»Ihr glaubt nicht, was sich da draußen abspielt.«
Einige erhoben sich und gingen bedächtig in Richtung Ausgang. Weitere folgten.
Kurz darauf war der Saal leer. Steven genoss die Ruhe. Endlich hatte dieses nervende Geplapper aufgehört. Er legte seinen Kopf nach hinten auf das obere Ende der Rückenlehne und schloss die Augen. Die Stille und der Joint bescherten ihm eine Leichtigkeit, die ihn alles um sich herum vergessen ließ.
»Du solltest dir das auch ansehen«, vernahm er eine weibliche Stimme. Es dauerte eine Weile, bis er realisierte, dass er angesprochen worden war.
Als er die Augen öffnete, erkannte er Schwester Annabeth, die neben ihm stand und auf ihn herabsah.
»Was?«, lallte er verwirrt.
»Du hast doch vorhin gesagt, die Götter würden heruntersteigen.«
Er brauchte noch eine Weile, bis ihm bewusst wurde, wovon sie sprach.
»Schon vergessen?«, fragte sie.
Er richtete sich auf und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. »Welche Götter? Ach so, die. Na ja, ich wollte euch nur verarschen.«
»Aber es ist wahr.«
»Bist du auch high?«
»Red keinen Blödsinn. Du weißt genau, dass ich dieses Zeug nicht anrühre. Es ist Sünde, und du solltest es auch lassen. Da draußen geschieht aber wirklich etwas Himmlisches. Du solltest es dir ansehen.«
Steven erhob sich mühsam und streckte seine Glieder. Zuerst hatte er den Eindruck, sein Gleichgewicht zu verlieren und wieder aufs Sofa zu fallen. Aber er konnte sich noch rechtzeitig auffangen und blieb stehen.
Annabeth dreht sich um und lief zum Ausgang. Leicht schwankend folgte er ihr. Sie hielt ihm die Tür auf, und er trat ins Freie. Sofort bemerkte er seine Kameraden, die beieinander standen und zum Himmel emporstarrten. Da ihm das Vordach des Gebäudes die Sicht verwehrte, machte er einige Schritte in ihre Richtung und blickte ebenfalls nach oben.
Er blieb stehen, öffnete seinen Mund und wollte etwas sagen. Aber er brachte kein Wort heraus. Eigentlich war das, was er sah, nichts Neues. Er hatte es vorhin auf dem Dach seines Gleiters bereits gesehen. Es könnte der Vollmond sein, dessen Oberfläche heller leuchtete als für gewöhnlich, sodass die Schattierungen nicht zu sehen waren. Wenn da nur nicht diese eine Tatsache gewesen wäre:
Es gab drei davon.
12.
Rob Walton wurde mitten in der Nacht durch das feine Piepsignal seines Kommunikators geweckt. Er schlug die Augen auf, drehte sich zur Seite und sah auf die Uhr. Wer um alles in der Welt versuchte, ihn um diese Zeit zu erreichen?
Er tastete nach dem Gerät, hielt es vor seine Augen und las den Namen des Absenders auf dem Display.
»Michael?«, raunte er leise, um seine schlafende Frau Nadine nicht zu wecken, nachdem er den Anruf entgegengenommen hatte. »Was soll das, mitten in der Nacht?«
»Sieh dir die Bilder des Luftraumüberwachungsgeräts an!«, meldete sich der Angesprochene mit hektischer Stimme.
Rob aktivierte die Bildübertragung, sodass er Michaels Gesicht sehen konnte. Dieser gestikulierte wild mit seinen Händen. Anscheinend saß er vor einem Computer-Terminal.
»Was ist passiert?« Rob hatte keine Lust, sich um diese Zeit aus dem Bett zu schälen.
»Du musst es dir unbedingt ansehen! Du wirst es nicht glauben!«
»Moment. Ich sehe es mir auf dem Kommunikator an.«
Rob stellte über das Gerät den Kontakt zu seiner Überwachungsanlange her und wartete, bis das Signal erschien. Dann navigierte er über ein Menü zur entsprechenden Funktion, die ihm das Bild des überwachten Luftraums zeigte. Dieser umfasste ein großes Gebiet rund um die Stadt Salzburg in Österreich. Seine Anlage befand sich auf der Spitze des nahegelegenen Untersberg und hatte ungehinderte Sicht in den darüberliegenden Luftraum.
