Aber wir waren schon glücklich, überhaupt noch am Leben zu sein. Immer wieder, wenn wir die Berichte im Radio hörten, fragten wir uns, welchen Sinn dieser Krieg noch habe. Nein, unser Einsatz in Italien war sicher kein Vergnügen und dennoch wollten wir nicht mit unseren Kameraden in den endlosen Weiten Russlands tauschen, vermochten wir uns Stalingrad kaum vorzustellen: Hunger, eisige Kälte, Schnee über Schnee, von der Zivilisation kaum berührte Landstriche und ein unerbittlicher Feind.
Der Kampf um den Berg und die Stadt Cassino war einer der härtesten Kämpfe dieses Krieges. Sicher nicht mit Stalingrad zu vergleichen, aber er stand ihm an Härte nicht viel nach.
Und doch, selbst unter den erbittertsten Kämpfen, bewahrte sich dieses Land seine immer gerühmte Schönheit, von den größten Dichtern aller Zeiten besungen.
Noch als Landser, mitten im Krieg und Kampf, konnten wir unsere Augen kaum davor verschließen.Vielleicht der einzige Wert dieser sonst so unerfüllten Zeit der verlorenen Jahre. Nicht ganz, zumindest nicht für alle, verloren. Alles ist Hoffnung unerschöpflicher Möglichkeiten. Wenigstens uns Jungen hat dieser Krieg für unser ganzes Leben geprägt, hat uns mehr über den Menschen in seinen Schwächen und Stärken, im Guten, wie im schier Unfassbaren, Unverständlichen gelehrt, als es die größten Weisen vermochten.
Wenn nur diese verflixten Partisanen nicht gewesen wären. Sie machten den Krieg erst recht zur Hölle. Durch ihren Einsatz hinter der Front wurden zu viele Truppenteile gebunden, die dadurch nicht an der Front eingesetzt werden konnten. Ein schwerwiegender Nachteil für die kämpfende Truppe, aber auch gleichzeitig für die in Ruhestellung liegenden Teile, da sie nur all zu oft zum Einsatz gegen die nächtlichen Überfälle der Partisanen herangezogen wurden. Hier zeigten sich die größten Enttäuschungen. In den meisten Fällen war der Feind nicht auszumachen, kam es kaum zu einer Berührung und wir mussten wieder unverrichteter Dinge umkehren, in dem Bewusstsein, aus allen Ecken und Winkeln ständig von den Augen des Feindes beobachtet zu werden.
Ein paar Tage später wurde ich mit einigen Kameraden noch weiter zurückverlegt. Tagsüber sollten wir neu angekommene Soldaten zum Fronteinsatz ausbilden und nachts einen Fährbetrieb über den Po betreiben. Die Neuen, die aus der Heimat, Frankreich oder Dänemark kamen, waren überwiegend von der Luftwaffe und ihren Nebeneinheiten, wie der Flak und den Nachrichtenabteilungen.
Wir lagen zwischen Borgoforte und Mantua. Als Ausbildungs-Programm bauten wir Fähren bis zu zehn Tonnen Nutzlast. Schon wegen der starken Fliegerangriffe konnten wir den Fährbetrieb über den Po tagsüber nicht aufrechterhalten. So waren wir Tag und Nacht in Bereitschaft und der Erholungsprozess durch diese beiden Tätigkeiten laufend unterbrochen.
Dennoch nutzte ich die wenige freie Zeit während meiner Ausbildertätigkeit am Po und lernte die ersten Brocken italienisch. Ich hatte irgendwie Glück und bekam immer sehr schnell guten Kontakt zu der einheimischen Bevölkerung. Die einfachen Bauern waren immer sehr nett und hilfsbereit. Auch die Wirtsleute waren immer zu einem freundlichen Wort aufgelegt.
Obwohl die Italiener unsere Verbündeten waren, musste ich mit umso mehr Schwierigkeiten bei unseren Vorgesetzten rechnen, je besser ich mich mit der einheimischen Bevölkerung verstand. Schließlich lernte ich die Sprache auch besonders durch die Kinder, die uns beim Bau der Fähren oder während des Dienstes zusahen. Ich erinnerte mich an meine eigene Kindheit, wenn Soldaten auf einem Platz in unserer nächsten Umgebung waren. Dann konnte wir nicht schnell genug zu ihnen kommen. Uns interessierte alles, was da geschah. Egal, ob es ein Auto war, das wir bewunderten, ein Motorrad oder eine Feldküche. Die Soldaten waren für uns Jungen einfach eine Sensation. Nicht anders erging es auch den kleinen Italienern, die uns gespannt zusahen und keinen Augenblick aus den Augen ließen. Dabei mussten wir noch höllisch aufpassen, dass die Jungen nicht mit unseren Waffen in Berührung kamen, die natürlich scharf geladen waren und sie gerade am meisten interessierten.
