Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические приключения
Год издания: 0
isbn: 9783938305607
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wie ein Mensch, der bereit gewesen ist, sich entgegenzustemmen und auf einmal keinen Widerstand findet.

      Laura hatte die Polstertür geschlossen und dachte draußen über das wetterwendische und unberechenbare Wesen von Vorgesetzten nach. Dieser Joe King wurde empfangen! Sie ärgerte sich, dass er sich gegen strikte Dienstanweisungen durchgesetzt hatte. Sie war fest entschlossen, sich zu rächen und dem Superintendenten in den nächsten Tagen einige Besucher mit unnützen Anliegen auf den Hals zu schicken.

      Im Zimmer des Superintendenten hatte Joe King zu sprechen begonnen: »Ich war vor zwei Wochen bei Mr Haverman, aber er hat keine Chance für meine Pläne gesehen. Ehe ich sie aufgebe, wollte ich Sie selbst sprechen.«

      Der Superintendent wiederholte sein »Bitte« durch eine einladende Handbewegung.

      »Der Zustand der Reservation ist unbefriedigend.« Stonehorn sprach schnell, gehetzt, wie jemand, der lange nachgedacht hat und eine einmalige Gelegenheit, seine Gedanken vorzutragen, nicht genügend zu nutzen fürchtet.

      »Wir haben sehr dürren Boden, wir haben viele Arbeitslose, wir haben viele Trinker, wir haben sehr wenig und sehr schlechtes Wasser und noch weniger Brunnen, mit denen wir Grundwasser heraufholen können. Die meisten von uns sind falsch ernährt oder unterernährt, viele sind krank. Die Sterblichkeit, besonders unter den Kindern, ist immer noch sehr groß. Unser Land hier ist abgelegen vom Verkehr; es ist schwer, Industrie herbeizuziehen, und Ihre Unternehmer trauen dem indianischen Arbeiter nicht. Der Staat, in dem auch wir Indianer Bürger und Soldaten sind, gibt jährlich Millionen und vielleicht Milliarden an Völker in anderen Kontinenten, damit sie, wie es heißt, ihre Wirtschaft entwickeln können. Wir aber haben eine teure Verwaltung auf dem Hals, und das Geld, das wir erhalten und das uns immer hingeworfen wird, wie man dem Bettler das Almosen hinwirft, ist nur ein Cent gegen die Dollars, die nach außerhalb gegeben werden. Es ist sogar unser eigenes Geld, Vertragsgeld, das man uns vorenthält, um es von anderen verwalten zu lassen. Selbst über das, was wir bekommen, können wir nicht selbst entscheiden. Wir können Ihre Fehler nur immer hinter Ihrem Rücken kritisieren, denn es fehlt uns eine legale Möglichkeit, uns Gehör zu verschaffen, und wir haben keine Gelegenheit, aus eigenen Fehlern zu lernen. Wir sind entmündigt. Sind wir keine Menschen?«

      Der Superintendent schaute vor sich hin. »Ich kenne alle diese Argumente, Mr King, wenn sie mir auch noch nie derart einseitig und anmaßend vorgetragen wurden. Ich könnte Ihnen natürlich mit Gegenvorwürfen antworten. Das Reservationsland war groß, aber seine Bewohner haben schlecht gewirtschaftet, sie haben sich bitteren Tränen hingegeben, statt zu arbeiten, sie haben ihre Renten vertrunken, statt ihre Kinder damit zu ernähren – davon können Sie selbst ein Lied singen –, sie haben ihre Söhne und Töchter von der Schule fernzuhalten versucht, bis wir sie mit der Polizei holen mussten. Auch das wissen Sie selbst nur zu gut. Ihr Indianer habt schließlich Land an Weiße verkauft, und dieses Land, das beste Land, fehlt jetzt der Reservationswirtschaft. Wir aber haben Schulen gebaut – Ihre eigene Frau genießt eine ausgezeichnete Ausbildung –, wir haben das Krankenhaus gebaut, wir haben ein Altersheim gebaut, wir bezahlen Lehrer, wir bezahlen Ärzte, wir bezahlen Schwestern, und die Kinder können etwas lernen. Reservations-Indianer sind nicht steuerpflichtig, und auch der Arbeitsfähige erhält Arbeitslosenunterstützung. Wer will, kann die Reservation verlassen. Ein qualifizierter Arbeiter findet in unseren Staaten überall sein Brot.«

      Joe King war aufgestanden. »Ja, wir haben zu lange geträumt, das ist wahr. Ihr habt uns das Land genommen, und ihr habt uns Renten versprochen, das war ein böser Tausch. Als wir keine Waffen mehr hatten, habt ihr uns noch mehr Land weggenommen. Jeder Familie habt ihr das Land für eine und eine halbe Kuh gelassen … und ihr habt euch gewundert, dass die Familien verkaufen mussten und zu trinken anfingen, um wieder träumen zu können. Wir können gehen … sagen Sie … ja, wir können den letzten erbärmlichen Rest, der uns vom Land unserer Väter geblieben ist, auch noch verlassen … aber das wollen wir nicht. Wir sind ein Volk geblieben durch eure Reservation und durch das, was wir auf euren Reservationen seit hundert Jahren erleben mussten. Es können einige von uns gehen, aber ein Kern bleibt. Wir wollen, dass unsere Reservation ein Land für Menschen wird … oder wollen wir tauschen? Lasst uns in euren Häusern hier wohnen, wo es Wasser gibt und Gärten und Springbrunnen und Straßen … und zieht in unsere Hütten, in denen wir uns nicht waschen können, weil wir das bisschen Wasser zum Trinken für unsere Kinder brauchen.«

      Es trat eine Pause ein.