Wie von einer Tarantel gestochen setzte er sich auf, stellte seine Füße neben das Bett und kontrollierte die Daten der Anzeige.
»Siehst du es?«, klang es aus dem Lautsprecher des Kommunikators.
»Was ist das?«, fragte Rob völlig entgeistert.
»Was fragst du mich das?«
»Doch nicht etwa Raumschiffe?«
»Ich werde mit dem Luftgleiter auf den Untersberg hinauffliegen und mir das in Natura ansehen. Willst du mitkommen?«
»Aber sicher.«
»Okay, ich hole dich in einer Viertelstunde ab.«
»Was ist denn los?«, murmelte Nadine verschlafen und drehte sich um.
Statt einer Antwort hielt Rob ihr den Kommunikator vor das Gesicht. Auf dem Bild waren mehrere leuchtend helle Kugeln zu sehen, die das Himmelszelt ausfüllten.
Eine halbe Stunde später landete der Luftgleiter auf dem Untersberg neben einer spärlichen Hütte. Auf dem Dach war eine kleine Radom-Antenne angebracht, wie es sie vor Jahrhunderten schon gegeben hatte. In der heutigen Flugsicherung wurden jedoch modernere Methoden verwendet. Trotzdem kamen die altmodischen Radom-Antennen bei Privatpersonen noch zum Einsatz, allerdings in wesentlich kleinerem Ausmaß.
Rob sprang als Erster aus dem Gleiter und starrte zum Himmel empor. Die Kugeln waren als helle Kreise mit bloßem Auge zu erkennen und schienen sich langsam zu vergrößern.
»Was zum Teufel ist das?« Rob richtete seinen Blick von einer Kugel zur anderen.
»Auf jeden Fall keine Lichtspiegelungen.«
»Sie werden größer.«
»Diesen Eindruck habe ich auch.«
Von Weitem vernahmen sie Sirenen von Polizeigleitern.
»Da unten scheint sich etwas zusammenzubrauen«, sagte Michael, nachdem er den Blick nach unten gerichtet hatte.
Nun sah auch Rob hinab. »Anscheinend haben auch andere Leute die Kugeln entdeckt und flippen nun aus.«
»Wahrscheinlich kommt es zu einer Panik, wenn diese Kugeln noch größer werden.«
»Das werden sie bestimmt«, sagte Rob, der wieder nach oben blickte.
»Heiliger Strohsack! Schau mal die Kugel dort drüben an!«
Rob richtete seinen Blick in die Richtung, die Michaels Zeigefinger einschlug, und hielt den Atem an. »Die ist viel größer als die anderen.«
»Daher wahrscheinlich der Tumult in der Stadt.«
»Täusche ich mich oder hat diese Kugel in der Mitte eine Linie, die die obere und die untere Hälfte voneinander trennt?«
»Ja, ich sehe es auch«, bestätigte Michael. »Die untere Hälfte ist etwas dunkler.«
»Genau. Das kann unmöglich etwas Natürliches sein.«
In den nächsten Minuten mussten die beiden mit ansehen, wie sich die Kugeln weiter vergrößerten.
Mittlerweile hatten sich auch die anderen Kugeln soweit genähert, dass ihre Oberflächenstruktur deutlich zu erkennen war. Jede von ihnen besaß dieselben Merkmale, eine deutliche Trennlinie in der Mitte, die den helleren oberen vom dunkleren unteren Teil unterschied.
Plötzlich summte Robs Kommunikator. Er kramte das Gerät hervor und blickte auf das Display. Als er den Namen las, sah er verwirrt zu Michael.
»Wer ist es?«, fragte dieser neugierig.
»Mein Vater.«
Rob nahm das Gespräch entgegen und fragte erregt: »Gibt es bei euch diese Kugel auch?«
»Ja, viele. Und wie es aussieht, gibt es die überall.«