Manchmal konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass diese Kinder direkt dazu beauftragt waren, uns zu beobachten, um die Partisanen über unsere gesamten Vorhaben zu unterrichten. Wer eignete sich besser und unverdächtiger dazu, uns zu bespitzeln, als gerade Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren?
Wenn es überhaupt so war, eine Vermutung, die sich nie nachweisen ließ, dann handelte es sich nur um einige wenige Jungen, die dafür ausgesucht waren.
Der kleine Mario, der für uns immer die Brötchen und den Wein holte, war sicher kein heimlicher Beobachter. Er war mein kleiner Freund geworden.
Mario war ein typischer kleiner Italiener. Sehr aufgeweckt und kess, aber auch sehr anhänglich und zutraulich. Er war der Flinkste der Jungen, die da immer um uns herum waren und uns verfolgten wie die Läuse an der Front. Immer war er zur Stelle, hatte immer etwas einzukaufen und wollte immer alles wissen.
Am liebsten hätte er auch gerne mal mit einer Pistole oder der Maschinenpistole geschossen. Der brennende Wunsch ließ sich nur zu deutlich von seinen Augen ablesen, wenn er die Waffen betrachtete.
Wir gingen an den Ufern des Flusses auf die Jagd.
„Ich weiß, wo Wiesel sind“, rief Mario und hatte seine helle Freude.
Tatsächlich zeigte er mir am Deich einen Bau. Noch bevor wir ihn ganz erreichten, stürzte das aufgeschreckte Tier auch schon heraus, dass ich um Sekunden zu spät kam und mit einer 9 mm Baretta-Pistole daneben schoss.
Das Wiesel war zu schnell und sah immer wieder an einer anderen Stelle hinter den herumliegenden Steinen hervor, so dass ich nicht zum Schuss kam.
Schließlich verfolgten Mario und die anderen Jungen es und waren dabei so aktiv und voller Begeisterung, dass es für mich unmöglich war zu schießen, ohne Gefahr zu laufen, einen der Jungen zu treffen.
„Bleibt doch stehn“, rief ich den Jungen zu. „So können wir es nie erwischen.“
Aber die Jungen hörten mich überhaupt nicht. Das Wiesel entkam.
„Das macht Spaß!“ strahlte Mario. „Suchen wir weiter. Wir finden bestimmt noch was.“
„Heute nicht mehr“, sagte ich. „Dafür ist es heute schon zu spät.“
„Schade, das war so schön“, machte Mario seiner Enttäuschung Luft.
Nach und nach machten sich die Jungen auf den Heimweg, obwohl ihnen deutlich anzusehen war, dass sie nun erst recht keine Lust hatten, nach Hause zu gehen. Aber die Sonne stand schon tief am Himmel und für uns war an diesem Tag der Dienst auch schon lange zu Ende.
2
Am anderen Morgen waren sie alle wieder da. Dabei deutete Mario so ganz nebenbei an, dass ich mit ihm die in Bäckerei gehen sollte. Er liebte Überraschungen. Es machte ihm sichtlich Spaß, mir eine Freude zu bereiten. Ich bemerkte sofort, dass er bei diesem Vorschlag mit einem bestimmten Hintergedanken spielte. Es amüsierte sich jedes Mal königlich, wenn es ihm gelungen war, mich zu verblüffen.
Jetzt ließ er nicht mehr locker: „Kommen Sie mit in die Bäckerei, Korporale. Da ist eine bella Signorina. Die müssen Sie sehen, sie wird Ihnen gefallen.“
Ich wollte zunächst nicht, aber der Junge ließ mir keine Ruhe. Er zog an meiner Hand, wie ein junger Hund an der Kette. Schließlich ging ich doch mit ihm in die Bäckerei. Mein Glück!
Mario hatte nicht übertrieben. Ein bildhübsches Mädchen, ungefähr achtzehn Jahre alt, stand uns in dem kleinen, sauberen Laden gegenüber. Ihre anmutigen Bewegungen harmonierten wunderbar zu ihrer schönen, schlanken Gestalt. Dunkles Haar umrahmte das liebliche Gesicht, das von einem bezaubernden Lächeln überstrahlt war. Am auffallendsten aber waren ihre dunklen Augen, die von einem Augenblick zum anderen Ausdruck und Farbe wechselten, von dem wildesten Feuer zu romantischer Melancholie und umgekehrt.
„Bitte, geben Sie mir zwei Brötchen“, sagte ich auf italienisch. Unwillkürlich sah ich in ihre dunklen Mandelaugen und sagte auf deutsch: „Mensch, bist Du schön!“
Sie lachte, deutlich erkennbar, dass