Es kam mir nicht wie ein Traum vor, auch wenn alles seltsam surreal wirkte. Ich spürte eine Gegenwart zu meiner Linken. Als ich den Kopf wandte, sah ich meine Schwester Heather, die in Brets Sessel saß. Ihr Mann Tom saß mit gekreuzten Beinen vor ihr auf dem Boden. Ich werde nie vergessen, was sie anhatte: eine pinkfarbene Bluse, dazu Bluejeans und pinkfarbene Stöckelschuhe. Tom trug einen weiten cremefarbenen Wollpullover, Jeans und Turnschuhe. Sie schienen auf mich gewartet zu haben.
Mein erster Gedanke war: »Gott sei Dank! Es ist nicht wahr! Ihr seid nicht gestorben.« Dann stand Heather auf und ich sah ein helles Schimmern um ihren Kopf. Beide hatten eine strahlende Schönheit, die übernatürlich war. Ich stand wie betäubt im Wohnzimmer und starrte die Vision an. Da wurde mir klar, dass sie wirklich von uns gegangen waren. Sie waren ganz offensichtlich nicht mehr auf dieser Erde.
Ohne etwas zu sagen, kam Heather auf mich zu und legte die Arme um mich. Während wir uns umarmten, konnte ich sie spüren, doch es war mehr als nur eine körperliche Berührung. Es war, als könnte ich ihr Wesen in allen Körperzellen wie eine tröstliche Energie aus Wärme, Liebe und Frieden fühlen. Während sie mich in den Armen hielt, kam mir sofort jede einzelne glückliche Erinnerung unseres ganzen gemeinsamen Lebens wieder in den Sinn. Ich spürte ihre tiefe Liebe zu mir und all die wunderbaren Gefühle, die wir geteilt hatten, in einem einzigen überwältigenden Augenblick. Ich wollte den Moment für immer festhalten. Freudentränen liefen mir über das Gesicht. Schließlich ließ Heather mich los und Tom stand langsam auf. Sie trat zurück, als er mich zur Begrüßung umarmte. Wieder spürte ich eine Welle der liebevollen Energie, auch wenn sie nicht so intensiv war wie die Energie, die von Heather ausgegangen war. Dann hörte ich seine Stimme in meinem Kopf, obwohl seine Lippen sich nicht bewegten. Er kommunizierte in Gedanken mit mir.
»Warum setzt du dich nicht, jetzt, da du weißt, dass wir hier sind? Wir müssen über ein paar Dinge reden«, sagte er ohne Umschweife. Er war sanft und zugleich ernst, so als müssten wir gleich zur Sache kommen. Ich sah Heather an. Sie nickte und beide setzten sich. Ich setzte mich auf ein Sofa, das nicht von Chuck und Linda benutzt wurde, die beide fest auf dem anderen Sofa schliefen. Ich kuschelte mich in ein paar Kissen und wischte mir die Tränen ab.
Hunderttausend Fragen schwirrten mir durch den Kopf. »Wie ist es passiert? War es Zeit für euch zu gehen? Musstet ihr leiden?«
Heather und Tom hörten meine Gedanken. »Beruhige dich«, sagte Heather. »Ja, unsere Zeit war gekommen. Als der Unfall geschah, habe ich sofort meinen Körper verlassen. Wir haben nicht gelitten. Das ist der Normalfall. Die Seele verlässt den Körper noch vor dem Zusammenprall, wenn der Tod unausweichlich folgen wird.«
«Seid ihr in ein Licht gegangen? Haben Verwandte schon auf euch gewartet? Ist euer Leben vor euren Augen wie ein Film abgelaufen? Wie ist es da, wo ihr jetzt seid?«
Tom sah mich liebevoll an und sagte: »Ja, das stimmt alles. Aber Vicki, das musst du doch nicht fragen – du kennst die Antworten längst. Kannst du dich noch an unsere Gespräche über das Leben nach dem Tod erinnern, und an den ganzen atheistischen Quatsch, den ich gesagt habe?«
Ich nickte. Ich konnte mich gut an die langen Gespräche erinnern, die ich mit Tom über Spiritualität und das Leben nach dem Tod geführt hatte.
»Du hattest so Recht«, sagte er nun. »Es tut mir Leid, dass ich dir nicht geglaubt habe. Durch deine Erfahrungen weißt du mehr, als dir bewusst ist, und das sollst du wissen. Vicki, du würdest nicht glauben, wie schön es hier ist.«
Ich weiß nicht, ob es sein Blick oder seine Worte waren, doch plötzlich wurde ich von Glückseligkeit überwältigt. Es war nicht, weil ich Recht behalten hatte und er sich über das Leben nach dem Tod geirrt hatte, sondern weil alles, an was ich bisher geglaubt hatte, nun von zwei Menschen bestätigt wurde, die ich liebte und denen ich vertrauen konnte.