      »Sie wollten mir nicht Vorwürfe machen, sondern Vorschläge, Joe King.«

      »Gebt unserem Stammesrat Freiheit, damit wir wieder Lust bekommen zu arbeiten. Lasst uns mit anderen Reservationen unsere Erfahrungen austauschen. Gebt uns etwas von dem Geld, das ihr nach Afrika tragt und nach Asien, für Brunnen und Bewässerungsanlagen hier. Wir könnten außer Rindern auch Schafe züchten, wir könnten Kleinvieh halten, wir könnten Spezialzuchten von Pferden und von Büffeln aufbauen. Wir könnten das Kunsthandwerk besser entwickeln, wir könnten den Tourismus aufbauen, wir könnten auch mehr Sport treiben.«

      »Ja, natürlich. Wo und wie wollen Sie den Anfang machen? Es liegt alles nur an euch. Wir sind da, um eure Selbsthilfe zu fördern.«

      Joe King betrachtete den Superintendenten fast eine volle Minute schweigend und herausfordernd. Als Hawley nichts weiter sagte, schloss King: »Es liegt alles an uns, an den Wilden, an den Entmündigten, an den Besiegten, an den Beraubten. Aber wir haben nicht die Millionen, die seit einem Jahrhundert für unsere Aufseher und Vormunde ausgegeben worden sind und noch ausgegeben werden. Goodbye.«

      »Halt, King. Ehe ich mein Goodbye ausspreche, möchte ich Ihnen das Folgende mitgeben: In den letzten sieben Jahren haben Sie mehr Zeit in Gefängnissen und unter Verbrecherbanden verbracht als auf unserer Reservation. Ich spreche Ihnen deshalb jedes moralische Recht ab, über die mühevolle Arbeit von Generationen von Treuhändern abfällig zu urteilen. Arbeiten Sie erst einmal selbst.«

      Um Joe Kings Mundwinkel erschien der abfällig-herablassende Ausdruck, der den Superintendenten mehr reizen musste als die Tatsache, dass der Indianer doch noch das Schlusswort sprach: »Sir, über mich sind Urteile und Fehlurteile ergangen, und ich habe in Ihren Gefängnissen mehr gebüßt, als ich verbrochen habe. Aber was mit meinem Volk geschah und vieles von dem, was heute noch mit uns geschieht, findet keinen Richter, es sei denn, dass er sich in Ihrem Gewissen rührt.«

      Während Hawley in seinem Dienstzimmer, aus dem der Besucher lautlos verschwunden war, einige Minuten hindurch untätig, unwillig und doch nachdenklich saß, traf Joe auf der Straße Queenie, die mit zwei Pferden auf ihn gewartet hatte.

      »Wir sollen uns allein helfen«, sagte er. »Es hat überhaupt wenig Zweck, mit Menschen zu reden, die auf Sesseln sitzen. Uns beiden bleibt nichts übrig, als bei meinem Vater zu wohnen. Niemand anders nimmt uns auf, und nur auf unserer Ranch finde ich etwas Arbeit. Der eine frei gewordene Platz in der Angelhakenfabrik ist schon besetzt; sie haben ihn schnell weggegeben, damit sie mich nicht einzustellen brauchen.«

      »Stonehorn – du hättest auch nicht Tag für Tag zwischen den Weibern sitzen und Angelhaken biegen können, um nicht einmal das zu verdienen, was ein Erdbeerpflücker jetzt verdienen soll.«

      »Meinst du?« Er lachte, ein wenig heiter, weil er seine junge Frau neben sich sah, aber auch mit einer Spur von Sarkasmus. »Ich habe einmal zwei Jahre lang solche Arbeiten gemacht, wenn auch nicht zwischen ehrlichen Weibern.«

      Er trieb seinen Hengst an.

      So kam es, dass Stonehorn und seine Frau am Nachmittag beim Hause des alten King anlangten.

      Sie sprangen beide von den Pferden. Drei magere Hunde kläfften und verzogen sich, als sie den Fußtritt ihres Herrn zu fürchten hatten. Während Stonehorn in das Haus ging, um den Vater zuerst allein zu begrüßen, hielt Queenie wieder die beiden Pferde. Der Hengst hatte sich schon an sie gewöhnt und machte keine Schwierigkeiten. Während sie die Zügel locker hielt und die Tiere grasen ließ, schaute sie über Tal und Berg. Die Prärie hatte hier einen anderen Charakter als in der Umgebung von Queenies Heimathaus. Jenseits eines breiten Tales, an dessen Hang Queenie stand, stiegen weiße Felsen auf, und am Fuß der Felsen war der Boden feuchter, die Vegetation grüner. Das Land war dort abwechslungsreicher, weniger karg,