lauschend, worum es ging. Als er endlich begriffen hatte, was gespielt wurde, fand er kaum Worte. Seine knöchernen, abgearbeiteten Hände, die schon so viel erlebt hatten, unter anderem den Krieg mit Österreich, sie zitterten, fassten nach mir. Dann drückte er mir beide Wangen, als wollte er sagen, du bist noch zu jung zum Sterben, du darfst nicht weggehen, du musst erst ein Mann werden. Ich wusste, wie ihm zu Mute war. Ich hatte die Schlacht um Anzio-Nettuno mitgemacht. War auf dem Rückweg von Rom bis Perugia zu Fuß gelaufen. Hatte dann wieder bei Florenz gekämpft und fast alle Kameraden verloren und war selbst nur durch viel Glück am Leben geblieben.
So hatte ich die liebenswerte, mir unendlich teure Bekanntschaft dieser wunderbaren Menschen hier gemacht. Nur durch Zufall war ich noch am Leben. Eines der vielen Wunder, die man nicht erklären kann. Die besten Freunde waren gefallen, aus 30 wurden 20, aus 20 dann 10, am Ende blieben drei oder vier.
Ich wusste also, was es bedeutete, an die Front zu müssen. Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich wollte nicht als Feigling dastehen, auch wenn ich sinngemäß die Hosen oft bis zum Kragen voll hatte.
Emma stopfte mir eine große Salami in den Beutel und Stefano holte noch einige Brötchen dazu. Ich zog mich langsam zurück zur Tür. Umarmte einen nach den anderen.
„Ich komme wieder!“
Oma legte mir mit zitternden Händen ein silbernes Kettchen um den Hals, wobei ihr dicke Tränen aus den Augen kullerten.
„Es soll Dir Glück bringen, Dich beschützen“, schluchzte sie.
Ich stand in der Tür und drehte mich zum Gehen um. Da stürzte Flora wie ein Inferno auf mich zu, stürmisch umarmte sie mich:
„Versprich, dass Du wieder kommst, auch wenn Ihr den Krieg verliert“, flehte sie mich an, „versprich es ...“
„Ich verspreche es, so wahr ich hier stehe! Ich komme wieder und wenn es zwanzig Jahre dauern sollte!“
So schwer es mir fiel, ich musste mich losreißen, um es mir nicht selbst noch schwerer zu machen. Ein solches Haus, so voller Liebe und Herzlichkeit, voller Frieden und menschlicher Verbundenheit, hatte ich bis dahin nie in meinem Leben gekannt und nie mehr erlebt. So gesehen war es mein größtes Erlebnis in all den Jahren, die ich im fremden Land verbrachte.
3
Schweren Herzens folgte ich meiner Einheit.
Die Kameraden empfingen mich mit lautem Hallo. Wir sammelten uns am Po-Deich und pünktlich um 22.00 Uhr setzten wir uns in Marsch, Richtung Front.
Es war kalt. Für italienische Verhältnisse zu kalt in dieser Nacht.
Einige Grad unter Null. Die Wege und Straßen waren mit einer glatten, harten Schneeschicht bedeckt. Im Gänsemarsch trotteten wir vor uns hin, jeder die gleichen bangen Fragen und Gedanken im Kopf, was die Front uns bringen würde.
So ging es Kilometer um Kilometer. Die MG-Schützen bekamen kalte Finger und baten um Ablösung, da sie die schweren Geschütze nicht mehr länger tragen konnten.
An einer Scheune machten wir eine kleine Rast. Die Lasten wurden auf andere verteilt, so dass jeder abwechselnd etwas tragen musste.
Gegen morgen blies uns ein scharfer kalter Wind ins Gesicht. Ein trüber, dunkel verhangener Tag, an die eisigen russischen Winter erinnernd, die einige von uns schon miterlebt hatten.
Entsprechend trübe war auch die Stimmung in unserem Haufen.
Unser Tross war mit wenigen Fahrzeugen voraus gefahren, hatte die Feldküche an einer windgeschützten Stelle aufgestellt und versorgte uns mit „Tee mit Rum“ und dem nötigen warmen Essen.
Unser Kompaniechef, Oberleutnant Ingwersen, hatte es eilig.
„Auf, meine Herren, wir müssen weiter!“
Langsam und lustlos, mit steifen Gliedern, marschierten wir weiter.
„Wie lange will uns der Alte denn noch laufen lassen?“ fluchte Fischer neben mir.
„Das möchte ich auch gerne wissen“, sagte ich. „Dann wäre alles viel einfacher. Aber diese Ungewissheit macht einen so richtig fertig.“
Dann sah ich mich nach meinen Leuten um, die mit gesenkten Köpfen und verkrusteten Augenwimpern langsam folgten.
„Wenn es doch nur nicht so kalt wäre. So ist es eine unmenschliche Qual“, sagte ich zu meinem Nebenmann.
Ich übernahm sein Maschinengewehr, trug es einmal auf der linken, dann wieder auf der rechten Schulter. Nachdem auch meine Finger völlig steif geworden waren, gab ich es ihm zurück. Es war gar nicht so einfach, bei dieser Glätte mit dem schweren Ding zu marschieren und dabei das Gleichgewicht zu halten. Den übrigen Kameraden erging es nicht anders. Sie hatten die schweren Munitionskästen zu tragen.
Gegen Mittag gab es dann wieder eine gute, kräftige Mahlzeit. Dann marschierten wir noch die ganze Nacht durch, bis wir unser erstes Ziel erreichten.
Von einem Quartier konnte man nicht sprechen. In dem alten Gemäuer, das uns als Unterkunft diente, fehlten viele Fenster und Türen. Wir zitterten vor Kälte, aber nirgends war Holz zu finden, um ein Feuer anzuzünden und ein heißes Getränk zu kochen. Dennoch versuchten wir, das Beste aus unserer Situation zu machen. Aus Abfällen und Möbeln, die wir zerschlugen, gelang es uns dann doch, ein Feuer zu machen. Aber es blieb nur ein Notbehelf.
Erst einige Tage später wurden wir dann an den richtigen Frontabschnitt verlegt, etwas weiter östlich, in der Nähe von Imola.
Hier gab es Unterkünfte, Bauernhäuser, Bunker und Gefechtsstände, die schon eher bewohnbar waren. Wir richteten uns häuslich ein, besorgten uns Wein und trockenes Holz und gestalteten uns nun den Aufenthalt etwas angenehmer.
Tagsüber bauten wir die Stellungen aus. Man brachte uns an die hundert italienische Frontarbeiter. Mit Lastwagen wurden sie morgens