Dann sagten mir Heather und Tom, dass sie gekommen waren, um mir über das Leben nach dem Tod und damit verbundene spirituelle Dinge zu berichten. Dies war der richtige Augenblick, um ihnen all meine Fragen zu stellen und von ihnen alle Antworten zu erhalten, die ich brauchte. Sie wollten mir helfen, das zu bestätigen, was ich im Grunde schon wusste, und die spirituellen Eingebungen, die ich aus meinen Erfahrungen mit Seelen, die ich gesehen hatte, auf eine neue Bewusstseinsebene zu bringen.
Schweigend saß ich auf dem Sofa und nahm alles in mich auf, als Heather das Gespräch unterbrach: »Willst du das Ganze nicht lieber aufschreiben?«
Sie zeigte auf einen Stift und einen Schreibblock neben mir. Ich weiß nicht, ob die Schreibutensilien schon dort gelegen hatten oder ob Heather und Tom sie irgendwie herbeigezaubert hatten, aber sie waren real. Ich fing an, alles aufzuschreiben, während ich ihnen in Gedanken Fragen stellte.
»Wie ist es dort, wo ihr seid?«, fragte ich.
»Kannst du dich denn nicht daran erinnern?«, erwiderte Heather.
»Nein, natürlich nicht.«
»Ja, das ist ein Teil des Problems«, sagte Heather. »Wir vergessen es. Am Anfang des Lebens erinnern wir uns als Kinder noch daran, doch wenn wir älter werden, vergessen wir es. Aber man muss es nicht vergessen. Wir vergessen es, weil wir nicht innehalten, um uns daran zu erinnern. Dies wird natürlich von einer Kultur gefördert, die uns nicht beibringt, uns zu erinnern. Es ist genauso, wie wenn man aus einem Traum aufwacht. Wenn man gleich aus dem Bett springt und in Bewegung bleibt, vergisst man, was man geträumt hat. Aber wenn man sich nach dem Erwachen einen Augenblick lang darauf besinnt, sich an den Traum zu erinnern und darüber nachzudenken, bleibt er einem für immer im Gedächtnis. Das ist sehr schade, denn wenn wir uns nicht mehr an den Frieden und das Glück unserer wahren Heimat erinnern, fühlen wir uns auf der Reise durch das Leben abgeschnitten und haben Angst. Aber wir sind nicht allein, Vicki. Wir sind viel mehr miteinander verbunden, als wir wissen, und du wirst in deinem späteren Dienst anderen dabei helfen, sich daran zu erinnern.«
Ich hatte keine Ahnung, was sie mit »Dienst« meinte, aber ich war sicher, dass es mir später klar werden würde.
Als ich mich an die Kommunikation über Gedanken gewöhnt hatte, merkte ich, dass man so viel schneller miteinander kommunizieren kann. Auf jede Frage folgte sofort die Antwort. Was gewöhnlich Minuten gedauert hätte, verbal zu äußern, wurde in Sekunden gedacht. Auch war dies eine völlig neue Lernmethode für mich. Es war nicht wie das Lernen aus einem Buch oder in einem Klassenzimmer, wo man Informationen durch ständiges Wiederholen aufnimmt. Ich nahm alles, was Heather und Tom mir beibrachten, sofort auf und wusste auch gleich, dass es die Wahrheit war. Obwohl ich ein paar Details aufschrieb, merkte ich, dass die Notizen mich behinderten, und so schrieb ich nur wenig nieder.
So vergingen drei Stunden. Sie kamen mir wie zwanzig Minuten vor. Ich hatte zwar mehrere Blätter mit Notizen voll geschrieben, doch ich fragte mich, wozu ich sie überhaupt brauchte, da alle Informationen in meinem Gehirn gespeichert waren. Es gab keinen Abschied von Heather und Tom. Mir war klar, dass ich sie wiedersehen würde, auch wenn ich nicht wusste wann. Gegen 5:45 Uhr morgens fand ich mich im Türrahmen zu unserem Schlafzimmer wieder. Mein erster Gedanke war, dass ich alles nur geträumt hatte. Dann sah ich den Schreibblock, den Stift und meine vielen Notizen. Darüber war ich so glücklich, dass ich Bret aufweckte und ihm von dem nächtlichen Besuch erzählte. Er schien mir zu glauben, doch vielleicht wollte er mich auch nur beruhigen, weil ich am Abend davor so verzweifelt gewesen war.
Seitdem habe ich Heather und Tom fünfzehn bis zwanzig Mal wiedergesehen. Wie oft kann ich nicht genau sagen, denn viele ihrer Besuche waren nur ganz kurz. Und dennoch erfüllte jeder ihrer Besuche einen Zweck. Einige Male lehrten sie mich nur etwas Bestimmtes, andere Male brachten sie mir viele verschiedene Dinge bei, doch keiner ihrer späteren Besuche war so überwältigend